Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Читать онлайн книгу.9. April 1764 zwei große Konzerte in dem Saale eines vornehmen Mannes, Mr. Felix, worin ein kleines Theater für die Schauspiele des Adels stand. Die Erlaubnis zu diesen Konzerten war eine große Gunst, da sie den Privilegien des Concert spirituel, wie des französischen und italienischen Theaters zuwiderlief, und wurde nur auf die Verwendung vieler vornehmer Gönner erreicht; der Erfolg war in jeder Hinsicht glänzend.
Während Marianne in ihrem Vortrage sich den ersten damaligen Pariser Virtuosen ebenbürtig an die Seite stellte, überraschte Wolfgang neben seinen Leistungen als Pianist, Geiger und Orgelspieler die Welt noch durch andere Beweise seiner Begabung. Er begleitete nicht nur in Konzerten und Gesellschaften italienische und französische Arien vom Blatt, sondern transponierte sie auch prima vista. Das setzt eine vollständige Beherrschung des Generalbaßspiels voraus. Aber er war auch imstande, eine italienische Kavatine, deren Baß er nicht kannte, aus dem Stegreif zu begleiten und diese Begleitung bei öfteren Wiederholungen des Stückes immer wieder neu zu gestalten. Und was das wichtigste ist, er trat jetzt zum ersten Male mit freiem Phantasieren hervor, jener Kunst, die damals noch allgemein geübt und verlangt wurde und den modernen Künstlern leider fast völlig abhanden gekommen ist. Das alles berichtet uns Grimm, voll stolzer Genugtuung darüber, daß ihm diese neueste "Sensation" glänzend gelungen war38.
Nicht minder wichtig aber ist, was L. Mozart über ihren künstlerischen Verkehr in Paris mitteilt, der sich auf so ziemlich alle hervorragenden Männer erstreckte. Da ist in erster Linie der Schlesier Joh. Schobert zu nennen, ein Mann, aus dessen Leben außer einer von Mozart39 überlieferten Augsburger Spur nur bekannt ist, daß er von etwa 1760 an Kammercembalist des Prinzen von Conti in Paris war und hier am 28. August 1767 einer Pilzvergiftung erlegen ist. Er war der gefeiertste Klavierspieler des damaligen Paris, aber auch als Komponist genoß er eines hohen Ansehens40. Welchen großen Einfluß dieser Meister, der erste vollwertige Vertreter der Mannheimer Kunst, den Mozart persönlich kennenlernte, auf ihn ausgeübt hat, wird später zu erörtern sein. Der erste Eindruck war freilich alles eher als günstig. L. Mozart spricht geradezu von dem "niederträchtigen Schobert, der seine Eifersucht und seinen Neid nicht bergen kann, und sich bei Mr. Eckard, der ein ehrlicher Mann ist, und bei vielen Leuten zum Gelächter macht ... Mr. Schobert ist gar nicht derjenige, der er sein soll. Er schmeichelt ins Gesicht, und ist der fälscheste Mensch; seine Religion aber ist nach der Mode. Gott bekehre ihn!"41 Weit günstiger wird der Hauptnebenbuhler Schoberts in der Gunst der Pariser Salons beurteilt, Joh. Gottfried Eckardt (etwa 1735 bis 1809), der, gleich Leopold ein Augsburger Kind, seit 1758 in Paris lebte. Wir wissen auch aus den Briefen des Sohnes42, daß seine Kunst hoch geschätzt wurde. Er sowie der ebenfalls von L. Mozart genannte L. Honauer werden uns bei der Besprechung von Mozarts Werken wieder begegnen. Man erkennt übrigens schon aus diesen Namen, welche Rolle die deutschen Musiker damals in Paris spielten; bestätigt wird sie durch die Ankündigungen der Verleger La Chevardière und Vertier, die damals neben Werken von J. Stamitz auch solche von Chr. Bach und J. Haydn aufführen43.
Neben der Kirchenmusik, von der die Mozarts in Versailles einige von L. Mozart wegen ihrer Chöre sehr gerühmte Proben hörten, kommt vor allem die Oper in Betracht, der erklärte Liebling der Pariser, der ihnen mehr galt als alle Instrumentalmusik. Wie sehr die alte tragédie lirique Lullys und Rameaus, einst der Stolz der Franzosen, beim Publikum in Ungnade gefallen war, bewies die Aufführung von Rameaus "Castor" am 23. Januar 1764, die von sämtlichen Berichterstattern als der Gipfel der Langeweile bezeichnet wird44, und nicht besser erging es den folgenden Werken von Mondonville und Bury. Um so mehr jubelte das Publikum den Aufführungen der "Comédie italienne" zu, die zur Zeit von Mozarts Aufenthalt hauptsächlich von Duni (Les deux chasseurs, Le milicien), Philidor (Le Bûcheron, Blaise le savetier, Le Maréchal, Le Sorcier) und Monsigny (Rose et Colas) bestritten wurden; auch "Bastien et Bastienne", Text von Mad. Favart, konnte Mozart am Hofe zu Versailles hören45. Ist er natürlich auch nicht bei allen diesen Aufführungen selbst im Theater anwesend gewesen, so hat er doch bald ihre Hauptnummern auf allen Straßen hören können. Überhaupt sind diese französischen Gassen- und Gesellschaftslieder seinem aufmerksamen Ohre sicher nicht entgangen; in ihren witzigen und bissigen Versen, denen in Staat und Gesellschaft nichts heilig war, spiegelt sich der Geist des damaligen Paris getreu wider.
Es war kein Wunder, daß sich inmitten dieser Fülle neuer Eindrücke bei dem Knaben auch der eigene Schaffensdrang wieder regte. Der Vater ließ Ende Januar 1764 vier Sonaten für Klavier und Violine46 von ihm stechen und war sehr gespannt auf den Lärm, den sie in der Welt machen würden, wenn auf dem Titel stände, daß sie das Werk eines Kindes von sieben Jahren wären. Er fand diese Sonaten in der Tat gut, nicht bloß weil ein Kind sie gemacht habe, und besonders ein Andante darin "von einem ganz sonderbaren goût". Als sich später ergab, daß im letzten Trio von op. 2 drei Quinten mit der Violine, welche der junge Herr gemacht habe, stehen geblieben seien, obgleich er sie korrigiert habe, tröstete er sich damit, "daß sie als ein Beweis gelten könnten, daß Wolfgangerl die Sonaten selbst gemacht habe; welches, wie billig, vielleicht nicht jeder glauben werde, obgleich es denn doch so sei". Die zuerst gestochenen beiden Sonaten (K.-V. 6, 7, S. XVIII. 1, 2) wurden von dem kleinen Komponisten der zweiten Tochter des Königs, der gutmütigen Prinzessin Victoire, die sich wie ihre Schwestern gern mit Musik unterhielt, gewidmet und selbst zu Versailles überreicht. Die folgenden (K.-V. 8, 9, S. XVIII. 3, 4) waren der steifleinenen und preziösen Gräfin de Tessé, Ehrendame der Dauphine47, dediziert. Grimm hatte im Namen des Knaben eine Dedikation geschrieben, worin sie und Wolfgang lebhaft abgeschildert waren. Zu L. Mozarts Bedauern lehnte sie sie ab, weil sie nicht gelobt sein wollte; so mußte denn eine einfachere an die Stelle treten48.
Die Wunderkinder wurden mit Auszeichnungen, Ehrengeschenken, Lobgedichten überhäuft. Hr. v. Carmontelle, ein als Porträtist geschätzter Dilettant49, malte die Künstlerfamilie allein; das artige Bild wurde auf Grimms Anstiften von Delafosse gestochen (Beil. "Mozart-Bildnisse").
In dem stolzen Bewußtsein, den Sohn beim Pariser Publikum fest in den Sattel gesetzt zu haben, reiste L. Mozart am 10. April 1764 mit seinen Kindern von Paris ab. In Calais sah Marianne, nach der Angabe ihres Tagebuchs, "wie das Meer ablaufet und wieder zunimmt". Von da fuhren sie, da das Paketboot überfüllt war, in einem eigenen Schiff, nicht ohne tüchtig seekrank zu werden, nach Dover über; ein gewandter Kurier, den sie von Paris mitgenommen hatten, ordnete die Reise und wies sie in London, wo sie am 22. April ankamen, zurecht.
Hier umfing sie von Anfang an eine ganz andere Luft als in dem unaufhaltsam dem Umsturz zutreibenden Frankreich. Gewiß entsprach gerade um 1765 das staatliche Leben Englands durchaus nicht dem begeisterten Lob, das ihm dereinst Voltaire in den Philosophischen Briefen gespendet hatte, aber die Rührigkeit des Volkes, seine von großen nationalen Gedanken getragene Freude am Erwerb, seine staunenswerten Erfolge in Handel und Industrie mußten jedem Ankömmling nicht minder auffallen, als seine selbstbewußte, oft derbe Fröhlichkeit; hatte doch der große Krieg England allein von allen Teilnehmern einen unabsehbaren Zuwachs seiner Macht und vor allem seiner Seeherrschaft gebracht.
Auf anderen Gebieten freilich war mit diesem glänzenden Aufstieg eine beträchtliche Einbuße verbunden. Es ist kein Zufall, daß England vom Beginn des 18. Jahrhunderts, von der Zeit an, da der Handel seine Politik mehr und mehr bestimmt, aus der Reihe der großen Musiknationen ausscheidet und sich in der Tonkunst teils mit ausländischer Einfuhr, teils mit bescheidenen Durchschnittsleistungen begnügen muß. Die deutschen Beziehungen seines Königshauses haben London so manchen bedeutenden deutschen Musiker zugeführt, so vor allem Händel selbst, dessen Kunst damals noch in ungebrochener Kraft lebendig war. Mozart hatte Gelegenheit, eine stattliche Anzahl Händelscher Werke kennenzulernen50; auch lebte Händels bekannter Schüler und Vertrauter Joh. Christoph Schmidt (Smith) noch am Londoner Hofe. König Georg III. selbst war ein großer Freund der Musik, wenn ihm auch die genaue Kennerschaft so mancher festländischer Fürsten abging, und namentlich ein wirksamer Anhänger der Händelschen Kunst; Königin Sophie Charlotte war im Gesang ausgebildet und spielte auch das Klavier, nach Haydns Worten "ganz leidlich für eine Königin"51.
Auf dem Gebiete der Oper bewährte immer noch die