Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Читать онлайн книгу.glauben mußte, sie sähe ihn zum ersten Male.
»Sprechen Sie im Ernst so?« fragte Maximilian mit stockender Stimme.
Emilie wandte ihm mit unglaublicher Verachtung den Rücken. Die wenigen, leise gewechselten Worte waren der neugierigen Aufmerksamkeit der beiden Schwägerinnen entgangen. Nachdem sie die Pelerine gekauft hatten und wieder in den Wagen gestiegen waren, konnte Emilie, die rückwärts saß, sich nicht enthalten, noch einen letzten Blick auf das Innere des verhaßten Ladens zu werfen, in dem sie Maximilian mit gekreuzten Armen stehen sah, in der Haltung eines Mannes, der über das Unglück, das ihn so plötzlich betroffen hat, erhaben ist. Ihre Augen begegneten sich und warfen sich zwei unversöhnliche Blicke zu. Jeder von beiden hoffte, daß er das Herz, das er liebte, grausam verletze. In einem Augenblick fühlten sich alle beide einander so fern, als ob der eine in China, der andere in Grönland lebte. Läßt der Hauch der Eitelkeit nicht alles vertrocknen? Ein Opfer der heftigsten Kämpfe, die das Herz eines jungen Mädchens erschüttern können, brachte Fräulein von Fontaine die reichste Schmerzensernte heim, die jemals Vorurteile und kleinlicher Sinn in eine Menschenseele gesät hatten. Ihr noch eben frisches, sammetweiches Gesicht zeigte Runzeln, einen gelblichen Ton und rote Flecke, und der weiße Teint ihrer Wangen erschien plötzlich grünlich. In der Hoffnung, ihre Erregung vor ihren Schwägerinnen verbergen zu können, zeigte sie ihnen lachend einen Passanten oder eine lächerliche Toilette; aber ihr Lachen war krampfhaft. Von dem schweigenden Mitleid ihrer Schwägerinnen fühlte sie sich viel stärker verletzt, als wenn sie sich mit boshaften Bemerkungen gerächt hätten. Sie wandte all ihren Geist auf, um sie in eine Unterhaltung zu ziehen, wobei sie ihrer Wut durch unsinnige Paradoxe Luft zu machen suchte, indem sie die Kaufleute mit den schnödesten Beschimpfungen und dem geschmacklosesten Spott überhäufte. Bei der Heimkehr wurde sie von einem Fieber befallen, das zuerst einen etwas gefährlichen Charakter zeigte. Erst nach Verlauf eines Monats hatte die Pflege ihrer Angehörigen und des Arztes die Sorgen der Ihrigen beseitigt. Jeder hoffte nun, daß diese ziemlich starke Lektion Emiliens Charakter bessern würde, die unmerklich ihre früheren Gewohnheiten wieder aufnahm und sich von neuem in das Gesellschaftstreiben stürzte. Sie erklärte, es sei keine Schande, wenn man sich getäuscht habe. Hätte sie aber, sagte sie, wie ihr Vater, irgendwelchen Einfluß in der Kammer, so würde sie ein Gesetz beantragen, wonach die Kaufleute, besonders die Schirtinghändler, mit einem Brandmal an der Stirn, wie die Schafe von Berri, bis in die dritte Generation gezeichnet werden müßten. Sie wollte, daß der Adel allein das Recht hätte, die alte französische Tracht, die den Höflingen Ludwigs XV. so gut stand, zu tragen. Wenn man sie hörte, war es vielleicht ein Unglück für die Monarchie, daß kein äußerlich sichtbarer Unterschied zwischen einem Kaufmann und einem Pair von Frankreich bestand. Tausend andere solche Scherze, die man sich denken kann, folgten schnell aufeinander, sobald ein unvorhergesehener Anlaß sie auf dieses Thema brachte. Aber die, die Emilie liebten, nahmen hinter ihren Spöttereien einen Schatten von Melancholie wahr. Augenscheinlich herrschte Maximilian Longueville immer noch in diesem unverständlichen Herzen. Manchmal wurde sie so liebenswürdig, wie während des flüchtigen Sommers, der ihre Liebe hatte entstehen sehen, und manchmal benahm sie sich unerträglicher als je. Jeder entschuldigte ihre wechselnden Launen, die aus ihrem geheimen, aber allen bekannten Schmerz entsprangen. Der Graf von Kergarouet erlangte dadurch einige Macht über sie, daß er sie verschwenderisch mit Geschenken überhäufte, eine Art von Trost, der bei jungen Pariserinnen selten seine Wirkung verfehlt. Der erste Ball, den Fräulein von Fontaine besuchte, fand bei dem neapolitanischen Gesandten statt. Gerade als sie sich zu der prächtigsten Quadrille anstellte, bemerkte sie einige Schritte neben sich Longueville, der ihrem Tänzer leicht zunickte.
»Ist der junge Mann ein Freund von Ihnen?« fragte sie ihren Kavalier mit verächtlicher Miene.
»Er ist nur mein Bruder«, erwiderte er.
Emilie konnte ein Erzittern nicht unterdrücken.
»Oh,« fuhr er begeistert fort, »das ist gewiß die edelste Seele von der Welt …«
»Kennen Sie meinen Namen?« unterbrach ihn Emilie lebhaft.
»Nein, gnädiges Fräulein. Ich gestehe, es ist ein Verbrechen, daß ich einen Namen nicht behalten habe, der auf aller Lippen ist, ich müßte sagen, in allen Herzen; aber ich habe eine annehmbare Entschuldigung: ich kehre eben aus Deutschland zurück. Mein Gesandter, der in Paris auf Urlaub ist, hat mich heute hierher als Begleiter seiner Frau beordert, die Sie dort hinten in der Ecke sehen können.«
»Eine wahrhaft tragische Maske«, sagte Emilie, nachdem sie die Gesandtin betrachtet hatte.
»Das ist ihr Ballgesicht«, erwiderte der junge Mann lachend. »Aber ich werde doch mit ihr tanzen müssen. Und dafür habe ich mich entschädigen wollen.« Fräulein von Fontaine verneigte sich. »Ich bin sehr überrascht gewesen,« fuhr der schwatzhafte Gesandtschaftssekretär fort, »meinen Bruder hier zu treffen. Als ich aus Wien hier ankam, erfuhr ich, daß der arme Junge krank sei und zu Bett liege. Ich wollte ihn, bevor ich zum Balle fuhr, aufsuchen; aber die Politik läßt uns nicht immer Zeit, den Familienpflichten nachzukommen. Die ›padrona della casa‹ hat mir nicht erlaubt, zu meinem armen Maximilian hinaufzugehen.«
»Ist Ihr Herr Bruder, ebenso wie Sie, Diplomat?«
»Nein,« sagte der Sekretär seufzend, »der arme Junge hat sich für mich aufgeopfert! Er und meine Schwester Klara haben auf ihren Anteil an dem Vermögen meines Vaters verzichtet, damit für mich ein Majorat gebildet werden kann. Mein Vater träumt von der Pairschaft, wie alle, die für das Ministerium stimmen. Er hat schon die Zusage, daß er ernannt wird«, fügte er leise hinzu. »Nachdem er schon einiges Kapital zusammengebracht hatte, hat sich mein Bruder mit einem Bankhause assoziiert; ich weiß, daß er ein Spekulationsgeschäft mit Brasilien unternommen hat, das ihn zum Millionär machen kann. Ich bin sehr froh, daß ich durch meine diplomatischen Beziehungen zum Erfolge beitragen konnte. Ich erwarte sogar ungeduldig eine Depesche der brasilianischen Gesandtschaft, deren Inhalt ihm die Sorgenfalten der Stirn glätten wird. Wie finden Sie ihn?«
»Aber das Gesicht Ihres Herrn Bruders sieht nicht so aus, wie das eines Mannes, der sich mit Geldgeschäften befaßt.«
Der junge Diplomat warf einen scharfen, prüfenden Blick auf das anscheinend ruhige Gesicht seiner Tänzerin.