Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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weil wir am Jahres­schlus­se ste­hen,« sag­te er lei­se zu Cäsar, »aber ich brau­che jetzt kein Geld.«

      »Aber was ist dir denn, Cäsar?« sag­te Pil­ler­ault, als er die Über­ra­schung sei­nes Nef­fen be­merk­te, der, ver­blüfft über den Be­trag der Rech­nung, we­der Ra­gon noch Lour­dois ant­wor­te­te.

      »Ach, eine Lap­pa­lie! Ich habe für fünf­tau­send Fran­ken Wech­sel für mei­nen Nach­barn, den Schirm­händ­ler, ak­zep­tiert, der bank­rott ist. Wenn er mir fau­le Wech­sel ge­ge­ben hat, wer­de ich wie ein dum­mer Jun­ge hin­ein­ge­fal­len sein.«

      »Ich habe es Ih­nen schon im­mer ge­sagt,« rief Ra­gon aus: »wer am Er­trin­ken ist, der klam­mert sich noch an die Bei­ne des ei­ge­nen Va­ters an, um sich zu ret­ten, und geht dann mit ihm zu­sam­men un­ter. Ich habe schon so vie­le Fal­lis­se­ments mit an­ge­se­hen! Wenn das Un­glück an­fängt, dann ha­ben sie ja nicht ge­ra­de­zu die Ab­sicht, be­trü­ge­risch zu han­deln, nach­her aber zwingt sie die Not dazu.«

      »Das ist rich­tig«, sag­te Pil­ler­ault.

      »Ach, wenn ich je­mals De­pu­tier­ter wer­den soll­te, oder wenn ich ir­gend­wie Ein­fluß bei der Re­gie­rung hät­te …«, sag­te Bi­rot­teau, er­hob sich auf den Fuß­spit­zen und ließ sich wie­der auf die Ha­cken zu­rück­fal­len.

      »Was wür­den Sie denn dann tun?« frag­te Lour­dois, »Sie sind ja ein klu­ger Mann.«

      Mo­li­neux, den jede Dis­kus­si­on über eine Rechts­fra­ge in­ter­es­sier­te, blieb wei­ter im La­den ste­hen; und da die Auf­merk­sam­keit an­de­rer an­ste­ckend wirkt, so hör­ten Pil­ler­ault und Ra­gon, die Cäsars An­sicht schon kann­ten, eben­so ernst wie die drei Frem­den zu.

      »Ich wür­de ver­lan­gen,« sag­te der Par­füm­händ­ler, »daß eine Kam­mer mit un­ab­setz­ba­ren Rich­tern und ei­nem Staats­an­walt über den Schul­di­gen zu Ge­richt säße. Nach der Un­ter­su­chung, bei der ein Rich­ter selbst die jet­zi­gen Funk­tio­nen der Agen­ten, Syn­di­ci und kom­missa­ri­schen Rich­ter aus­zuü­ben hät­te, müß­te der Kauf­mann ent­we­der für einen re­ha­bi­li­tier­ba­ren Kon­kurs­schuld­ner oder für einen Bank­rot­teur er­klärt wer­den. Im ers­ten Fal­le wäre er ver­pflich­tet, alle Schul­den zu be­zah­len; er wäre nur der Treu­hän­der sei­nes Ver­mö­gens und des­je­ni­gen sei­ner Frau; denn sei­ne For­de­run­gen, sei­ne Er­ban­sprü­che, – al­les ge­hört den Gläu­bi­gern; er wür­de für ihre Rech­nung und un­ter Kon­trol­le han­deln und könn­te sein Ge­schäft wei­ter be­trei­ben, wenn er sei­ner Un­ter­schrift den Zu­satz bei­fügt: im Kon­kurs bis zur völ­li­gen Til­gung sei­ner Schul­den. Ist er aber Bank­rot­teur, so muß er, wie es frü­her war, ver­ur­teilt wer­den, an der Bör­se zwei Stun­den mit ei­ner grü­nen Müt­ze auf dem Kop­fe am Pran­ger zu ste­hen. Sein Ver­mö­gen und das sei­ner Frau und sei­ne For­de­run­gen wer­den den Gläu­bi­gern zu­ge­spro­chen und er selbst wird des Lan­des ver­wie­sen.«

      »Da wür­de die Kauf­mann­schaft et­was mehr ge­si­chert sein,« sag­te Lour­dois, »und man wür­de sich die Ge­schäf­te, auf die man sich ein­läßt, zwei­mal an­se­hen.«

      »Selbst das gel­ten­de Ge­setz wird nicht be­folgt«, sag­te Cäsar er­regt. »Von hun­dert Kauf­leu­ten sind mehr als fünf­zig in ih­rem Ge­schäft mit fünf­und­sieb­zig Pro­zent in Un­ter­bi­lanz, oder ver­kau­fen ihre Ware fünf­und­zwan­zig Pro­zent un­ter dem Ein­kaufs­prei­se und rui­nie­ren so den Han­del.«

      »Der Herr hat recht,« sag­te Mo­li­neux, »das gel­ten­de Ge­setz ist zu dehn­bar. Ent­we­der völ­li­ge Her­ga­be oder In­fa­m­er­klä­rung.«

      »So wie die Sa­chen jetzt lau­fen,« sag­te Cäsar, »wird der Kauf­mann wahr­haf­tig nächs­tens ein Pa­tent auf den Be­trug ha­ben. Mit sei­ner Un­ter­schrift kann er je­der­mann die Kas­se aus­lee­ren.«

      »Sie re­den recht deut­lich, Herr Bi­rot­teau«, sag­te Lour­dois.

      »Er hat recht«, sag­te der alte Ra­gon.

      »Alle Fal­li­ten sind ver­däch­tig«, sag­te Cäsar, der sich über den klei­nen Ver­lust är­ger­te, der ihm in den Ohren klang wie der ers­te Ton des Ha­la­li dem Hir­sche.

      In die­sem Au­gen­blick brach­te der Ge­schäfts­füh­rer die Rech­nung von Che­vet. Dann kam ein Lehr­ling von Fe­lix, ein Kell­ner aus dem Café de Foy und Col­li­nets Kla­ri­net­tist mit den Rech­nun­gen ih­rer Fir­men.

      »Die be­kann­te ›Vier­tel­stun­de Ra­be­lais‹«, sag­te Ra­gon lä­chelnd.

      »Sie ha­ben wirk­lich ein schö­nes Fest ge­ge­ben«, sag­te Lour­dois.

      »Ich bin jetzt be­schäf­tigt«, sag­te Cäsar zu den Ro­ten, die ihre Rech­nun­gen zu­rück­lie­ßen.

      »Herr Grin­dot,« sag­te Lour­dois, als er sah, wie der Archi­tekt den Wech­sel, den Bi­rot­teau un­ter­zeich­net hat­te, zu­sam­men­fal­te­te, »Sie kön­nen mei­ne Rech­nung be­stä­ti­gen und be­zah­len las­sen; Sie brau­chen sie nur durch­zu­se­hen, die Prei­se ha­ben Sie ja in Herrn Bi­rot­te­aus Auf­trag mit mir ver­ein­bart.«

      Pil­ler­ault sah Lour­dois und Grin­dot an.

      »Wenn die Prei­se zwi­schen Archi­tekt und Un­ter­neh­mer ab­ge­macht sind,« sag­te er lei­se zu sei­nem Nef­fen, »dann bist du übers Ohr ge­hau­en.«

      Grin­dot ent­fern­te sich, Mo­li­neux folg­te ihm und sag­te mit ge­heim­nis­vol­ler Mie­ne zu ihm:

      »Mein Herr, vor­hin ha­ben Sie mir wohl zu­ge­hört, aber Sie ha­ben mich nicht ver­stan­den: ich wün­sche Ih­nen einen Re­gen­schirm.«

      Grin­dot er­schrak. Je il­le­ga­ler ein Ge­winn ist, um so mehr hängt der Mensch an ihm. Das Men­schen­herz ist nun ein­mal so be­schaf­fen. Der Her­stel­lung der Woh­nung hat­te sich der Künst­ler mit Lie­be an­ge­nom­men, er hat­te all sein Kön­nen und sei­ne Zeit dar­auf ver­wen­det, er hat­te sich für zehn­tau­send Fran­ken Mühe ge­macht, und nun soll­te er der Narr sei­nes Ei­gen­nut­zes sein; denn die Un­ter­neh­mer hat­ten ihn ohne große Mühe auf ihre Sei­te ge­bracht. Das durch­schla­gen­de Ar­gu­ment und die wohl­ver­stan­de­ne Dro­hung, ihm durch Ver­leum­dung scha­den zu wol­len, wa­ren we­ni­ger wirk­sam ge­we­sen, als Lour­dois’ Be­mer­kung über die Ter­rains bei der Ma­de­lei­ne; da­bei dach­te Bi­rot­teau nicht dar­an, hier auch nur ein ein­zi­ges Haus bau­en zu las­sen, er spe­ku­lier­te nur auf das Stei­gen der Ter­rain­prei­se. Die Archi­tek­ten und die Un­ter­neh­mer ste­hen zu­ein­an­der in dem­sel­ben Ver­hält­nis wie die Au­to­ren zu den Schau­spie­lern, ei­ner ist vom an­dern ab­hän­gig. Grin­dot, von Bi­rot­teau be­auf­tragt, den Preis aus­zu­be­din­gen, stell­te sich auf die Sei­te der Leu­te vom Hand­werk ge­gen die Bour­geois. Des­halb er­klär­ten ihn auch die drei rei­chen Un­ter­neh­mer, Lour­dois, Chaf­faroux und Thor­ein für »einen gu­ten Kerl, mit dem es ein Ver­gnü­gen sei, zu ar­bei­ten«. Grin­dot be­schlich die Ah­nung, daß ihre Rech­nun­gen, an de­nen er einen Ge­winnan­teil hat­te, eben­so wie sein ei­ge­nes Ho­no­rar, mit Wech­seln be­zahlt wer­den wür­den, und die Wor­te des klei­nen Al­ten hat­ten Zwei­fel über de­ren Ein­lö­sung in ihm auf­stei­gen las­sen. Grin­dot woll­te un­er­bitt­lich vor­ge­hen, ge­gen die Bour­geois sind Künst­ler am grau­sams­ten.

      Ge­gen Ende De­zem­ber hat­te Cäsar Rech­nun­gen


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