Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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mein dickes Müt­ter­chen,« sag­te er mit sei­ner schreck­li­chen Leut­se­lig­keit, »wie geht un­ser klei­nes Ge­schäft?«

      »Es geht so sach­te«, er­wi­der­te Frau Ma­dou re­spekt­voll und bot dem Wu­che­rer ih­ren ein­zi­gen Ses­sel mit un­ter­tä­ni­ger Freund­lich­keit an, wie sie sie nicht ein­mal ih­rem »teu­ren Verb­li­che­nen« er­wie­sen hät­te.

      Mut­ter Ma­dou, die einen wi­der­spens­ti­gen oder zu un­ver­schäm­ten Fuhr­mann zu Bo­den ge­wor­fen hät­te, die sich nicht ge­fürch­tet hät­te, am 10. Ok­to­ber den Sturm auf die Tui­le­ri­en mitz­u­ma­chen, die schließ­lich auch im­stan­de ge­we­sen wäre, im Na­men der Markt­hal­len­wei­ber vor dem Kö­ni­ge das Wort zu füh­ren, An­ge­li­ka Ma­dou emp­fing Gi­gon­net mit dem tiefs­ten Re­spekt. In sei­ner Ge­gen­wart war sie kraft­los, sie zit­ter­te un­ter sei­nem ste­chen­den Blick. Die Leu­te aus dem Vol­ke wer­den noch lan­ge vor dem Hen­ker zit­tern, und Gi­gon­net war der Hen­ker des Han­dels­stan­des. In den Ver­kaufs­hal­len wird kei­ne Macht hö­her ge­ach­tet als die des Man­nes, der den Geld­kurs macht. Alle an­dern mensch­li­chen Ein­rich­tun­gen be­deu­ten ne­ben ihm nichts. Selbst die Jus­tiz ver­wan­delt sich hier in den Po­li­zei­kom­missar, eine Per­son, mit der man sich an­freun­det. Aber der Wu­cher, der hin­ter sei­nen grü­nen Map­pen sitzt, der mit angst­vol­lem Her­zen an­ge­fleht wird, läßt den Scherz erster­ben, preßt die Keh­le zu, läßt den stol­zen Blick sich sen­ken und macht das Volk ehr­er­bie­tig.

      »Wün­schen Sie et­was von mir?« sag­te sie.

      »Ach nichts, eine Klei­nig­keit; hal­ten Sie sich be­reit, Bi­rot­te­aus Wech­sel ein­zu­lö­sen, der gute Mann hat Bank­rott ge­macht, al­les wird ein­klag­bar, ich wer­de Ih­nen mor­gen die Abrech­nung zu­schi­cken.«

      Frau Ma­dous Au­gen zo­gen sich erst zu­sam­men wie die ei­ner Kat­ze, dann brach eine Flam­me aus ih­nen her­vor.

      »Ach, die­ser Lump! Ach, die­ser Ver­bre­cher! Und da is er sel­ber zu mir ge­kom­men und hat zu mir ge­sagt, daß er Bei­ge­ord­ne­ter is, und hat mir was vor­ge­schwin­delt. So geht’s Ei­nem beim Ge­schäft! Auf die Bür­ger­meis­ter kann man sich nicht mehr ver­las­sen und die Re­gie­rung be­trügt uns auch. Aber war­te, ich wer’ mir mein Geld schon ver­schaf­fen …«

      »Na ja, mein gu­tes Kind, beim Ge­schäft sieht je­der, wo er bleibt!« sag­te Gi­gon­net und hob sei­nen Fuß mit ei­ner leich­ten Be­we­gung wie eine Kat­ze, die eine schmut­zi­ge Stel­le pas­sie­ren will, und der er auch sei­nen Spitz­na­men ver­dank­te. »Es gibt klu­ge Leu­te, die es ver­ste­hen, sich bei so et­was her­aus­zu­zie­hen.«

      »Schön, schön! Ich wer­de mich mit mei­nen Nüs­sen auch schon her­aus­zie­hen. Han­ne-Ma­rie! Mei­ne Über­schu­he und mei­nen Ha­sen­fel­lum­hang, aber schnell, oder dir sol­len mei­ne fünf Fin­ger auf der Ba­cke bren­nen.«

      »Das wird die gan­ze Stra­ße in Aufruhr brin­gen«, sag­te Gi­gon­net zu sich und rieb sich die Hän­de. »Du Til­let wird zu­frie­den sein, wenn es Skan­dal in dem Vier­tel gibt. Ich weiß nicht, was ihm die­ser arme Teu­fel von Par­füm­händ­ler ge­tan hat, mir tut er nicht mehr leid als ein Hund, der sich das Bein ge­bro­chen hat. Das ist kein Mann, der ist nicht im­stan­de, sich durch­zu­set­zen.«

      Wie ein Auf­lauf im Fau­bourg Saint-An­to­i­ne voll­zog sich das Er­schei­nen der Frau Ma­dou um sie­ben Uhr abends vor der Tür des ar­men Bi­rot­teau, die sie mit wü­ten­der Ge­walt auf­riß, denn der Weg hat­te sie noch mehr in Auf­re­gung ver­setzt.

      »Ich muß mein Geld ha­ben, ihr ver­fluch­te Ban­de, ich will mein Geld ha­ben! Ihr werd’ mir mein Geld ge­ben, oder ich nehm’ mir die Riech­kis­sen, die sei­de­nen Kin­ker­litz­chen, die Fä­cher, und über­haupt Wa­ren für mei­ne zwei­tau­send Fran­ken! Hat man schon mal ge­se­hen, daß die Bei­ge­ord­ne­ten die Bür­ger­schaft be­steh­len? Wenn ihr mich nicht be­zahlt, bring’ ich ihn auf die Ga­lee­ren, ich geh’ zum Staats­an­walt, ich mach die Jus­tiz mo­bil! Ich geh’ hier nich weg ohne Geld!«

      Und sie schick­te sich an, die Schei­ben ei­nes Schran­kes zu öff­nen, der kost­ba­re Ge­gen­stän­de ent­hielt.

      »Die Ma­dou packt zu«, sag­te Cöles­tin lei­se zu sei­nem Nach­bar.

      Aber die Händ­le­rin hat­te das Wort ge­hört, denn im Par­oxys­mus der Lei­den­schaft wer­den die Or­ga­ne schwä­cher oder schär­fer, je nach der Kon­sti­tu­ti­on des Be­tref­fen­den – und die derbs­te Ohr­fei­ge, die je in ei­nem Par­fü­me­ri­e­la­den aus­ge­teilt wur­de, brann­te auf Cöles­tins Ba­cke.

      »Das wird dich leh­ren, wie man mit Frau­en um­zu­ge­hen hat, mein En­gel,« sag­te sie, »und daß man nich noch mit dem Na­men von de­nen, die man bes­tiehlt, Spott treibt.«

      »Frau Ma­dou«, sag­te Frau Bi­rot­teau und kam aus dem hin­te­ren Teil des La­dens nach vorn, wo sich zu­fäl­lig auch ihr Mann, den der On­kel Pil­ler­ault ab­ho­len woll­te, be­fand, und der, um dem Ge­setz zu ge­nü­gen, sei­ne Selbs­t­ent­äu­ße­rung so­weit trieb, daß er sich ver­haf­ten las­sen woll­te; »um Him­mels wil­len, Frau Ma­dou, ru­fen Sie doch kei­nen Auf­lauf der Passan­ten her­vor.«

      »Mö­gen sie doch rein­kom­men!« sag­te das Weib, »ich wer’ ih­nen die Sa­che schon er­zäh­len, eine Ge­schich­te zum La­chen! Oh ja! Mei­ne Ware und mei­ne im Schweiß mei­nes An­ge­sichts zu­sam­men­ge­kratz­ten Ta­ler sind dazu da, da­mit ihr Bäl­le gebt. Und Sie, Sie gehn hier rum, an­ge­zo­gen wie die Kö­ni­gin von Frank­reich, und die Wol­le dazu, die neh­men Sie von ar­men Läm­mern, wie ich eins bin! Je­sus! Ge­stoh­le­nes Gut, das wür­de mir ja die Schul­tern ver­bren­nen! Ich hab nur ein Ha­sen­fell auf mei­nem Leich­nam, aber das ge­hört mir! Gebt mir mein Geld, ihr Bri­gan­ten, oder …«

      Und sie stürz­te sich auf ein schö­nes Käst­chen mit ein­ge­leg­ter Ar­beit, das kost­ba­re Toi­let­ten­ge­gen­stän­de ent­hielt.

      »Las­sen Sie das lie­gen, Frau Ma­dou«, sag­te Cäsar, der her­an­ge­tre­ten war. »Al­les hier ge­hört nicht mir, son­dern mei­nen Gläu­bi­gern. Mir ge­hört nur noch mei­ne Per­son; wol­len Sie die ha­ben und mich ins Ge­fäng­nis brin­gen, so gebe ich Ih­nen mein Ehren­wort« (da­bei tra­ten ihm die Trä­nen in die Au­gen), »daß ich Ihren Ge­richts­voll­zie­her hier er­war­ten wer­de, eben­so den Be­am­ten des Han­dels­ge­richts und sei­ne Leu­te …«

      Der Ton und die Ges­te stan­den in sol­chem Ein­klang mit die­sen Wor­ten, daß Frau Ma­dous Zorn ver­rauch­te.

      »Mein Ver­mö­gen ist mir von ei­nem No­tar un­ter­schla­gen wor­den, ich bin un­schul­dig an dem Un­glück, das ich ver­ur­sa­che«, fuhr Cäsar fort; »aber mit der Zeit wer­den Sie Ihr Geld zu­rück­be­kom­men, und soll­te ich mich tot ar­bei­ten und Ta­ge­löh­ner oder Last­trä­ger in der Markt­hal­le wer­den.«

      »Na, na, Sie sind ein bra­ver Mann«, sag­te die Ma­dou. »Neh­men Sie mir nich übel, Ma­dam, was ich ge­sagt hab; aber ich muß ja ins Was­ser gehn, Gi­gon­net läßt mich nich lo­cker, und ich kann für Ihre ver­damm­ten Wech­sel nur and­re ge­ben, die erst in zehn Mo­na­ten fäl­lig sind.«

      »Kom­men Sie mor­gen früh zu mir,« sag­te Pil­ler­ault, der sich jetzt zeig­te, »ich wer­de Ihre Sa­che von ei­nem mei­ner Freun­de mit fünf Pro­zent ord­nen las­sen.«

      »Ei, das is ja der bra­ve Va­ter Pil­ler­ault! Ach ja, das is ja Ihr On­kel«,


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