Nie am Ziel. Helmuth Lohner. Eva Maria Klinger

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Nie am Ziel. Helmuth Lohner - Eva Maria Klinger


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      Eva Maria Klinger

      Nie am Ziel

      Helmuth Lohner

      EVA MARIA KLINGER

      Nie am Ziel

      Helmuth Lohner

      DIE BIOGRAFIE

      Mit 82 Abbildungen

      AMALTHEA

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      © 2015 by Amalthea Signum Verlag, Wien

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

      Umschlagfotos: © Ullstein-Timpe/Ullstein Bild/picturedesk.com (vorne), © Ali Schafler/First Look/picturedesk.com (hinten) Lektorat: Martin Bruny Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten Gesetzt aus der 11,5/15 pt Minion ISBN 978-3-99050-022-4 e-ISBN 978-3-903083-09-7

Inhalt image

      Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben

      Wir begegnen einander zufällig in der Wiener Innenstadt an der Ecke Kärntner Straße/Staatsoper. Es ist ein kühler Nachmittag im März 2010. Helmuth Lohner verlangsamt seinen sportlichen, etwas eckigen Gang, sobald er mich erkennt. Hautenge Hosen kleben an den schlaksigen, leicht nach außen gewölbten Beinen, und die teure, edle Jacke, eigentlich zu dünn für die Witterung, wirkt so unterspielt lässig, dass ich mit fragendem Blick über das feine Tuch streiche.

      Er nennt das italienische Label mit lächelndem Understatement. Es ist dieses typische, vertraute, fast verlegene Lohner-Lächeln, das Zurückhaltung, Unsicherheit womöglich, das jedenfalls seine tiefe Überzeugung ausdrückt, der Alltag, die Menschen, die Welt, und eben auch dieser kleine Hang zum Luxus seien nur mit Humor zu ertragen.

      Liebenswert ist der Mann, aber niemals liebenswürdig im wienerischen Sinn, wo meistens ein Hauch von Anbiederung oder verlogener Freundlichkeit mitschwingt.

      Und dann hat er sofort ein kleines Bonmot parat: »Als hätten wir’s uns ausg’macht«, sagt er.

      Wir haben es uns nämlich tatsächlich ausgemacht, allerdings erst für eine Viertelstunde später und im Kaffeehaus.

      Wir passieren die Rückseite der Oper, wo er seit der Silvesterpremiere 1979 in der bis heute unverwüstlichen Fledermaus-Inszenierung von Otto Schenk in den ersten Jahren danach an jedem Silvester den Frosch gespielt hat. Auch in München, Hamburg, Zürich, Bonn, Berlin und Lissabon ist sein betrunkener Dummkopf, der erstaunlich kluge, alljährlich aktualisierte Weltbetrachtungen zum Besten gibt, begehrt. Ich bin nicht sicher, ob das zur puren Unterhaltung wild entschlossene Silvesterpublikum das Bemerkenswerte seiner Rollengestaltung zu würdigen weiß. Dieser in der Operette unverzichtbare 3.-Akt-Komiker liefert in Lohners Darstellung nicht aus Lust am Blödeln komische Spaß-Einlagen ab, sein Gefängniswärter Frosch steht unter dem Schock einer existenziellen Bedrohung. Für ihn werden die sich überstürzenden, durch übermäßigen Schnaps-Konsum umso unverständlicheren Ereignisse zum ausweglosen Desaster, dem er mit Galgenhumor und einem akrobatischen Sprung auf den Kasten entflieht. Zum Verzweifeln komisch!

      Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat einmal noch vor Amtsantritt seinen 14-jährigen Sohn in eine Fledermaus-Vorstellung mitgenommen und ihm versprochen, dass er, aus Frankreich kommend und noch schlecht deutsch sprechend, während der vielen Dialoge im 3. Akt den Zuschauerraum verlassen darf. Der Bub war jedoch so fasziniert von Lohners Frosch, dass er in allen künftigen Vorstellungen ausschließlich den 3. Akt besucht hat.

      Niemals konnte man Helmuth Lohner in den unzähligen komödiantischen Erfolgs-Rollen platt servierter komischer Tricks überführen, obwohl er sie sich zweifellos minutiös zurechtgelegt hat. Es ist eines der Geheimnisse seiner bezwingenden Wirkung, dass seine der Lächerlichkeit preisgegebenen Figuren von einer Notlage in die Enge getrieben werden und gezwungen sind, die merkwürdigsten Maßnahmen zu ergreifen, um der schier unabwendbaren Katastrophe zu entfliehen.

      Auch in diesem Jahr, 2010, wird Helmuth Lohner zum Finale der Ära Holender am Silvesterabend noch einmal das Publikum in der Wiener Staatsoper zum Lachen bringen. Er arbeitet sowieso lieber, als an den zwangsveranstalteten Silvester-Partys teilzunehmen. Seine seit 18 Jahren an seiner Seite lebende Gefährtin Elisabeth Gürtler, die höchst erfolgreiche Chefin des Hotels Sacher und langjährige fabelhafte Organisatorin des Wiener Opernballs, der er 2011 das Ja-Wort geben wird, respektiert seine Silvesterverpflichtungen. Hat sie doch selbst an diesem Abend ihren Gästen und ihrem Personal im Hotel zur Verfügung zu stehen.

      »Wenn der Helmuth von der Vorstellung kam, hat er eine Kleinigkeit gegessen, und dann sagte er: ›Jetzt müssen wir das neue Jahr einläuten!‹ Wir sind Hand in Hand vors Hotel gegangen, haben die schweren Klänge der Pummerin ganz nah vom Stephansplatz gehört und in den vom Feuerwerk erleuchteten Himmel geschaut«, wird mir Elisabeth Gürtler nach seinem Tod sagen, und nachdenklich hinzufügen: »Wir haben eigentlich in all den Jahren trotz vieler Unterschiede nie ernsthaft gestritten, höchstens wenn Helmuth zu viel geraucht oder zu viel getrunken hat. Da konnte ich wirklich böse werden.«

      Das Café Sacher, wo der »Herr Lohner« vom Personal geliebt und verwöhnt wird, wo er, obwohl er täglich taxfrei dinieren könnte, peinlichst bedacht ist, jeden Mocca fürstlich zu bezahlen, lassen wir an diesem Nachmittag rechts liegen. Wir hatten das Café Tirolerhof, sein bevorzugtes Wiener Kaffeehaus, als Treffpunkt für das Interview vereinbart. Dort wird er nicht weniger respektvoll begrüßt. Er wird gemocht, weil er ein feiner Mensch ist, der Verständnis für die Mühsal der Beladenen hat und der sicher ein sehr guter Schauspieler ist, so liest man es zumindest in den im Café aufliegenden Zeitungen. Ein angesehener Direktor des Theaters in der Josefstadt war er bis vor ein paar Jahren auch, großer Kunstverstand, Weitblick und selten gewordene Anständigkeit wurden ihm attestiert.

      Wir bestellen Tee und Kaffee, Helmuth greift zur unverzichtbaren Zigarette. Wie oft klebte schon ein Entwöhnungspflaster an seinem Rücken, während er den Zigarettenrauch mit Genuss einsog! Den Tisch neben uns hält der Kellner frei.

      Der Anlass für mein Interview, das im Aprilheft des Monatsmagazins Bühne erscheinen wird: Helmuth Lohner hat, entgegen seinen sehr glaubwürdigen Beteuerungen, nie mehr Theater spielen zu wollen, doch wieder eine Rolle gelernt. Diesmal sogar aus eigenem Antrieb und nicht, weil ihn entweder der Theaterdirektor Föttinger oder sein langjähriger Bühnenpartner Otto Schenk unter großen Anstrengungen zu einer Rolle überredet haben, was früher öfter geschehen ist und in den nächsten fünf Jahren zum Glück noch ein paar Mal passieren wird. Diesmal hat ihn ein Stück, das fast nur aus einer – seiner – Rolle besteht, gereizt.

      »Englische Freunde haben in London Jeremy Irons in einem Stück von Christopher Hampton gesehen. Sie waren so begeistert, dass sie es mir empfohlen haben«, entschuldigt Helmuth Lohner seinen Rückfall.

      Es handelt sich um die dramatisierte Fassung des Romans Die Glut von Sándor Márai. Mit der Grazer Intendantin Anna Badora war er darüber schon länger im Gespräch, sie interessiert sich für die Rechte an dem Stück, und vor allem für Helmuth Lohner. Die älteren Grazer Theaterliebhaber erinnern sich noch, dass er zur Wiedereröffnung des Schauspielhauses im Frühjahr 1964 mit einem gefeierten, unvergessenen Hamlet beeindruckte, den er »einschob«, obwohl er zu dieser Zeit fünf große Rollen an drei verschiedenen Bühnen spielte und einen Film drehte. Er war damals 31 und wurde landauf, landab als Jahrhundert-Talent gepriesen. Seinen Hamlet, die bedeutendste Shakespeare-Rolle überhaupt, musste er im Zeitraum von 13 Jahren in verschiedenen Inszenierungen auch in Basel, Düsseldorf und Zürich spielen. An die 300 Mal wird er Hamlet gespielt haben, aber »wirklich gut waren vielleicht nur drei Vorstellungen«, sagt er, der ewig mit sich Unzufriedene. Die Grazer Augenzeugen schrieben von einem »Mittelding zwischen einem Pessimisten und einem exaltierten


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