Was mich umtreibt. Galen Strawson

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Was mich umtreibt - Galen  Strawson


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gefunden habe, die man als «psychologischen Satzbau des weiblichen Geschlechts» bezeichnen könne, aber ich bezweifle, dass diese Merkmale in irgendeiner Weise geschlechtsspezifisch sind.

       7

      Während des Bewusstseinsprozesses kommt es immer wieder zu Brüchen, und das nicht nur auf inhaltlicher Ebene. Das Denken kann sich auf einen vollkommen anderen, neuen Gegenstand richten, ohne dass wir eine Unterbrechung oder zeitliche Lücke im Bewusstseinsprozess empfinden. Trotzdem scheint mir, dass ein nahtlos fortlaufendes Bewusstsein relativ selten zu erleben ist. Wenn ich allein bin und nachdenke, vor allem über das Denken selbst, stelle ich fest, dass mein Bewusstsein immer wieder von Neuem hervorgebracht wird. Dies impliziert automatisch punktuelle Phasen von Nicht-Bewusstheit. Die (unvergleichlich kurzen) Sequenzen ununterbrochenen Bewusstseins stehen radikal unverbunden nebeneinander, selbst wenn es sich um denselben (oder nahezu denselben) Gedanken handelt, der nach blitzartigem Aussetzen wiederauftaucht. Nach meinem Empfinden handelt es sich um eine kontinuierliche Abfolge von Bewusstseins-Neustarts aus dem Nichts.

      Manche Brüche bringen einen kompletten Fokus-Wandel mit sich, andere trennen Gedanken, die sich mit demselben Inhalt beschäftigen. Manches Mal richten wir unsere Aufmerksamkeit in so vollständiger Weise auf etwas, dass uns ein Bewusstseins-Bruch fast entgeht. Es handelt sich dann eher um eine Zäsur, ein gänzlich akzidentelles Merkmal des Bewusstseins-Mechanismus (quasi eine «refresh rate»). Vielleicht liegt ihre Funktion darin, die Aufmerksamkeit neu zu fassen und zu bündeln, um eine neue Synthese im kantianischen Sinne zu schaffen. Diese Sequenzierungsprozesse laufen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit ab, sodass es uns extrem schwerfällt, solche Lücken oder Brüche wahrzunehmen; aber unmöglich ist es nicht. Man stelle sich dies ungefähr so wie den Lidschlag vor: Eigentlich bleibt er unbemerkt, erst wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf ihn richten, nehmen wir ihn wahr.

      Vielleicht ist dies ja eine vorschnelle Generalisierung meines eigenen Erlebens oder ein unwillentliches Bekenntnis von Schizophrenie. Und doch gehe ich davon aus, dass ein sorgfältiges mentales Selbst-Studium jedem Menschen bis zu einem gewissen Grad ähnliche Erkenntnisse beschert. Glaubt man daran, dass Bewusstsein fließend vonstatten geht, wird man es unweigerlich auch als Bewusstseinsstrom erleben, aber bei genauerer Überlegung wird man diese Metapher mit Sicherheit in Zweifel ziehen.

      Ezra Pound scheint so etwas nicht ganz Perfektes im Sinn gehabt zu haben, als er schrieb:

      «Eine bewusste Disjunktion,

      Nichts sein als diese verwischte

      Serie

      von Unterbrechungen.»

      Pounds Worte treffen hervorragend auf jemanden wie Malcolm Lowry zu – auf seine Begabung und seine Vision, nicht seine Trunkenheit. Für einige stellen sie eine akkurate Beschreibung harter und effektiver Gedankenarbeit dar, die sich mit schwierigen Inhalten beschäftigt. Für andere bilden sie ganz gewöhnliche Denk-Prozesse ab, ohne irgendeine Geringschätzung zu implizieren.

      «Sind Sie sicher? Vielleicht ist die Erfahrung der Disjunktion ein Artefakt der Introspektion: Vielleicht werden die Tatsachen durch den Versuch, sie zu beobachten, verzerrt. Vielleicht ist das nicht beachtete Bewusstsein in Wirklichkeit ein Fluss.»

      Darauf habe ich zwei Antworten. Erstens: Auch wenn das Auftreten von Unterbrechungen teilweise oder sogar zu großen Teilen durch das «Hinschauen» künstlich erzeugt wäre, zeigt dies doch, wie Bewusstsein sich selbst erscheint. Dieser Aspekt ist vor allem dann interessant, wenn man Bewusstseinsaktivitäten das Gefühl von Kontinuität zugrunde legt. Zweitens: Wir werden spontan einer Zäsur im Bewusstsein gewahr, d.h. wir stellen fest, was gerade passiert, und nicht umgekehrt, dass wir nur dann etwas stattfinden sehen, wenn wir auch genau darauf achten. (Man kann hier schlicht und ergreifend keine Entscheidung treffen, denn das würde voraussetzen, dass wir in der Lage wären, etwas zu beobachten, während es gleichzeitig unbeobachtet bleibt.)

       8

      Wenn es in der Natur unseres Bewusstseins liegt, sich von Moment zu Moment zu bewegen, entstammt unser Empfinden von Kontinuität also nicht wirklich einem objektiv ununterbrochenen Gedankenstrom. Die Quellen für dieses Gefühl müssen zwangsläufig andere sein. Dank unseres Kurzzeitgedächtnisses und durch die Beständigkeit und Kohärenz des gedanklichen Inhalts bleiben unsere Erfahrungen durch die Zeit hindurch miteinander verbunden – trotz radikaler Sprünge und Zäsuren im Bewusstseinsprozess.

      Untersuche ich den Ablauf meines Denkens detailliert, mag es fahrig und ruckartig erscheinen. Und doch steht meine Erfahrung in Verbindung mit einem ganzen Pool von Konstanten und stetigen Wandlungsprozessen in meiner Umwelt, meinen Körper eingeschlossen. (Ein Beispiel: Ich arbeite eine Stunde lang in einem Raum; ich betrachte den Regen auf der Fensterscheibe, denn kehre ich zu meiner Seite zurück; während der ganzen Zeit halte ich denselben Stift.)

      Auf den ersten Blick wirken diese äußerlichen Konstanten und die Beständigkeit meiner Gedankeninhalte wie Charakteristika meines Bewusstseinsprozesses. Sie sind dies aber nicht wirklich. Und doch vermögen sie mir das Gefühl eines beständigen «Ichs» zu geben und tun dies den ganzen Tag über. Auf diese Weise bahnt sich die Idee ihren Weg, dass dieses «Ich» auch über den Schlaf hinaus fortbesteht, und so von Woche zu Monat und von Monat zu Jahr.

      Wenngleich mir mein Bewusstseinsprozess nicht als nahtloser Fluss erscheint, kann ich trotzdem mein mentales «Selbst» als Konstante empfinden. Beim ersten Blick auf unser Bewusstsein vom «Ich» – es ist bereits schwer, darüber nachzudenken und es nicht bloß zu haben – wird unsere unmittelbare Reaktion sein, unser «Selbst» als etwas zu begreifen, das den gesamten wachbewussten Tag über fortbesteht. Etwas, das all die Gedankenfragmente und Erfahrungssequenzen hat, selbst jedoch ungeteilt ist. Gestützt wird diese Reaktion durch unsere Wahrnehmung unserer selbst als gesamter Mensch mit einer fest verankerten Palette von grundsätzlichen Überzeugungen, Vorlieben, Begabungen, mentalen Fähigkeiten usw.

      In meinem Fall ist diese Reaktion an sich schwach ausgeprägt und leicht zu untergraben. Denke ich über mein mentales Leben nach, verstehe ich mich sowieso nicht als gleichbleibendes «Ich», nicht einmal für einen einzigen Tag, geschweige denn darüber hinaus. Das Gefühl von Kontinuität beschränkt sich bei mir auf meine rein körperliche Anwesenheit. Wenn ich mich als «mentales Subjekt der Erfahrung» betrachte, empfinde ich mein «Ich» in jedem Augenblick als ein neues. Nicht was meine Persönlichkeit oder mein Aussehen betrifft, in der Hinsicht besitze ich sehr wohl eine perfekte Kenntnis davon, was mich, Galen Strawson, an jedem Tag gleichbleibend ausmacht. Wenn ich allerdings den Kern meines Selbstverständnisses als mentales Wesen nehme, fühle ich mich immer wieder neu.

      In seiner Autobiografie schreibt John Updike: «Ich habe das beharrliche Gefühl, im Leben und in der Kunst, dass ich gerade erst anfange.» Das trifft es genau. Die Erfahrung vom «Ich» als etwas, das sich immer wieder neu bildet, ist meines Erachtens fundamental und universal zugänglich, wird bei vielen aber durch vertraute und gegenläufige Denkgewohnheiten blockiert. Nur Reflexion kann dies klar zutage treten lassen. Ich fühle mich besonders den Zeilen Harold Brodkeys verbunden:

      «Unser Gefühl von Gegenwärtigkeit bewegt sich gewöhnlich in Wellen voran, von denen wir geistig abgeworfen werden; wir schweifen ab. Gewöhnlich tauchen wir wieder auf, reiten weiter auf der Welle und stürzen ab, immer von Neuem … doch was uns ausmacht, ist dieses Abfallen und Wiederkehren

      Ich empfinde mich als Nomaden in der Zeit, wobei diese Metapher widersinnig ist, denn es handelt sich ja um das «Ich» selbst, das die Flüchtigkeit einer temporären Lagerstätte hat.

      Wissenschaftliche Untersuchungen von Ernst Pöppel und Eva Ruhnau haben ergeben, dass das «bewusste Jetzt» ungefähr drei Sekunden andauert, d.h. länger bestehen wir nicht als wir selbst. «In diesem Sinne», schreibt Miroslav Holub, «währt unser Ich drei Sekunden». Seine Behauptung hat Berührungspunkte mit meiner Ansicht. Aber die Kürze des «bewussten Jetzt» muss meines Erachtens nicht notwendigerweise zu dem Gefühl eines Bewusstseinsbruchs oder der Neuheit beitragen. Unsere Erfahrung kann wie ein dünner Lichtstrahl erscheinen, der weich und beständig


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