Hockneys Leben. Catherine Cusset

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Hockneys Leben - Catherine Cusset


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in dem die Füße versanken, einem Fernseher und einem richtigen Badezimmer. David kannte bisher niemanden, der in so jungen Jahren bereits so luxuriös wohnte. Aber Ferrills Lebensstil erstaunte ihn noch viel mehr: Freunde und Bekannte gingen bei ihm ein und aus, duschten mit ihm, schlüpften in sein Bett. Freie Liebe, ohne Verpflichtungen, ohne Eifersucht, ohne Schuldgefühle. Nur genießen und Genuss verschaffen. So sah das Leben aus, das David sich wünschte. Bye bye Bradford! Selbst London wirkte im Vergleich zu New York düster.

      Als er endlich den Kurator der Grafikabteilung des New Yorker Museum of Modern Art anrief, dessen Namen ihm Mr. Erskine genannt hatte, erwartete ihn eine weitere Überraschung: Nicht nur wusste der Mann, wer er war – er hatte sogar von Erskine einen Brief erhalten, in dem dieser seinen brillanten Schützling empfahl. Und er sah sich die Radierungen, die David aus London mitgebracht hatte, nicht nur an, er kaufte sie sogar! David konnte es kaum fassen. Das Museum of Modern Art in New York kaufte ihm, einem Studenten, Radierungen ab! Welch eine Großmut! Wie leicht das Leben in Amerika war!

      Das Geld kam wie gerufen, denn David war blank. Nun konnte er sich einen lässigen hellen Freizeitanzug nach der neuesten Mode kaufen. Und ein Mini-Transistorradio, eines, wie es die Amerikaner mit sich herumtrugen, die er zunächst für schwerhörig gehalten hatte wie seinen Vater, weil ein kleiner Stöpsel in ihrem Ohr steckte. Ferrill erklärte ihm schließlich, dass sie einfach nur Tag und Nacht Musik hörten.

      Im September kehrte ein neuer Mensch nach London zurück. Ein großer Blonder im weißen Anzug. Er hatte einige Ideen im Gepäck: Er würde ein großformatiges Gemälde schaffen, nach Art der amerikanischen Abstrakten, für das er viel Platz im Atelier des Royal College beanspruchen konnte; nur wäre es eben kein abstraktes Gemälde, sondern eines mit Figuren. Inspiriert von den altägyptischen Exponaten im MoMA, von Dubuffet und von Kavafis’ Gedicht Warten auf die Barbaren malte er eine aus drei Personen bestehende Prozession, die er A Grand Procession of Dignitaries in the Semi-Egyptian Style nannte. Er schrieb den Titel in das Gemälde hinein, damit offensichtlich war, dass er sich nicht ernst nahm und alles ein Spiel war. Zudem hatte ein Titel von dieser Länge noch einen anderen Vorteil: Er nahm im Katalog der vom Royal College ausgestellten Werke mehrere Zeilen ein und würde bemerkt werden. Gewitzt wie sein Vater, hatte David begriffen, dass Erfolg nicht vom Himmel fiel. In New York hatte er etwas bewundern gelernt, das man in Großbritannien für schlechten Stil hielt: die Gewandtheit, mit der die Amerikaner sich vermarkteten, ohne falsche Scham und schlechtes Gewissen. Er hatte die Aufmerksamkeit der Kritik erregt, nun musste er sie halten. Ein großer Blonder im weißen Anzug, der seine abweichende sexuelle Orientierung nicht versteckte, interessierte sie mehr als ein Maler aus Bradford in West-Yorkshire!

      Er amüsierte sich nach Kräften. Unter dem Titel Cleaning Teeth; Early Evening malte er zwei einander zugewandte männliche Figuren, deren Penisse er durch Colgate-Tuben ersetzte (Zahnpflege war in den USA geradezu eine Obsession). Das Bild war ausgesprochen obszön und sehr witzig. Im Bereich Radierung schuf er seine eigene Version der Radierfolge A Rake’s Progress, in der William Hogarth, ein Maler des 18. Jahrhunderts, den Werdegang eines jungen Wüstlings illustriert hat, der in der Großstadt ein ausschweifendes Leben führt. Der Bezug zu diesem klassischen Werkzyklus erlaubte es ihm, seine eigenen New Yorker Abenteuer auf spielerische Weise zu verarbeiten: die Ankunft mit dem Flugzeug, den Verkauf seiner Radierungen an den Leiter des MoMA, die muskulösen jungen Amerikaner, die unter den Blicken des schmächtigen David im Achselshirt durch den Central Park joggen, Männer in Schwulenbars, seine mit Clairol gebleichten Haare, die ihm die Pforten des Paradieses öffnen, und sogar die Mini-Transistorradios, an denen alle Amerikaner hingen, als hätten sie ihre Individualität eingebüßt. Sein perfekter Strich brachte ihm das Lob seiner alten Professoren ein.

      Das Leben lächelte ihm zu. Er wagte es sogar, der Verwaltung des Royal College zu erklären, er sei die hässlichen, dicken, vierzigjährigen Frauen leid, die man ihm als Modelle anbot. Manet, Degas und Renoir wären niemals Manet, Degas und Renoir geworden, hätten sie sich nicht von ihren Modellen inspirieren lassen. Er verlangte einen Mann. Die Hochschule beugte sich seiner Beharrlichkeit und gab nach. Da niemand außer ihm einen nackten Mann malen wollte, engagierte David für sich allein mit dem Geld des College einen sympathischen Burschen aus Manchester, den er kurz zuvor kennengelernt hatte. Mo stellte ihm zwei befreundete Design-Studenten vor, Ossie und Celia, mit denen auch David sich bald anfreundete. Er hatte eine Affäre mit Ossie, der noch verrückter war als er und zur gleichen Zeit auch mit Celia schlief. Bisexuell – wieder ein neues Konzept. Jetzt besaß David in London alle Freiheiten, die er in New York kennengelernt hatte. So sah das unkonventionelle Leben also aus, von dem Adrians und Marks Erzählungen ihn hatten träumen lassen: keine Angst zu haben, man selbst zu sein, wenn man anders war. Toleranz war die Tugend derer, die durch die sozialen Normen oder die herrschende Moral gezwungen waren, sich zu verstecken, obwohl sie niemandem Schaden zufügten.

      David hatte sein Studium noch nicht abgeschlossen, als ihm der junge Kunsthändler, der im Vorjahr seine Arbeit bewundert hatte, einen Vertrag anbot. Er würde ihm 600 Pfund für eine Exklusivvertretung zahlen, und noch mehr, falls sich seine Gemälde verkauften. David konnte sein Glück kaum fassen. Alle anderen Künstler, die von Kasmin vertreten wurden, waren Vertreter der abstrakten Kunst und bereits bekannt; er war der Jüngste und der Einzige, der gegenständlich malte. Es musste an seinen blonden Haaren und dem weißen Anzug liegen. In diesem Sommer musste er nicht als Briefträger jobben. Er unternahm mit Jeff, einem jüdisch-amerikanischen Freund, den er in New York kennengelernt hatte, eine Reise nach Italien. Im Herbst konnte er endlich das Gartenhäuschen aufgeben und in eine billige Zwei-Zimmer-Erdgeschosswohnung in Notting Hill umziehen, in die Nähe seiner Freunde Michael und Ann. Bald zogen auch Ossie und Celia in seine Nachbarschaft. Jetzt wohnte er in einem Rotlichtviertel – das Haus gegenüber war Nachtclub und Absteige in einem und verbreitete einen infernalischen Lärm –, aber David verfügte zum ersten Mal über einen zentral gelegenen Ort, an dem er leben und arbeiten und Opern in voller Lautstärke hören konnte. Und seine besten Freunde wohnten praktisch um die Ecke. Bald wurde seine Wohnung zu einem beliebten Treffpunkt; seine Tür war stets offen, man konnte kommen und gehen, wie es einem beliebte. Wie damals bei Ferrill in Brooklyn.

      Als er vom Direktor des Royal College per Brief darüber informiert wurde, dass seine Abschlussarbeit über den Fauvismus als ungenügend betrachtet werde und er deshalb sein Diplom nicht erhalten werde, stieß er zuerst ein Wutgeheul aus und fing dann an zu lachen. Es stimmte ja, er hatte die Arbeit vermasselt, denn er hatte sie gar nicht erst eingereicht. Kasmin, sein Galerist, verlangte kein offizielles Dokument. So funktionierte die Welt nun einmal. Auf der einen Seite gab es die Bürohengste, die Engstirnigen, die schnell be- und verurteilten, die Angst hatten, wirklich zu leben; auf der anderen Seite die Kunst, den Instinkt, das Begehren, die Freiheit und den Glauben ans Leben. David hatte allen Grund, sich über die Scherereien mit der Bürokratie lustig zu machen, denn der Leiter der Abteilung Malerei, der seinem besten Schüler eine Goldmedaille verleihen wollte und dies nicht tun konnte, solange dieser sein Diplom nicht erhielt, zwang das College zu einem Rückzieher. David war keineswegs unglücklich über die Medaille. Sie imponierte den Leuten und machte seine Eltern glücklich.

      Als ein Galerist, der eine Gruppenausstellung organisierte, die Künstler bat, ihre Inspirationsquelle zu nennen, schrieb er: «Ich male, was ich will, wann ich will und wo ich will.»

      Alles konnte zum Sujet eines Bildes werden: ein Gedicht, etwas, das man sah, eine Idee, ein Gefühl, eine Person. Wahrhaftig alles. Das war die Freiheit. Derek hatte ihm einmal geraten, er solle sein Clown-Image abstreifen, wenn ihm daran lag, dass man seine Arbeit ernst nähme. Aber nein: Man konnte beides sein, ein Clown und ein ernsthafter Maler!

      Mit sechsundzwanzig Jahren reiste er zu Beginn des Sommers wieder nach New York, diesmal an Bord der Queen Elizabeth. Er wollte die Radierungen zu A Rake’s Progress fertigstellen und Jeff wiedersehen, den Amerikaner, mit dem er im Sommer zuvor nach Italien gefahren war. Eines Nachmittags lernte er bei Andy Warhol, zu dem ihn sein Freund mitgenommen hatte, einen rundlichen, pausbäckigen, bärtigen Typ kennen, der als Kurator für zeitgenössische Kunst am Metropolitan Museum arbeitete und sich als der witzigste, lebhafteste, scharfzüngigste Mensch erwies, dem er je begegnet war. Gleich am nächsten Tag trafen sie sich wieder. Ein homosexueller Jude, wie alle seine amerikanischen Freunde. Henry war 1940 mit seinen Eltern, die


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