Wechselgeld für einen Kuss. Ruth Gogoll

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Wechselgeld für einen Kuss - Ruth Gogoll


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was das Beste ist.«

      »Da waren deine Mutter und du verschiedener Meinung?«, fragte Marlies.

      Nicola nickte. »Es hat sie wohl immer geärgert, dass ich eher mit meinem Vater einer Meinung war als mit ihr. Wir hatten immer hochfliegende Pläne, mein Vater und ich, und meine Mutter fand, wir wären Träumer. Wir sollten uns mehr auf die Realität konzentrieren.«

      Sinnend wiegte Marlies den Kopf hin und her. »Es ist immer gut, sich auf Ziele zu konzentrieren, die man auch erreichen kann, das stimmt schon. Erspart einem viele Enttäuschungen.« Sie lachte. »Aber was wäre das Leben ohne Träume? Ohne das Greifen nach den Sternen?« Lässig zuckte sie die Schultern und gab auch gleich die Antwort auf ihre Frage. »Sterbenslangweilig.«

      »Ich wollte Abitur machen, studieren«, sagte Nicola. »Aber meine Mutter fand, ich sollte lieber eine Lehre machen. Also habe ich eine Lehre gemacht.« Erneut blickte sie an die Decke. »Mit viel Einsatz habe ich mich trotzdem hochgearbeitet. Ich stand kurz vor einer Beförderung. Aber dann –« Sie brach ab. Daran wollte sie sich wirklich nicht erinnern.

      »War das denn dein Traumberuf?« Marlies stand auf und ging zum Fenster, um hinauszuschauen.

      »Mein Traumberuf?« Nicola lächelte wehmütig. »Nein, mein Traumberuf war das nicht.«

      »Dann ist es ja vielleicht gut, dass du einen Schlussstrich gezogen hast. Dass du in eine andere Stadt gezogen bist und hier neu startest.«

      »Ja, vielleicht ist es das«, murmelte Nicola. »Ein neuer Start.«

      »Ah, da kommen die beiden Kleinen«, verkündete Marlies von ihrem Ausguck am Fenster her. »Da muss ich jetzt runter und mich ums Mittagessen kümmern.« Sie lachte wieder. »Die fressen mir immer die Haare vom Kopf, wenn sie aus der Schule kommen.« Mütterlich lächelnd kam sie zu Nicola ans Bett zurück. »Ich schaue später noch mal nach dir.«

      »Danke, Marlies.« Nicola lächelte ebenfalls leicht. »Das musst du aber nicht. Mir geht es schon besser.«

      »Aber nicht gut genug«, beschloss Marlies. »Ich bringe dir nachher etwas vom Mittagessen herauf.«

      Nicola wies auf ihren Teller. »Aber ich habe doch gerade erst gegessen.«

      »Mal sehen«, sagte Marlies, nahm den Teller und ging zur Diele hinüber. An der Ecke drehte sie sich noch einmal um und lächelte Nicola zuversichtlich an. »Alles wird gut«, sagte sie. »Wenn du wieder ganz gesund bist, sieht die Welt schon anders aus.«

      Dann verschwand sie, und gleich darauf hörte Nicola die Wohnungstür ins Schloss fallen.

      Eine ganze Weile lag Nicola nur so da, bis sie endlich den Versuch machte aufzustehen. Langsam tastete sie sich an der Wand entlang zur Toilette. Ohne Unterstützung war das immer noch schwierig.

      Doch nicht nur deshalb stöhnte sie frustriert auf. Das konnte ja heiter werden, wenn sie den Job, den sie sich gerade erst mühsam erkämpft hatte, gleich wieder verlor. Sie war noch in der Probezeit, also konnte sie von einem Tag auf den anderen gekündigt werden. Es war schwierig genug gewesen, diesen Job zu ergattern, aber sie hatte gehofft, jetzt würde sich langsam mal wieder einiges beruhigen.

      Ihre Mutter würde das natürlich als Beweis ansehen, dass Nicola sich jetzt endlich mal dem Kinderkriegen zuwenden sollte, da sie beruflich ja anscheinend höchstens ein Bein auf die Erde kriegte, aber niemals zwei, die ihr Standfestigkeit hätten verleihen können.

      Das hätte ja alles sein können. Sie presste die Lippen zusammen. Wenn Chantalle nicht gekommen wäre. Nicola war so kurz davor gewesen, den Job als Einkäuferin zu bekommen, die nächste Stufe auf der Karriereleiter. So klein diese Karriere auch gewesen sein mochte, aber sie hatte hart dafür gearbeitet.

      Chantalle. Tally. Klang so nett, die Verkleinerungsform. Aber das war irreführend. Tally war nicht nett. Oder nur so lange, bis sie bekommen hatte, was sie wollte. Und wehe, daran änderte sich etwas.

      Das war das letzte Mal, hatte Nicola sich damals gesagt. Das letzte Mal, dass sie auf so eine Frau hereingefallen war. Nie wieder!

      Und was ist mit Lian? fragte da etwas Vorwitziges in ihrem Kopf.

       Was soll mit Lian sein? Ich kenne sie kaum.

       Aber sie gefällt dir.

      Darüber wollte Nicola lieber nicht nachdenken. Lian hatte genau diese überwältigende Art, dieses Selbstbewusstsein, dieses amüsierte Lächeln, an das sie sich von Tally noch so gut erinnerte. Wahrscheinlich war es genau diese Überlegenheit, die Nicola anzog. Sie hätte sich gern einmal fallengelassen, nicht immer nur gekämpft, sich in starke Arme gekuschelt und alle Verantwortung abgegeben. Aber wenn man das zuließ, endete es immer nur in einer Katastrophe.

      Also ließ sie es nicht mehr zu. Sie hatte sich von Lian zum Abendessen einladen lassen, weil sie . . . nun ja . . . einsam war. Weil die Aufmerksamkeit und angenehme Unterhaltung, die Lian ihr geschenkt hatte, ihr gutgetan hatten. Weil sie das von ihren Sorgen abgelenkt hatte.

      Zwar hatte sie sich darauf eingestellt gehabt, Lian zum Schluss noch abwehren zu müssen, aber als das nicht geschehen war, hatte sie sich doch gewundert. Das war definitiv nicht wie Tally.

      Lian war deshalb ein Rätsel für sie, und sie hätte wirklich gern gewusst, wer sie war. Darüber hatten sie beim Abendessen nicht gesprochen. Es war, als hätte Lian das Thema mit Absicht vermieden. Sie hatte immer wieder nach Nicolas Lebensumständen gefragt und ihr zugehört, wenn sie davon erzählte, aber ihre eigenen waren im Dunkeln geblieben.

      Was beschäftige ich mich überhaupt damit? Wenn sie nicht gewusst hätte, dass es wehtun würde, hätte Nicola jetzt heftig den Kopf geschüttelt. Ich bin krank, ich verliere vielleicht meinen Job, kann meinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen und muss erst einmal sehen, dass ich das alles auf die Reihe kriege. Lian ist wirklich mein geringstes Problem.

      Und verlieben wollte sie sich ja sowieso nie mehr. Das führte zu nichts als Unglück.

      Nein, dieses Kapitel war für sie abgeschlossen.

      6

      »Und wie willst du das durchziehen?« Lians Kollegin und auch langjährige Freundin Margarethe Leonora Amalie – nie hatte sie ihrer Mutter verziehen, dass sie sich so eine pompöse Namenskombination ausgedacht hatte –, genannt Maggie, blickte Lian zweifelnd an. »Ich meine, jetzt hast du ja Urlaub, aber wie willst du das machen, wenn du wieder arbeiten musst?«

      Etwas schuldbewusst verzog Lian das Gesicht. »Das habe ich verdrängt. Zuerst dachte ich, nur für den Urlaub. So ein kleines Techtelmechtel zwischendurch. Zur Entspannung. Aber jetzt –« Sie schüttelte den Kopf, am meisten über sich selbst. »Ich weiß nicht. Ich finde sie so . . . aufregend. Interessant irgendwie. Das hatte ich schon lange nicht mehr.«

      Maggie lachte leicht. »Also für mich klingt sie eher nach einer Zicke. Ganz schönes Explosionspotenzial. Mit nichts zufrieden.«

      »Ich glaube, sie hat irgendetwas Schweres durchgemacht, eine tiefe Enttäuschung oder so.« Nachdenklich schürzte Lian die Lippen.

      »Ach Gottchen!« Maggie schlug gespielt dramatisch die Hände vor sich zusammen. »Ist es nicht furchtbar? Das arme kleine Frauchen ist tief enttäuscht worden? Wie schrecklich. Und so außergewöhnlich. Ist uns anderen ja noch nie passiert.« Sie beugte sich vor. »Auf so etwas fällst du rein?«

      »Ja, ich weiß.« Wieder verzog Lian das Gesicht. »Ich war immer die Erste, die sich über solche Dinge lustiggemacht hat. Und ist ja auch richtig. Wir schlagen uns hier mit wirklich lebensbedrohlichen Dramen herum, und dann kommt so etwas wie so ein kleiner häuslicher Streit, der dagegen bedeutungslos erscheint. Aber das Leben besteht nun einmal daraus. Und für viele Leute hat das eine große Bedeutung.«

      »Für viele Leute vielleicht«, hielt Maggie dagegen. »Aber für dich?« Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, was mir passiert ist. Bei unserer Arbeit sind wir einfach zu wenig zu Hause. Und wenn man dann mal nach Hause kommt . . .«

      »Aber


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