Die Tote vom Dublin Port. Mara Laue

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Die Tote vom Dublin Port - Mara Laue


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      »Der Freund ist also immer noch da und nicht ebenfalls verschwunden?«, vergewisserte sich.

      »Ja, natürlich.« Mrs Rafferty blickte ihn an, als habe er eine extrem dumme Frage gestellt.

      Russel lächelte. »Damit ist ausgeschlossen, dass die beiden zusammen durchgebrannt sind«, erklärte er.

      »Eddie würde nie durchbrennen!«, war Mrs Rafferty im Brustton empörter Elternliebe überzeugt.

      Noch so eine Blauäugigkeit, der Russel nicht zum ersten Mal begegnete. Gerade bei ernsthaften Problemen in der Familie verstanden es Kinder und Jugendliche oft hervorragend, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, während sie heimlich ihre Flucht planten. Von der die Eltern dann völlig überrascht waren, weil nach ihrem Wissen doch alles in bester Ordnung gewesen war.

      Genau wie bei manchen Selbstmördern. Sie funktionierten nach außen hin so gut, dass nicht einmal der engste Familienkreis mitbekam, wie schlecht es ihnen in Wahrheit ging. Oder dass es ihnen überhaupt schlecht ging. Es bedurfte nur eines überzeugenden falschen Lächelns, um alle Welt glauben zu lassen, das Leben sei wunderbar und alles in bester Ordnung. Wie bei seiner stets fröhlichen, allseits beliebten Mutter.

      Er schüttelte die düsteren Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf den neuen Fall. »Ich brauche bitte den Namen des Freundes. Und seine Handynummer, wenn Sie die haben. Und idealerweise auch eine Liste aller anderen Freundinnen und Freunden von Edana. Die Namen der Leiter ihrer Collegekurse und alles, was Sie mir sonst noch sagen können. Hobbys, Lieblingsorte, wo sie sich immer gern aufhält – alles.« Er lächelte entschuldigend. »Ich weiß, Sie haben schon alles abgesucht und alle Leute abtelefoniert. Aber Sie sind besorgte Eltern, ich bin professioneller Ermittler. Ich sehe vielleicht Hinweise oder Spuren, die Ihnen entgangen sind.«

      Rafferty nickte. Er holte einen Briefumschlag aus der Innentasche seines Mantels und reichte ihn Russel. Russel öffnete ihn und zog den Inhalt heraus. Auf mehreren ausgedruckten Bögen standen Namen, Adressen, Telefonnummern, eine Auflistung der Kurse, die Edana Rafferty am Trinity College belegt hatte, Informationen zu ihren Hobbys und alle Orte, an denen sie sich gern aufhielt. Ein Foto von ihr lag dem ebenfalls bei: ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen mit blauen Augen und einem spitzbübischen Lächeln, deren lockiges Haar ihr fast bis zum Hintern reichte.

      »Das hilft mir enorm weiter. Vielen Dank.«

      Bren Rafferty schnaufte ungehalten. »Die Liste haben wir vorsorglich für die Polizei angefertigt. Hat die nicht interessiert. Solange kein konkreter Hinweis auf ein Verbrechen vorliegt, haben die keine Veranlassung und auch keine Kapazität, für nichts und wieder nichts einem Mädchen nachzujagen, das einfach mal ein paar Tage blau macht. Das sagte man uns ins Gesicht. Wortwörtlich!«

      Russel schüttelte den Kopf. »Von mir werden Sie so etwas nicht zu hören bekommen. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihre Tochter finde, aber ich beginne sofort mit der Suche, und ich gebe niemals auf. Was mein Honorar betrifft …«

      »Fünfzig Euro die Stunde plus Spesen steht auf Ihrer Website.« Rafferty nickte. »Es ist uns egal, wie viel es kostet und wie lange es dauert. Wir haben Erspartes. Wir können es uns leisten. Wir müssen nur wissen, was mit Eddie ist. Sie ist bestimmt nicht weggelaufen. Ihr muss etwas zugestoßen sein.«

      Seine Frau begann wieder zu weinen, und auch er selbst kämpfte erneut mit den Tränen. Russel war versucht ihnen zu versichern, er werde die Tochter finden, um sie zu trösten. Aber er wusste von Declan, wie tückisch so ein Versprechen war. Es erweckte in den Eltern Hoffnung, die sich möglicherweise – nach vier Tagen spurlosen Verschwindens sogar wahrscheinlich – nicht erfüllen würde. Und die Schuld daran bekam im Fall eines Verbrechens nicht etwa der Täter oder bei einem Unfall das niederträchtige Schicksal, sondern der Mensch, der den Angehörigen indirekt versprochen hatte, alles werde wieder gut. Keine gute Reputation für einen Privatermittler.

      Russel lächelte erneut. »Ich wollte sagen: Was mein Honorar betrifft, so werde ich Ihnen alle Kosten minutiös nachweisen. Mit täglichem Bericht, wenn Sie den wollen.«

      Rafferty winkte ab. »Das können Sie halten, wie Sie es immer tun. Wir wollen nur unsere Tochter zurück.« Er legte den Arm um seine Frau, zog sie an sich und strich ihr tröstend über das Haar. Eine Geste, die ihn spürbar ebenso trösten sollte wie sie.

      Russel rollte mit dem Stuhl vor den Computer, füllte ein Vertragsformular aus und druckte es zweifach aus. »Wenn Sie das bitte unterschreiben würden. Und beachten Sie bitte den Passus über die Legalität.« Er deutete auf den entsprechenden Abschnitt.

      Darin machte er die Klienten darauf aufmerksam, dass er zur Erfüllung des ihm erteilten Auftrages ausschließlich legale Mittel einsetzte. Zu diesem Passus hatte Declan ihm geraten, weil das von vornherein alle Leute abschreckte, die ihr Wissen über Detektive aus schlechten Romanen und Filmen hatten, in denen die Leute sich den Teufel um Gesetze scherten und zur Lösung ihrer Fälle eine Straftat nach der nächsten begingen. Erst recht schreckte es diejenigen ab, die illegale Mittel sogar erwarteten.

      Russel hatte schon mehr als ein Angebot erhalten, in dem es um einen Streit ums Sorgerecht ging, bei dem man ihn aufgefordert hatte, der gegnerischen Partei Beweise für eine angebliche Gefährdung des Kindeswohls unterzuschieben oder sie sogar in eine entsprechende Falle zu locken. Solche Aufträge lehnte er ab. Ebenso die, bei denen ein Ehemann seine Frau loswerden wollte, indem er ihr Untreue unterstellte und Russel beauftragte, die Frau zu diesem Zweck zu verführen und entsprechende Fotos zu machen.

      Die Raffertys zeigten sich erneut beeindruckt und unterschrieben den Vertrag.

      »Ich glaube, bei Ihnen sind wir in guten Händen, Mr O’Leary«, war Mrs Rafferty überzeugt.

      »Ich tue mein Möglichstes.« Das einzige Versprechen, das er zu geben bereit war, denn das konnte er problemlos einhalten.

      »Und«, Rafferty blickte seine Frau an, die ihm zunickte, »bitte melden Sie sich nur, wenn Sie etwas Wichtiges erfahren haben. Ständige Meldungen, in denen Sie uns nur mitteilen, dass Sie nichts wissen – ich glaube, die ertragen wir nicht.«

      »Wie Sie wünschen.«

      »Sie fangen sofort mit der Suche an?«, vergewisserte sich Mrs Rafferty.

      Russel nickte. »Sobald Sie keine Fragen mehr haben oder mir noch etwas mitteilen möchten, lege ich los.«

      Das Paar stand hastig auf. Mrs Rafferty ergriff seine Hand. »Wir überlassen Sie Ihrer Arbeit, Mr O’Leary. Je schneller Sie anfangen können, desto besser.«

      Russel erhob sich ebenfalls und geleitete sie zur Tür.

      »Danke, Mr O’Leary.« Mrs Raffertys Stimme klang inbrünstig. »Wir wissen, Sie tun Ihr Bestes.«

      »Immer.« Aber ihm war nur allzu bewusst, dass sein Bestes nicht immer ausreichte. Oder nicht das Ergebnis brachte, das seine Klientel sich wünschte. »Auf Wiedersehen.«

      Russel schloss die Tür hinter den beiden, räumte Raffertys leeres und Mrs Raffertys unberührtes Glas Irish Coffee in die Küche und begann wie versprochen mit den Nachforschungen. Er checkte die sozialen Medien, ob Edana Rafferty in den letzten Tagen irgendetwas gepostet hatte. Aber seit ihrem Verschwinden war das nicht der Fall. Er überprüfte die Chats ihres Freundeskreises in den sozialen Netzwerken und wunderte sich wieder einmal, wie leichtfertig die Leute mit ihren Daten und vor allem den Fotos umgingen. Für seine Arbeit war das jedoch ein Glücksfall.

      Er stellte fest, dass alle sich mehr oder weniger große Sorgen machten. Ihr Freund Toby McGowan schien ehrlich besorgt. Er hatte ihr Foto öffentlich gepostet mit der Bitte, man möge sich melden, falls jemand Eddie sehen sollte. Eine junge Frau fiel ihm besonders auf: Gina Rossi. Sie wiegelte nicht nur Tobys Besorgnis ab, sondern betonte immer wieder, dass Eddie bestimmt nur mal eine Woche blau machte und ihr ganz sicher nichts passiert sei. Laut der Liste, die die Raffertys ihm überlassen hatten, war Gina Edanas beste Freundin, diejenige, die sich zusammen mit Toby die größten Sorgen über ihr sang- und klangloses Verschwinden hätte machen müssen. Es sei denn, sie wusste genau, dass Edana nicht »verschwunden«


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