Seewölfe - Piraten der Weltmeere 654. Frank Moorfield
Читать онлайн книгу.strahlend blau über dem Indischen Ozean. Die Sonne hatte trotz der frischen Brise, die über die glitzernde Wasseroberfläche strich, viel Kraft, und die Wärme kroch angenehm über die Haut.
Dagegen hatte die dreiköpfige Besatzung der kleinen Jolle, die mit achterlichem Wind gute Fahrt lief, nichts einzuwenden – vor allem jetzt nicht, da die Südwestküste der Insel Madagaskar bereits in Sicht war.
Old Donegal Daniel O’Flynn blickte zu dem schwarzen Strich hinüber, der an der Kimm aufgetaucht war. Dann verzog er das braungebrannte, von Wind und Wetter gegerbte Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen.
„Hab ich euch nicht gleich gesagt, daß die Jolle in Ordnung ist? Seit Tagen sind wir gut vorangekommen und wenn es sein muß, segeln wir mit diesem Schiffchen bis nach Indien. Ein besseres Abschiedsgeschenk hätten uns die Schnapphähne gar nicht überreichen können.“
Hasard junior, einer der Zwillingssöhne des Seewolfs, zwinkerte mit den Augen.
„Jetzt trägst du aber reichlich dick auf, Admiral“, erwiderte er. „Soweit ich mich erinnern kann, hat man uns diese Jolle – noch dazu unsere eigene – nicht gerade auf einem silbernen Tablett serviert. Wenn wir nicht kräftig zugelangt hätten, wären unsere Klamotten reichlich naß geworden.“
Hasard spielte damit auf die harte Auseinandersetzung an, die sich nahe dem Kap der Guten Hoffnung auf der Karavelle der Deserteure abgespielt hatte.
Sobald die drei schiffbrüchigen Seewölfe bei der Atlantikinsel Ascension notgedrungen als Arbeitssklaven an Bord gegangen waren, hatte der Ärger begonnen. Während sich das verluderte Piratenpack reichlich dem Suff und dem Faulenzen widmete, mußten Old Donegal, Philip und Hasard im Schweiße ihres Angesichtes schuften, bis Hasard beim Holzhacken der Kragen platzte.
Der junge Riese hieb zu, daß die Fetzen flogen, und als die Kerle den Wassereinbruch bemerkten, war es schon zu spät. Die Karavelle war nicht mehr zu retten, und die drei Arwenacks hatten bei einer wilden Prügelei im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun gehabt, um sich ihre eigene Jolle zu sichern.
„Hähähä!“ Old Donegal bedachte den Einwand Hasards mit einem meckernden Lachen. „Bei nassen Klamotten wär’s da nicht geblieben. Beim Schwimmen hätten wir mit den Ohren ganz schön vor den Wind gehen müssen, um Fahrt aufzunehmen.“
„Und mit unseren Achtersteven womöglich auch noch“, ergänzte Hasard, „was sonst hätte uns als Besan-Segel dienen sollen?“
Philip, der seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich sah, schüttelte den Kopf. Das sonnengebräunte Gesicht unter dem pechschwarzen Haar wirkte etwas mißmutiger.
„Ihr habt ein Gemüt wie Nilkrokodile“, sagte er. „Mir knurrt der Magen, weil wir so gut wie nichts mehr zum Beißen an Bord haben, und unsere letzten Tropfen Wasser sind voller Algen und schmecken abscheulich. Trotzdem treibt ihr beide eure Späßchen, als hättet ihr gerade ein festliches Bankett bei der Königin hinter euch gebracht.“
„Ein festliches Bankett bei der alten Lissy?“ fragte Old Donegal und kriegte einen träumerischen Blick. „Das wäre jetzt gerade das Richtige. Aber ein Dutzend Speckpfannkuchen, vom Kutscher an Bord unserer Schebecke frisch zubereitet, wäre auch nicht zu verachten.“ Er seufzte. „Man kann jedoch nicht alles haben. Eine Jolle und Speckpfannkuchen – das ist zuviel auf einmal. Und bis jetzt war mir, ehrlich gesagt, die Jolle lieber.“
„Mir auch“, warf Hasard ein. „Auf einem Speckpfannkuchen kann man nämlich nicht nach Madagaskar segeln, nach Indien schon gar nicht. Trotzdem ist dir mein Mitgefühl sicher, Bruderherz. Mir hängt der Magen auch schon bis auf die Stiefelspitzen.“
„Dann paß gut auf, daß du nicht aus Versehen drauftrittst.“ Das Gesicht Old Donegals ließ erkennen, daß er gut gelaunt war. „Bald sehen wir uns auf Madagaskar ein bißchen um. Und natürlich segeln wir erst dann weiter, wenn wir uns so richtig kugelrund angenudelt haben, und die Jolle vor lauter erlesenen Speisen und edlen Getränken bis zum Dollbord im Wasser liegt.“
„Dein Wort in Gottes Ohr, Admiral“, meinte Philip. Jetzt huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht. „Einem großen Festschmaus steht dann ja nichts mehr im Weg, falls wir irgendwo auf unsere Leute treffen sollten.“
Er sprach damit die Hoffnung aus, die sie alle hegten, seit sie bei den Kapverdischen Inseln durch einen von der mauretanischen Küste heranfegenden Sandsturm von ihrem Schiff und den Kameraden getrennt worden waren. Ihre Erwartungen waren noch gestiegen, seit sie mit der Jolle Kurs auf Madagaskar genommen hatten.
Immerhin war es möglich, daß die Schebecke der Seewölfe ebenfalls irgendwo an der Westküste dieser Insel ankerte, um Trinkwasser und Proviant zu ergänzen. Doch unabhängig von einem solch zufälligen Zusammentreffen, waren die drei Arwenacks in der Jolle fest entschlossen, die Augen offenzuhalten.
Notfalls würden sie den Törn nach Indien mit der Jolle fortsetzen, um dort, am eigentlichen Ziel der Schebecke, wieder auf die anderen zu stoßen.
Bombay, Surat und Madras hießen die Stationen, die die Seewölfe im Auftrag der Königin anlaufen sollten, um dem Boden für künftige Handelsbeziehungen vorzubereiten. Old Donegal und seine beiden Enkel würden auf jeden Fall alles daransetzen, die Kameraden zu finden. Zunächst aber galt es, auf Madagaskar frische Vorräte an Bord zu nehmen.
Der Wind blähte das Segel, die Jolle glitt leicht und mit einem Hauch von Eleganz durch das Wasser. Der schwarze Strich am Horizont hatte längst deutlichere Konturen angenommen, die große Insel im Indischen Ozean wuchs vor ihnen aus dem kristallklaren Wasser.
Philip legte die flache Hand über die Augen und blickte nach Backbord. Dann deutete er auf einige dunkle Schatten, die sich dicht unter der Wasseroberfläche auf die offene See zubewegten.
„Das sieht vielversprechend aus“, sagte er. „Wo es solch große Wasserschildkröten gibt, braucht so schnell niemand zu verhungern. Wer weiß, vielleicht segeln wir direkt auf das Paradies zu.“
Hasard grinste. „Vielleicht sitzt unser Stammvater Adam drüben am Strand, um uns willkommen zu heißen.“
„Eva wäre mir lieber“, entgegnete Philip, „nur dürfte die Lady inzwischen auch nicht mehr die Jüngste sein.“
Old Donegal, das alte Rauhbein, schüttelte tadelnd den Kopf. „Laß bloß die Weiber aus dem Spiel, du Grünschnabel, die haben uns hier gerade noch gefehlt.“
„Na, na, was sind das für Töne?“ entgegnete Hasard. „Was glaubst du, was los wäre, wenn das eine gewisse Missis Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, wohnhaft auf der wunderschönen Karibikinsel Great Abaco, gehört hätte?“
„Mein Eheweib habe ich damit nicht gemeint“, erklärte Old Donegal. „Meine Mary ist nämlich eine anständige Frau. Die stiehlt nicht dem Herrgott den Tag und nascht von verbotenen Früchten. Aber diese – diese Eva, damals im Garten Eden, das war ein regelrechtes Luder, das kann ich euch sagen. Die mogelte sich nicht nur an den Befehlen des Großlords vorbei und naschte von einem Baum, der sie gar nichts anging, sondern führte auch noch Adam an der Nase rum, indem sie ihn dazu überredete, ebenfalls nach den verbotenen Früchten zu greifen. Und was war die Folge?“
„Der Großlord hat sie aus dem Paradies rausschmeißen lassen“, erwiderte Philip.
„Richtig.“ Old Donegal nickte. „Und deshalb sind auch wir außerhalb des Gartens Eden geboren worden und müssen all die Nachteile in Kauf nehmen, die sich diese Lady damals eingehandelt hat. Und was lernen wir daraus, Leute?“
„Wie wir dich kennen, wirst du es uns sicherlich gleich sagen, Granddad“, entgegnete Philip.
„Na schön“, fuhr Old Donegal fort, „ich kann ja meine Herren Enkel nicht ein Leben lang dumm herumlaufen lassen, nicht wahr? Also, ähem, das ist nämlich so: Wenn der Großlord im Himmel seine Befehle erteilt, hat man gefälligst darauf zu hören, statt in einen süßen Honigtopf zu tappen, den einem verführerische Ladys vor die Füße stellen. Wenn man’s trotzdem tut, bleibt man darin kleben und hat verdammt viel Mühe, wieder aus diesem Topf rauszusteigen …“