Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka

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Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren - Manfred Matzka


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er sich mit diesem Erfolg zufriedengäbe. Er bleibt provokant und wird auch weiterhin öffentlich als Religionsspötter und Verführer der Jugend kritisiert, was auch in den Folgejahren immer wieder zu offiziellen Untersuchungen führt. Diese bewirken allerdings das Gegenteil: Maria Theresia ernennt ihn 1779 zum Wirklichen Hofrat bei der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei sowie zum Beisitzer der Studien- und Zensurkommission.

      Als die Monarchin im Jahr darauf stirbt, ist Sonnenfels an ihrem Totenbett anwesend und gibt Zeugnis, wie präzise sie ihrem Sohn Joseph II. die Geschäfte im Detail übergeben hat – „über jedes Reich, jede Provinz im Einzelnen (…) den Zusammenhang, das Verhältnis, über die Schwäche und Stärke jedes Theiles (…)“. Der Tod der Kaiserin ist indes für ihn ein schwerer Schlag. Mit dem neuen Herrscher verbindet ihn kein persönliches Naheverhältnis und in der Vergangenheit gab es mehrmals Konflikte. So bemüht sich der Herr Professor wieder um ein Amt nahe beim Kaiser. Da Joseph II. bei der Integration der Zensurbehörde in die Studienkommission erneut Expertise benötigt, wird Sonnenfels ein zweites Mal Zensor. Er koordiniert, beeinflusst Personalbesetzungen und gibt wohl auch Voten über Bücher ab – zehn Jahre lang.

      Noch eine weitere Aufgabe übernimmt der Professor: Im Auftrag des Kaisers unterzieht er ab 1781 alle neuen Gesetze einer sprachlichen Revision und ist damit als einer der Schöpfer der österreichischen Gesetzes- und Amtssprache zu sehen. Sein Projekt einer Sammlung von politischen Gesetzen („politischer Kodex“), das nach seinem Tod 1818 endgültig scheitert, ist mehr als eine Kompilation. Es umschreibt damit eine durch Regierungsleitlinien verfassungsmäßig begrenzte Monarchie – ein Vorgriff auf konstitutionelle Prinzipien des nächsten Jahrhunderts.

      Die„Polizey“-Gesetzgebung beschäftigt ihn intensiv und über lange Zeit – und „Polizey“ ist damals ein weit umfassenderer Begriff als die heutige Sicherheitsverwaltung. Sie meint alle inneren Angelegenheiten einschließlich der Bildung und der öffentlichen Wohlfahrt. Er sammelt und studiert die Gesetze und Informationen über Einrichtungen fremder Staaten mit dem Ziel, „die wirklichen und scheinbaren Gegensätze in denselben aufzusuchen und mit Beseitigung des Unhaltbaren oder durch die veränderten Zeitverhältnisse überflüssig Gewordenen, ein den Anforderungen der Gegenwart entsprechendes Elaborat zu bringen“.

      Auch bei der Strafrechtsreform wird der Reformer noch einmal von Joseph II. als Konsulent herangezogen. Die Kommission zur Einschränkung der Todesstrafe wird von seinem Schüler Georg von Keeß geleitet. Dieser unterbreitet dem Kaiser 1783 einen gemeinsam mit Sonnenfels erstellten Strafgesetzentwurf, der sich eng an dessen Lehrbuch anlehnt. 1787 tritt schließlich das Gesetz in Kraft, mit dem auch die Todesstrafe im regulären Strafrecht abgeschafft wird. Sonnenfels’ Vorschläge beschränken sich übrigens nicht nur auf Leibesstrafen, sondern berühren auch weitere Details: So tritt er dagegen auf, gefallenen Mädchen auch noch die Kirchenbuße aufzuerlegen; vielmehr soll man ihnen die geheime Entbindung erleichtern.

      Joseph von Sonnenfels ist ein Netzwerker von hohem Talent. Es liegt also nahe, sich auch in Kreisen zu engagieren, in denen sich seit dem Amtsantritt Josephs II. viele fortschrittliche Geister organisieren: bei den Freimaurern. Immer mehr Beamte sind in den Logen in Wien versammelt. In der Eliteloge „Zur wahren Eintracht“ sind es 62 von 176 Mitgliedern, und ihr Meister Ignaz von Born ist selber Hofrat der Hofkammer. Auch bei den „Drei Adlern“ und beim „Palmenbaum“ ist ein Fünftel Beamte. Insgesamt sind es rund 200 Personen in einflussreichen Positionen, und es hat natürlich Auswirkungen, wenn sie alle gezielt und im Gleichklang nachhaltig auf das Dutzend Minister einwirken, bei denen sie dienen.

      So wird Sonnenfels, der schon 1776 einen ersten Kontakt zur Leipziger Loge geknüpft hat, 1782 Mitglied der „Wahren Eintracht“ und zählt danach mit seinen Freunden Ignaz von Born, Aloys Blumauer und Joseph Freiherr von Retzer zu den Führern der Freimaurer in Wien. Er wird Stellvertreter Borns und organisiert ein intensives Wissenschaftsund Vortragsprogramm, über das auch in einem eigenen Journal berichtet wird. 1784 gründet er eine Landesloge für das gesamte Habsburgerreich, deren Chef übrigens Fürst Dietrichstein wird, der Gönner seiner frühen Jahre. Er selbst wird Meister der Distriktloge „Zur wohltätigen Eintracht“. Born und Sonnenfels führen überdies noch eine Organisation innerhalb der Organisation, nämlich den geheimen Orden der Illuminaten, in dem auch Hofkanzler Leopold von Kolowrat Mitglied ist. So kann Sonnenfels ein persönliches Verhältnis zum Hofkanzler aufbauen, der bei seinen Verwaltungsprojekten sein Vorgesetzter ist.

      Dieses Netzwerk von Influencern und Lobbyisten wird allerdings Ende 1785 durch das Freimaurerpatent stark beschnitten. Damit ist die Organisation für Sonnenfels kein Thema mehr und er tritt aus. Jahre später werden unter Kaiser Franz I. 1797 alle Logen verboten und ab 1801 müssen die Beamten jährlich schwören, keiner Geheimgesellschaft anzugehören. Es wird bis ins 20. Jahrhundert, bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, dass diese Vereinigung wieder maßgeblichen und organisierten Einfluss in der österreichischen Verwaltung, insbesondere im Kultur- und Gesundheitsbereich, erlangt.

      In der Regierungszeit Josephs ist der Einfluss von Sonnenfels schwächer als in der Zeit Maria Theresias. Das hat nicht nur persönliche Gründe, der Habsburger misstraut grundsätzlich Beamten, selbst den reformfreudigsten unter ihnen. Er setzt kontrollierende Hofkommissäre ein und drängt in „Hirtenbriefen“ immer wieder auf eine raschere Umsetzung seiner Entscheidungen. „Auf die mechanisch-knechtische Art ist es unmöglich, mit Nutzen die Geschäfte zu betreiben.“ Er kann sich also nicht auf die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit verlassen und deren Rat und Unterstützung suchen. Joseph II. hört nur auf wenige Gleichgesinnte in den Verwaltungsspitzen, und auch diese wählt der Kaiser sorgfältig und ausschließlich für ganz bestimmte Projekte aus. Im Licht dieser Bedingungen steht auch Sonnenfels’ Wirkungsrahmen ständig zur Disposition.

      Als im Jahr 1790 Leopold II. die Kaiserkrone übernimmt, ist Sonnenfels ein vielgeachteter Mann, auf dessen Wort man im Allgemeinen Wert legt. Als er Leopold aber anbietet, ihn direkt, regelmäßig und persönlich in einer Art privater Vorlesungen zu beraten, lehnt dieser dankend ab. Man nimmt zwar seine Dienste in Anspruch, persönlicher Vertrauter des Kaisers aber ist er nicht mehr. Leopold notiert über ihn: „(…) ein Mann von großem Talent, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber voll Anmaßung und Eitelkeit, lobt sich immer selbst, äußerst fanatisch, macht alle Sachen mit dem größten Aufsehen und Publizität, spricht zuviel und rühmt sich zuviel, übernimmt viele Verpflichtungen, die er dann nicht erfüllen kann.“

      Dennoch nimmt der Kaiser 1791 Sonnenfels’ Gesuch um Befreiung vom universitären Lehramt an und spielt ihn damit wieder für Legistikaufgaben frei. Er bleibt zwar Mitglied der Fakultät, wird aber Vizepräsident der Hofkommission in Gesetzessachen und der Kommission für die Sammlung politischer Gesetze. Zusätzlich erhält er den Auftrag, eine neue „Polizeyverfassung“ für Wien auszuarbeiten.

      1791 legt er den Text eines modernen Gesetzes zur Bekämpfung des Wuchers vor. Er schlägt vor, Zinsen nicht zu verbieten, sondern so zu regeln, dass es der Wirtschaft nützt, aber Existenzvernichtungen hintanhält. Das Thema beschäftigt ihn schon lange. Bereits gegenüber Maria Theresia hat er das Zinsennehmen verteidigt. Als damals ein Priester, der das Vertrauen der Kaiserin besaß, meinte, es „steht in der Heiligen Schrift geschrieben: Du sollst keine Wucherzinsen nehmen“, entgegnete Sonnenfels scharfzüngig: „Hochwürden, jeder von uns ist ein Wucherer. Sie selbst sind der ärgste Wucherer, für 4000 Gulden verkaufen Sie Ihrer Majestät Ihre frommen Dienste; ich kenne einen würdigen Caplan, der für den zwanzigsten Theil Ihres Einkommens dieselben Dienste leisten würde.“

      Sonnenfels spürt, dass unter Leopold sein Stern verblasst, und kämpft dagegen nach Kräften an. Als sein gegen seinen Willen vom Kaiser eingesetzter Nachfolger an der Universität bei den Ämtern Akteneinsicht erhalten will, hintertreibt er das; als dieser eine Zeitschrift gründet, gründet er eine andere dagegen; einen kritischen biografischen Artikel versucht er zu verhindern; ein kaiserliches Dekret zugunsten des Nachfolgers schreibt er gar um. Doch all das nützt letztlich nichts – er bleibt in die zweite Reihe abgedrängt.

      Bis zu einem gewissen Teil hat er sich das selbst zuzuschreiben, man spöttelt darüber, dass er viel spricht und sich nur zu gern reden hört. „Ein Bittsteller steht eine Stunde vor ihm – er redet kein Wort. Sonnenfels allein spricht ununterbrochen. Er entlässt den Menschen. ‚Mit dem jungen


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