Karl May. Hans Wollschläger

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Karl May - Hans Wollschläger


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immerhin an einen Drechsler am Ort umsetzen; doch sein Abgang vollzieht sich sodann in größter Eile, denn zwei Chemnitzer Polizeidiener haben von dem verdächtigen Handel erfahren, folgen dem Händler und fordern denselben auf, »über seine Person sich auszuweisen«, worauf wiederum derselbe lieber verzichtet.

      Ein gleichartiger Diebstahl ereignet sich in der Nacht zum 4.6. in Bräunsdorf, wo dem Gasthofbesitzer Schreier ein Pferd samt Trense, Reitpeitsche und Halsriemen aus dem Stall verschwindet (Wert: 66 Taler 15 Ngr.). Für billige 15 Taler darf es der Pferdeschlächter Voigt in Höckendorf erwerben, doch leider ist der Vorbesitzer allzu eilig zur Stelle, und so hat es May dann doch »für rathsam gehalten, ohne den Kaufpreis für das Pferd von Voigt ausgezahlt erhalten zu haben, aus Höckendorf sich schleunigst zu entfernen«.

      Am 15.6. erscheint er in Gestalt eines »Expedienten des Advocaten Dr. Schaffrath in Dresden« dem Bäckermeister Wappler zu Mülsen St. Jacob. Der vernimmt die frohe Botschaft, es sei ihm von einem amerikanischen Verwandten eine Erbschaft zugefallen, macht sich sogleich mitsamt seinen 3 Söhnen weisungsgemäß auf den Weg nach Glauchau, wo in ›Dingelstädts Hotel‹ der Doktor Schaffrath persönlich ihrer harre, und kaum sind sie fort, so eröffnet der Expedient nach altgeübter Weise bei des Bäckers Eheweib und Schwiegertochter seine Falschgeldforschungen. Man trägt herbei, was man hat, und »mindestens 28 Thaler« dienen diesmal der Beförderung der Literatur: der Forscher nimmt sie »an sich und mit fort«.

      So grotesk die, sagen wir, Hochstapeleien Mays am Ende doch nur wirken, so bedenklich macht zugleich ihre zunehmende Hemmungslosigkeit. Daß die tölpelhaften, allzu leicht zu foppenden Opfer nicht eben dazu beitrugen, sein bißchen Gewissen zu Besinnung und auch nur annähernder Tateinsicht kommen zu lassen, liegt auf der Hand; so werden die ursprünglich von vielerlei, vielfach ineinander verschränkten Zwängen[12] diktierten Strafhandlungen immer dreister; die materielle Not, die anfangs alles beherrschende, tritt als Motiv zurück; fast komödiantische Züge werden sichtbar. Der Einstieg ins Hohensteiner Kegelhaus (Ende Juni) läßt sich eigentlich nur noch als eine jener Sport-Veranstaltungen sehen, die in der heutigen Jugendkriminalität als Typus bekannt sind: in kraus verblasenen Bestätigungen schafft sich das lange schlimm gedämpfte Selbst-Bewußtsein Kraft. Die Beute: ist nichts als 1 Handtuch und »1 Cigarrenpfeifchen« im Gesamtwert (nach gerichtlicher ›Würdigung‹) von 10 Neugroschen 5 Pfennigen … Leichtsinn vor dem Fall.

      Am 2.7.69, nachts 3 Uhr, wird May in Hohenstein verhaftet und nach Mittweida ins Gerichtsgefängnis geschafft; am andern Tag wird er vom Staatsanwalt Taube vernommen. Doch seine Zuversicht scheint während der Verhöre keineswegs gelitten zu haben: erst die zutiefst demütigenden Lokaltermine versetzen ihm einen Stoß und lösen zugleich die Rebellion in ihm aus. In Handschellen wird er nach Wiederau transportiert (5.7.)[13], nach Werdau, nach Mülsen St. Jacob (15.7.) –; da hält er es nicht mehr aus, und bei Kuhschnappel, auf dem Weg nach Bräunsdorf, reißt er am 26.7. alle seine Kräfte zu einem starken Stück zusammen: er zerbricht die ›eiserne Bretze‹ und entkommt …

      Bei der Verhaftung am 2.7. wurden in Mays Besitz 2 Schriftstücke gefunden, »welche der Angeklagte recognoscirt und geständlich in der Absicht selbst gefertigt hat, um davon bei Ausführung seiner Betrügereien und Schwindeleien Gebrauch zu machen …«[14] Das eine: ist eine »Polizeiliche Legitimation« mit der gefälschten Unterschrift »Dresden, am 19. Juni 1869 / Dr. Schwarze, Generalstaatsanwalt« und darauf angelegt, dem Inhaber bei seinen Falschgelderhebungen zu dienen; das andere, »Acta betreffend in Sachen der Erbschaft des Particuliers …«, trägt die Unterzeichnung »Dresden, am 24. Mai 1869 / Vereinigtes deutsch-amerikanisches Consulat / G. D. Burton, amerikanischer Generalkonsul / Heinrich von Sybel, sächs. General-Consul« – und bemerkenswert daran ist, daß May sich hier eines Namens bediente (›Burton‹ – so hießen auch die beiden Amerikaner), unter dem er selber noch im Alter in ›Winnetou IV‹ den Wilden Westen bereist: Namen wie Profile seiner späteren Figuren bleiben noch in der weit auswuchernden Imagination der Handlungsweisen ein paar einzelnen, zwanghaft wiederkehrenden Mechanismen verhaftet. Ob May von den selbstgefertigten Papieren irgendeinen praktischen Gebrauch gemacht hat, »ist von ihm in Abrede gestellt, ihm auch nicht nachgewiesen worden …« Dunkel ebenfalls bleibt, mit welcher Betätigungen Hilfe er sich in den folgenden Monaten am Leben erhalten hat: nach erfolgloser Polizeisuche am 11.8. (»Gestern Nacht rückten hier gegen 25 Gendarmen, die Polizeimannschaften der Umgegend und die Steiger-Section der Ernstthaler Turnfeuerwehr aus, um in den Hohensteiner Wäldern dem berüchtigten … May auf die Spur zu kommen …«[15]) bleibt er verschwunden, und erst Ende November wieder ist ein Aufenthalt in Plößnitz bei Halle nachgewiesen. Er reist dann im Dezember durchs Herzogtum Coburg-Gotha, hält sich in Coburg auf[16] und geht dann nach Böhmen; und dort ereilt ihn – unter ironisch bizarren Umständen – sein Geschick …

      Am 4.1.1870 wird in Algersdorf (Böhmen) ein Unbekannter aufgegriffen[17], der auf verdächtige Weise in einer Scheune übernachtet hat. Man schafft ihn zum Bezirksgericht Bensen und untersucht auf Diebstahl, stellt das Verfahren aber wieder ein und gibt den »ausweislosen Fremden« an die Bezirkshauptmannschaft Tetschen weiter, »zur Konstatierung seiner Identität«[18]. Die ist nun einzig auf die selbstgebastelten Data des Verhafteten angewiesen: Albin Wadenbach heiße er, so gibt er an, stamme von Orby auf Martinique, wo er eine von seinem Vater Heinrich W. geerbte Landwirtschaft besitze; seine gegenwärtige Reise gelte dem Besuch diverser Verwandten in Europa, – und er nennt auch ohne Scheu die Namen: einen an der Bürgerschule Chemnitz angestellten Lehrer W., eine Kantorswitwe, wohnhaft in Wendisch-Ossa bei Görlitz, eine weitere Tante, vermählte Rittergutsbesitzerin Ulrich bei Görlitz, und schließlich noch eine dritte namens Alwine W., die als Wirtschafterin des Oberamtmanns Poppel bei Halle hause. Dieser letzte Name (der den Initialfunken für die ganze exotische Geschichte geliefert hatte: denn diese echte Alwine hatte der falsche Albin Ende November 1869 tatsächlich in Plößnitz aufgesucht, damals vorgeblich in Gestalt eines »Schriftstellers Reichel aus Dresden« und »natürlichen Sohns des Prinzen von Waldenburg«, und dabei auch ihre frühere Anstellung bei besagtem Poppel in Siegelsdorf erfahren) – dieser Name läßt das so künstliche Gebäude am Ende zusammenstürzen. Wenn auch die Nachforschungen nach den übrigen Verwandten natürlich erfolglos bleiben, so wird doch jene Alwine bald ermittelt; Tetschen schreibt den ganzen Befund an die Dresdener Polizei-Direktion (28.1.1870) und bittet um Ermittlungen; ein eigens angefertigtes Porträt-Photo des Wadenbach wird 3 Tage später hinterhergeschickt; und da trifft am 2.2. das Telegramm der Dresdener Staatsanwaltschaft ein: »Der dort zur Haft gebrachte angebliche Albin Wadenbach aus Orby, welcher identisch mit dem entsprungenen Carl Friedrich May, ehemaliger Schullehrer, und ein sehr gefährlicher Verbrecher ist, soll dort sofort aufgehalten werden …«[19]

      Er wird es; man stellt ihm eine Falle (»Unter Benutzung seiner schon damals erworbenen Kenntnisse von ausländischen Gegenden und Sitten schrieb er … an den angeblichen Onkel einen Brief, aus dessen Inhalt man tatsächlich hätte schließen können, daß der Häftling auf Martinique wie zu Hause sei …«[20]); er wird überführt[21]; und am 14.3. holt man ihn von Tetschen ab und schafft ihn nach Mittweida, zum Bezirksgericht, wo er ein umfassendes Geständnis ablegt. Die Hauptverhandlung findet öffentlich am 13.4.70 statt; der königliche Richter »erkennt für Recht«, daß Carl Friedrich May des »einfachen Diebstahls, ausgezeichneten Diebstahls, Betrugs und Betrugs unter erschwerenden Umständen, Widersetzung gegen erlaubte Selbsthilfe, und Fälschung« schuldig sei: ein »Strafansatz« von 2 Jahren Arbeitshaus wird »für angemessen erachtet«, dem sich für die Widersetzung (Ponitz), den Pferdediebstahl (Bräunsdorf) und die Fälschung der Legitimationen 1 Jahr hinzugesellt; 1 weiteres Jahr wird pauschal wegen »Rückfälligkeit« verhängt; und die so addierten 4 Jahre Arbeitshaus werden »gemäß der Vorschrift Art. 300 Abs. 1 des Rev. StGB in die nächsthöhere Strafart von gleicher Dauer verwandelt«: Zuchthaus. Die Rache der Gesetze, die May im Gesamtwert von 106 Thalern 12 Ngr. 3 Pfg. beschädigt hatte, ist so brutal wie stets zuvor; freilich scheint sein Verhalten diesmal auch kaum Anlaß zu humanen Regungen gegeben zu haben: »Die ganze Persönlichkeit des Angeklagten«, schreibt der Verteidiger Haase aus Haynichen in seiner Berufung (17.5.), »machte in der Hauptverhandlung den Eindruck eines komischen Menschen, der gewissermaßen aus Übermuth auf der Anklagebank zu sitzen schien …«: er (der Haase) hat mich nicht verteidigt, sondern belastet, und zwar in der schlimmsten Weise … Dieser Advokat war unfähig, mich oder überhaupt ein nicht ganz alltägliches


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