Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann


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des Staates stand in vollem Einklang mit seiner langen, Der Mythos des 20. Jahrhunderts genannten Abhandlung, in der er den Staat anprangerte, sich weigerte, vor ihm »im Staube zu liegen« und Hegel kritisierte.3 In Mein Kampf, das lange vor seinem Machtantritt erschien, bringt Hitler ähnliche Gefühle zum Ausdruck, läßt seiner Verachtung für die Weimarer Demokratie vollen Lauf und prophezeit die Ankunft einer neuen Ära. Die Verfassungsrechtler und politischen Theoretiker, die sich in den Jahren 1933 und 1934 als zum Nationalsozialismus bekehrt bezeichneten, unterließen es offenbar, dieses Buch zu lesen, in dem jegliche Forderung des Staates und für den Staat zurückgewiesen wird. Der Staat, sagt Hitler, ist weder ein Begriff der Moral noch die Verwirklichung einer absoluten Idee, sondern der Diener des Volkstums. Er ist kein »Zweck, sondern ein Mittel. Er ist wohl die Voraussetzung zur Bildung einer höheren menschlichen Kultur, allein nicht die Ursache derselben. Diese liegt vielmehr ausschließlich im Vorhandensein einer zur Kultur befähigten Rasse.« An anderer Stelle sagt er: »Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen.« Er befähige sie zur besseren Erhaltung ihrer Art. Daher kann »die Güte eines Staates … nicht bewertet werden nach der kulturellen Höhe oder der Machtbedeutung dieses Staates im Rahmen der übrigen Welt, sondern ausschließlich nur nach dem Grade der Güte dieser Einrichtung für das jeweils in Frage kommende Volkstum … Also kann umgekehrt ein Staat als schlecht bezeichnet werden, wenn er, bei aller kulturellen Höhe, den Träger dieser Kultur in seiner rassischen Zusammensetzung dem Untergange weiht.« Aus diesen Gründen lehnt Hitler den unbedingten Gehorsam gegenüber dem Staat ab und bejaht ein biologisches Recht auf Widerstand. »Nicht die Erhaltung eines Staates oder gar die einer Regierung«, so schreibt er, ist »höchster Zweck des Daseins der Menschen, … sondern die Bewahrung ihrer Art. Ist aber einmal diese selber in Gefahr, unterdrückt oder gar beseitigt zu werden, dann spielt die Frage der Legalität nur mehr eine untergeordnete Rolle. Es mag dann sein, daß sich die herrschende Macht tausendmal sogenannter legaler Mittel in ihrem Vorgehen bedient, so ist dennoch der Selbsterhaltungstrieb der Unterdrückten immer die erhabenste Rechtfertigung für ihren Kampf mit allen Waffen … Menschenrecht bricht Staatsrecht.«

      Hitler erklärt entsprechend weiter: »Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird, dann ist die Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht … Denn wer nicht bereit oder fähig ist, für sein Dasein zu streiten, dem hat die ewig gerechte Vorsehung schon das Ende bestimmt.«4

      Die Theorie ist unverkennbar eine Art von pervertiertem Liberalismus, der sich auf eine biologische Vorstellung vom Naturrecht stützt und dem die Reinerhaltung der Rasse die angeborenen Rechte des Individuums ersetzt. Auch der Liberalismus begreift den Staat als Werkzeug oder Mechanismus; Hitlers Berufung der Vorsehung erinnert an die liberalistischen deistischen Philosophen, welche die Hilfe der Vorsehung als Garantie sozialer Harmonie beschworen. Jedoch sind die Unterschiede gewaltig. Die liberale Lehre hatte staatlichen Schutz ohne Ansehung von Rasse, Glauben oder Klasse versichert. An ihre Stelle ist heute die Doktrin von der Herrenrasse getreten.

      Die Doktrin, nach welcher der Staat eine untergeordnete Rolle zu spielen hat, wurde nach dem Blutbad vom 30. Juni 1934 zu neuem Leben erweckt. Der Parteitag vom September 1934 bot Gelegenheit zur Neuformulierung des Verhältnisses von Partei und Staat, und der Führer legte in seinem Aufruf besonderen Nachdruck darauf, daß die nationalsozialistische Revolution eine Sache der Vergangenheit sei.5 Hitler verwarf den Gedanken der permanenten Revolution mit dem Hinweis, sie führe zur Zerrüttung des völkischen, staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Permanente Revolutionen, so führte er weiter aus, sind nichts anderes als Machtkämpfe beutegieriger Politiker. Erfolg ist nicht ohne Stabilität zu erreichen. Die nationalsozialistische Revolution mußte beendet werden, weil das Volk bereits von der nationalsozialistischen Weltanschauung erfüllt und die Reichswehr zu einem auf ewig zuverlässigen Bollwerk des NS-Staates geworden ist. In der soeben zuendegegangenen Phase war es die oberste Aufgabe, die Autorität des Staates zu stärken. Die Aufgabe der Zukunft besteht darin, die Partei und ihre alten Braunhemd- und Leibgarde-Kämpfer zu einer einzigen Gemeinschaft zu verschmelzen, die durch einen feierlichen Eid verpflichtet ist, das ganze Volk zu reinigen, zu mobilisieren und den Glauben an die Partei zu stärken. Eine weitere Rede, die er zum Abschluß des Parteitages hielt, enthielt die bisher aggressivste Kritik an der Theorie des totalitären Staates. Die Partei, so erklärte Hitler, stellt die politische Elite: »Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat!«6

      Politische Theoretiker und Verfassungsrechtler, deren konformistische Instinkte geweckt waren, machten sich sogleich daran, die nationalsozialistische Lehre neu zu formulieren. Den entscheidenden Beitrag dazu leistete wiederum Carl Schmitt.7 Das politische Gebäude Deutschlands, so schrieb er, ruht auf einem dreigliedrigen Fundament: Staat, Bewegung und Volk. Der Staat ist der »politisch-statische Teil«, die Bewegung »das politisch-dynamische Element« und das Volk »die im Schutz und Schatten der politischen Entscheidungen wachsende unpolitische Seite« (S. 12). Obwohl Schmitt jeden Versuch, »ein Element gegen die anderen in sophistischer Weise auszuspielen«, ablehnt, enthält das von ihm erstellte Schema doch eine hierarchische Struktur. In der nationalsozialistischen oder faschistischen Tradition rangiert das »Dynamische« (was immer das bedeuten mag) höher als das »Statische« und das Unpolitische niedriger als das Politische. Tatsächlich weist Schmitt in seinem Buch jeden Versuch der Gleichsetzung des Staates mit seiner Bürokratie und Justiz zurück: »Die politisch führende Partei trägt als Organisation der ›Bewegung‹ sowohl den Staats›apparat‹, wie die Sozial- und Wirtschaftsordnung« (S. 14).

      Carl Schmitt trifft eine strenge Unterscheidung zwischen seiner Theorie der Dreigliederung des Staates und der dualistischen Theorie des Liberalismus, in der Staat und Gesellschaft einander als zwei getrennte Subjekte gegenüberstehen. In der neuen Theorie besitzt der Staat nicht das Monopol der politischen Entscheidung. Schmitt folgert, daß es nicht mehr der Staat sei, der das politische Element bestimmt, sondern umgekehrt der Staat vom politischen Element, das heißt der Partei, bestimmt werde.

      Das genaue Verhältnis von Staat und Bewegung bleibt freilich ungewiß. Obwohl unlösbar mit dem Staat verbunden, ist die Partei nicht identisch mit ihm. Sie gibt dem Staat Anweisungen, handelt aber nur durch ihren Führer. Führertum seinerseits darf nicht mit Oberaufsicht, Befehlsgewalt, Diktatur oder bürokratischer Herrschaft verwechselt werden. Die Rolle, die das Volk dabei zu spielen hat, ist noch unklarer. Per definitionem ist das Volk der unpolitische Teil, das heißt, es hat keinen Einfluß auf das Zustandekommen politischer Entscheidungen. Doch wurde dieser Teil der Schmittschen These nicht akzeptiert; denn seine eindeutige Folgerung, das Volk sei nur dazu da, regiert zu werden, löste leidenschaftliche Proteste aus. Schmitt wurde entgegengehalten, daß das Volk nicht unpolitisch, sondern politisch ist, daß es die Urkraft ist, von der alle Individuen ihre Recht herleiten. »Die politische Totalität des Nationalsozialismus ist gegründet auf eine alldurchdringende politische Idee, getragen von einem in sich geschlossenen politischen Volk, verwirklicht durch eine einzigartige politische Bewegung, und sie erhält Gestalt in der lebendigen, dauernden Form des Staates.«8

      Wie wir sehen werden, ist der Nationalsozialismus stolz darauf, das Volk in den Mittelpunkt seiner sozialen und politischen Ideologie gestellt zu haben. Carl Schmitts Dreigliederungstheorie wurde mit einer bezeichnenden Korrektur beibehalten: das Volk wurde zum Bestandteil der politischen Struktur erklärt. Wie das Volk politisch handeln könne, ist nicht dargelegt worden; lediglich die Führung der »Bewegung« wurde berücksichtigt.

      Unzählige Theoretiker und Pamphletisten traten hervor und nannten das Volk den Urquell des Staates, aber keiner von ihnen war in der Lage anzugeben, was das Volk als solches leisten könne, zumal der Führer nicht an Plebiszite gebunden ist. An die Stelle jeder rationalen Diskussion des Problems trat schlechte Metaphysik.

      Die Aussagen der nationalsozialistischen politischen Theorie zum Verhältnis von Partei und Staat sind gleichermaßen vage. In seiner Rede auf dem Parteitag von 1935 versuchte Hitler persönlich eine Definition: »Staatsaufgabe«, so sagte er, »ist die Fortführung


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