Die Piraten des indischen Meeres. Karl May

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Die Piraten des indischen Meeres - Karl May


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Engländer, dessen Regierung ihre Angehörigen allerorts nachdrücklich zu schützen wusste, nur vorteilhaft. Wir hatten uns nach und nach auch geistig zusammengefunden, und obgleich er mich niemals zu einer Wette verleiten konnte, war ich ihm doch so lieb geworden, dass er beinahe brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.

      Also jetzt lehnte er, unberührt von all den Naturreizen ringsum, in denen ich schwelgte, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, der ihm vorn auf der äußersten Nasenspitze saß, mit einer Beharrlichkeit, als wollte er an dem Sehwerkzeug irgendeine wichtige welterschütternde Entdeckung machen. Neben ihm lehnte sein Regen- und Sonnenschirm, der so kunstvoll zusammengesetzt war, dass er ihn als Stock, Degen, Sessel, Tabakspfeife und Fernrohr benutzen konnte. Diese einzigartige Seltenheit war ihm vom Traveller-Club, London, Near-Street 47, als Andenken verehrt worden. Er trennte sich niemals davon und hätte das Ding um alle Schätze der Welt nicht hergegeben. Diese Chair-and-umbrelle-pipe, wie er sie nannte, war ihm beinahe so lieb wie seine prachtvoll eingerichtete und pfeilschnelle kleine Dampfjacht, die unten im Hafen vor Anker lag und die er sich für seinen persönlichen Gebrauch auf den Werften von Greenock am Clyde, den in aller Welt berühmten Schiffsbauwerkstätten, hatte bauen lassen, weil er stets auf eigenen Füßen stehen und vom Befehl eines Kapitäns nicht abhängig sein wollte.

      Während mein Auge vom Leuchtturm ringsum schweifte, fiel mir ein Zug eingeborener Soldaten auf, der sich einem weit in die See hinausragenden Felsen näherte. Voran schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, der seiner Kleidung nach ein Singhalese sein musste. Jedenfalls lag hier eine Hinrichtung vor, und da ich die lebhafte Teilnahme kannte, die mein Gefährte für dergleichen Vorkommnisse hegte, machte ich den Versuch, ihn aus der welterschütternden Betrachtung aufzustören.

      „Sir John Raffley!“

      Er antwortete nicht.

      „Sir John Raffley!“, rief ich mit erhöhter Stimme.

      „Yes!“, antwortete er jetzt, ohne von dem goldenen Gestell seines Klemmers aufzublicken.

      „Wollt Ihr nicht einmal dort hinüberschauen, Sir?“

      „Warum?“

      „Ich glaube, es wird einer ins Wasser geworfen?“

      „Einer? Was für einer? Ein Hund? Ein Pferd? Ein Mensch?“

      „Ein Mensch, Sir John!“

      „Well. So lasst ihn ruhig ersaufen, Charley!“

      Er studierte mit unverändertem Eifer an seinem Klemmer weiter. Der Zug war auf der Höhe des Felsens angekommen und machte dort Halt. Die Soldaten schlossen einen Kreis um den Gefesselten.

      „Ich möchte doch wissen, was der arme Teufel verbrochen hat“, bemerkte ich, um Sir Johns Aufmerksamkeit zu erregen.

      „Hat er Euch etwas getan?“

      „Nein.“

      „Good God, so lasst ihn also ersaufen, Charley!“

      „Aber es sind ihm die beiden Arme zusammengeschnürt.“

      Jetzt hatte ich das Richtige getroffen, um seine Teilnahme zu erregen. Jeder unnötige Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen war ihm verhasst.

      „Gefesselt ist er? Zounds, das ist grausam, das ist gemein! Das würde man in Altengland nicht tun.“

      „Ihr habt sehr Recht. Der Brite ist in jeder Beziehung vornehm. Wenn er einen henkt, so lässt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“

      „Wo ist es, Charley?“

      „Da drüben auf der Felsenzunge.“

      Er warf jetzt wirklich einen Blick hinüber nach dem Ort, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete immer noch eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher ans Auge zu bringen und dem Gesicht die nötige Schärfe zu geben.

      „Heigh-ho, ist’s möglich?“

      „Was?“

      „Dass es Kaladi ist?“

      „Kaladi? Wer ist das, Sir John?“

      „Das sollt Ihr später erfahren. Ich muss mich überzeugen.“

      Er ergriff seinen Schirm, spannte dessen weißgraues Dach auf, drehte an einigen Schrauben des hohlen Doppelstocks und suchte durch das so entstandene Fernrohr den Punkt, auf dem die Hinrichtung vor sich gehen sollte.

      „Wollen wir wetten, Charley?“, fragte er nach einer Pause, während der seine Mienen eine immer wachsende Spannung angenommen hatten.

      „Worüber?“

      „Dass sich dieser Mann nicht ertränken lässt. Ich setze hundert Sovereigns!“

      „Gegen wen?“

      „Gegen Euch natürlich.“

      „Ihr wisst, Sir, dass ich nicht wette.“

      „Well, das ist wahr. Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr’s noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht beständig weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Dennoch werde ich Euch beweisen, dass ich die Wette gewinnen würde.“

      Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, der weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Kannte er dieses Zeichen des Engländers? Mit einer raschen Bewegung hob er den gesenkten Kopf und blickte zum Leuchtturm empor. Raffley stieß einen zweiten Pfiff aus und schwenkte den Schirm in der Luft.

      Die Wirkung war überraschend. Der zum Tod des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich unerwartet durch den Kreis der Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich kopfüber in die Fluten des Meeres hinab.

      „Seht Ihr’s, Charley“, schmunzelte John Raffley, „dass ich gewinnen würde?“

      „Ich sehe es noch nicht. Der Mann hat sich ja selbst ertränkt.“

      „Sich ertränkt? Seid Ihr bei Sinnen?“

      „Nun was anders?“

      „Was anders? Well, Ihr werdet es gleich erkennen. Look at that! Da taucht er aus den Wogen auf. Nun, Charley, was sagt Ihr jetzt?“

      „Bei Gott, er lebt! Der Kerl schwimmt ja trotz seiner gefesselten Hände wie ein Fisch!“

      „Wie ein Fisch? Pshaw, das ist noch zu wenig; wie ein Hummer wollt Ihr sagen! Es ist Kaladi, mein früherer Diener, der beste Taucher im ganzen Bereich dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint.“

      „Der Mann war Euer Diener? Darum kennt er Euern Pfiff?“

      „So ist’s. Er muss übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Bezirksverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich ist; sie sind ja selbst ausschließlich Singhalesen. Seht, die gebundenen Arme hindern ihn nicht im Geringsten, weil er auf dem Rücken schwimmt. Er kommt gerade auf den Leuchtturm zu.“

      Der sonst so wortkarge Mann war mit einem Mal außerordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könnte er ihm dadurch behilflich sein, und machte mir dabei die notwendig scheinenden Erklärungen.

      „Wie er stößt, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird vom Volk verfolgt, der Teufel hol’s! Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe nach dem Leuchtturm gemacht haben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind im vorigen Frühjahr miteinander über den Kalina-Ganga, über den Kalu-Ganga und sogar über den reißenden, hoch angeschwollenen Mahavelli geschwommen.“

      „Was war er denn, bevor er in Eure Dienste trat?“

      „Er war der geschickteste Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist


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