Seewölfe - Piraten der Weltmeere 663. Fred McMason
Читать онлайн книгу.mit Besuch rechneten. In solchen Dingen waren seine Landsleute mitunter von erschreckender Sorglosigkeit.
Direkt vor ihm, nur durch die Bordwand getrennt, erklangen Stimmen. Kanonen wurden ausgewischt und zum Nachladen bereitet. Im Innern der Galeone war ein Rumpeln und Rollen zu vernehmen.
Mit der ausgestreckten Hand tastete er weiter, bis er die Jakobsleiter zwischen den Fingern fühlte. Langsam und bedächtig, so wie er schon geschwommen war, begann er aufzuentern.
Einige bange Sekunden verstrichen, bis er das Deck erreichte. Wenn er jetzt jemandem in die Arme lief, oder gerade in diesem Augenblick eine Gestalt auftauchte, dann war seine Mission gescheitert.
Aber niemand war da. Das Schiff sah in dem Nebel aus, als sei es von allen verlassen worden. Nur die Stimmen waren zu hören, ein entferntes Murmeln und Raunen, das keinen Sinn ergab.
An Deck stank es gewaltig nach verbranntem Pulver. Die Rauchwolken waren von keinem Wind vertrieben oder verwirbelt worden. Sie hingen in, um und über dem Schiff, und sie drangen erstickend unter Deck hervor, wo die meisten Kanonen standen.
Die Kerle hatten den Vorteil, daß zumindest ihr Pulver nicht ständig naß wurde. Der Regen konnte nicht auf die Geschütze prasseln. Trotzdem hatten sie an Bord auch einige Schwierigkeiten mit dem Pulver, denn es hatte sich durch den Dauerregen Schwitzwasser gebildet, das alles verklebte und verpappte.
Ein Schatten bewegte sich in seiner unmittelbaren Nähe. Juan wich ihm aus und enterte einen Niedergang ab, der ins Batteriedeck führte.
Beizend und ätzend legte sich ihm Qualm auf die Lungen. Er hörte Männer keuchen und husten, und er hörte auch saftige Flüche.
Sehen konnte er absolut nichts. Er tastete mit den Händen um sich und stolperte fast über eine Kanone.
„Nachladen habe ich gesagt“, brummte eine tiefe Stimme. „Auch wenn ihr nichts seht, könnt ihr die Stücke im Schlaf finden. Oder habe ich euch Kerlen das nicht beigebracht?“
„Ich kriege keine Luft mehr“, stöhnte ein Mann in seiner unmittelbaren Nähe. „Ich ersticke fast.“
Der Kerl hustete zum Gotterbarmen.
„Den anderen geht’s nicht besser. Los, an die Arbeit!“
Die Stimme erklang weit hinter ihm. Offenbar war der Sprecher der Stückmeister.
Don Juan erschien das alles wie ein Traum. Es hingen zwar ein paar Laternen an den Decksbalken, aber man sah sie und ihr schwaches Licht erst dann, wenn man direkt davor stand. Und da war es auch nur ein verschwommener Fleck, ein fahles Glosen, um das sich dichter Rauch legte.
Männer stöhnten leise und unterdrückt, und immer wieder hörte er sie husten. Er konnte nicht anders – der Qualm reizte seine Schleimhäute, und er mußte ebenfalls husten.
Keiner kümmerte sich darum, als er losprustete. Es dauerte lange, bis er sich wieder beruhigt hatte.
Eine andere Stimme war jetzt zu hören. Wuchtige Schritte dröhnten durch das verqualmte Deck. Der Mann blieb vor einer Laterne stehen.
Juan sah nur den Kopf, und der glich einer schwarzen, formlosen Masse. Kein Gesichtszug war zu erkennen.
Ihm konnte das nur recht sein, denn so fiel er hier auch nicht weiter auf. Niemand würde in ihm einen Fremden vermuten.
„Nichts überhasten, Brillon“, sagte die befehlsgewohnte Stimme. „Wir feuern erst beim nächsten Glasen wieder. Es ist also noch Zeit, die abgefeuerten Stücke in Ruhe nachzuladen. Hier sind zehn andere Leute. Schicken Sie dafür zehn nach oben, damit sie nicht in diesem bestialischen Qualm ersticken.“
„Zehn Leute, Don Juarez“, erwiderte der Stückmeister. „Ich schicke sie sofort an Deck.“
„Recht so. El Lobo del Mar kann uns hier nicht mehr entwischen. Er liegt da drüben genauso fest wie wir auch, solange kein Wind geht. Und er ist angeschlagen, das wissen wir genau.“
Don Juan stand da in dem Qualm und Nebel und konnte sich nicht verkneifen, bis an die Ohren zu grinsen.
Wenn du wüßtest, mein Lieber, dachte er. Dann würde dir deine Ruhe sehr schnell vergehen.
Dieser Juarez mußte der Erste Offizier Juarez Molina sein, den sie schon einmal kennengelernt hatten, wenn auch nur flüchtig, als damals die Sklaven übergeben wurden. Aber Don Juan sah ihn noch deutlich vor sich, diesen Mann mit dem kurzen Stoppelhaarschnitt und der steifen linken Hand, deren Finger etwas nach innen gekrümmt waren. Er konnte die Hand nur sehr umständlich bewegen, und dann auch nur, wenn er die Rechte zu Hilfe nahm und sie wie einen toten Gegenstand bewegte.
Männer drängten sich um ihn. Sie sahen zwar auch nichts, aber sie hatten den Vorteil, hier an Bord zu Hause zu sein, und da kannten sie sich natürlich selbst bei Finsternis aus.
Juan wurde mit der Menge weitergeschoben, bis er vor einer Kanone landete. Zwei riesige Fässer mit Schießpulver standen daneben, aus denen jetzt Pulver geschaufelt wurde.
Da wollte Don Juan auch nicht faul herumstehen und griff fleißig zu.
Der Stückmeister Brillon ließ die Culverinen immer mit zehn Pfund Pulver laden, wie Juan sofort herausfand. Für einen Siebzehnpfünder wurden in der Regel aber meist zwölf Pfund genommen, englische Pfund natürlich.
Also knauserte der Kerl ein bißchen herum und sparte Pulver, wobei er auch gleichzeitig an der Kernschußweite knauserte, die je nach Ladung zwischen drei- und vierhundert Yards lag. Möglicherweise aber traute er seinen eigenen Geschützen nicht, oder es lag daran, daß seine Leute oftmals noch Steinkugeln verwendeten.
Die Dons spürten mehr, als sie sahen, daß an dem Geschütz bereits jemand hantierte und Pulver einfüllte. Wenn das ein anderer tat, so schonte man seine eigenen Knochen, und das war nicht schlecht.
Don Juan bemaß die Menge sehr großzügig mit drei Schaufeln. Und weil immer noch genügend Pulver hineinging, gab er noch mal soviel wie bisher hinzu. Mehr als die doppelte Ladung befand sich jetzt in dem Stück. Das würde einen feinen Krach geben, und die Kugel würde auch viel weiter als sonst fliegen, vorausgesetzt, die Kanone explodiert nicht. Viel Freude würden sie an dem Ding beim Abfeuern jedenfalls nicht haben.
Er hatte keinerlei Skrupel, als er zur nächsten Kanone ging und dem Don half, Pulver hineinzufüllen. Und dem Spanier war es nur recht, daß ihm jemand half, denn er hustete pausenlos. Vielleicht hielt er Juan auch für den Stückmeister Brillon persönlich.
Als es bei der zweiten Culverine auch so hervorragend klappte wie bei der ersten, wurde er etwas dreister und stieß die Kerle grob zur Seite, die gerade beim Einfüllen waren.
Er war erstaunt darüber, wie leicht sie sich schubsen ließen und sofort ihren Platz räumten. Man mußte nur burschikos genug auftreten.
Einen anderen Mann schnauzte er laut an, und der sprang so schnell zur Seite, daß er über ein Brooktau stolperte und zu Boden ging. Der Kerl wagte keine Widerrede.
Vier Kanonen hatte Juan bisher auf diese Weise präpariert. Einige davon würde die riesige Pulverladung zerreißen.
Sollten sie auseinanderfliegen. Garcia war ihr Todfeind und würde kein Erbarmen kennen, sie umzubringen. Dazu war ihm jedes Mittel recht.
Also war Juan auch jedes Mittel recht. Die Spanier hätten immerhin auf die gleiche Idee verfallen können, oder?
Bei der fünften Culverine war Schluß. Sie war bereits geladen, und für Juan gab es nichts mehr zu tun. Er durfte nur noch mithelfen, die großen Pulverfässer an das Schott zu schieben.
An einen Querbalken gelehnt, blieb er stehen und überlegte.
Er hatte jetzt alle Trümpfe in der Hand und konnte praktisch über das Schicksal des Schiffes und seiner Männer entscheiden. Er war der Herr über Leben und Tod.
So konnte er zum Beispiel die Laterne vom Decksbalken nehmen und sie in die noch immer offenen Pulverfässer werfen.
Zweifellos würde es einen Brand geben, der nicht