Ohne Gnade. Helmut Ortner

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Ohne Gnade - Helmut Ortner


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Folter vorzunehmen. Die Überzeugung, dass Gott unmittelbar in die Gerichtspraxis eingreifen könne, war weit verbreitet. Bekannt waren die sogenannten Hexenproben, die vor allem zur Überführung einer Hexe dienten. Bei der Nadelprobe stach der Richter mit einer Nadel in ein Muttermal, trat kein Blut aus, galt die Schuld als erwiesen. Am bekanntesten ist die Wasserprobe: So wurden im westfälischen Lemgo 1583 drei Frauen ausgezogen und an Händen und Füßen so eng gebunden, dass sie sich nicht bewegen konnten. Danach wurden sie im Beisein etlicher tausend Menschen an einem Strick festgebunden ins Wasser geworfen. Als sie gleich wie ein Holz nicht umgehend untergegangen waren, galten sie als unschuldig. Das Wasser wollte die Sünder nicht haben.

      War ein Angeklagter trotz gründlicher Verhöre, belastender Zeugenaussagen und zermürbender Kerkerhaft nicht zum Geständnis bereit, setzte man auf die Folter, die in aller Regel so lange gesteigert wurde, bis endlich ein Geständnis erzielt war. Sie war nicht so sehr Ausdruck eines unkontrollierten Sadismus der Foltergehilfen, sondern ein von allen öffentlichen Institutionen der Kirche und des Staates anerkanntes Mittel zur Wahrheitsfindung. Folter sollte das Böse im Menschen bezwingen – mit Gottes Hand und Segen. Erste Anwendung fand die Folter in den Ketzer- und Hexenprozessen, hier wurde sie zum entscheidenden Instrument im Kampf gegen den Satan. Schritt für Schritt drang sie dann in alle Verfahren gegen schwere Verbrechen ein.

      Insgesamt sollte die Folter nach Ermessen eines „guten, vernünftigen Richters“ vorgenommen und der Verdächtige je nach Stärke des Argwohns oft oder weniger oft gefoltert werden. Das Ausmaß der Folter und der Umgang mit dem Angeklagten blieben unkontrolliert und waren allein Sache der richterlichen Obrigkeit. Man ging dabei stufenweise vor: Es gab zahllose Theorien und Praktiken, je nach Religion und Tradition. In der Regel basierte die Folterpraxis auf einer „Dreistufen-Dramaturgie“:

      Zu Beginn stellte der Scharfrichter seine Instrumente vor. Durch dieses Einschüchterungsszenario versuchte er den Beschuldigten zum Geständnis zu bewegen. Nutzte dies nichts, schritt er zur zweiten Stufe: Der Verdächtige wurde entkleidet und es wurden ihm Bein- und Daumenstöcke angelegt. Allein das Ausgeliefertsein durch die Nacktheit zeigte bei vielen Wirkung: Sie gaben ihren Widerstand demoralisiert auf. War auch bis dahin noch kein befriedigendes Geständnis erreicht, begann der Richter mit der dritten Stufe, der peinlichen Befragung unter Zuhilfenahme von Daumenstöcken. Dabei wurden flache Eisenstücke zwischen die Daumen gelegt und zusammengepresst. Danach gab es zahlreiche Möglichkeiten, die Schmerzen für den Delinquenten zu intensivieren.

      Hier kannte die Phantasie der Peiniger keine Grenzen. Die Abscheulichkeiten – vor allem bei Hexenprozessen – sind dokumentiert. Die zugefügten Schmerzen verstand man als Kampf gegen den Teufel, den es durch eine von Gott geführte Hand zu besiegen galt. Dennoch: Es war ein ambivalentes Marter-Ritual: Einerseits wurde alles darangesetzt, die Wahrheit herauszuquälen und den Willen des Delinquenten zu brechen, andererseits sollte der Gefolterte keinen dauerhaften Schaden erleiden. Eigentlich waren Kranke, Alte oder schwangere Frauen von der Folterprozedur ausgeschlossen. Ansonsten aber wurden die Folter und das peinliche Strafverfahren immer dann mit aller Härte durchgeführt, wenn es darum ging, den gefassten Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen. Also immer.

      Es bedurfte noch Jahrzehnte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Folter ein ungeeignetes Mittel war, um die Wahrheit zu finden oder gar den Anspruch der Gerechtigkeit zu erfüllen. Und es sollte bis ins 18. Jahrhundert dauern, bis die Folter verboten und aufgehoben wurde: etwa in Preußen 1754, in Sachsen 1770 und in Österreich 1776. So waren beispielsweise der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, der vier Jahre zuvor, am Morgen des 14. Januar 1772, in Frankfurt am Main ihr Todesurteil vorgelesen wurde, die peinlichen Verhöre erspart geblieben. Doch auch wenn neue Strafrechtsverordnungen zunehmend Folter und Scheiterhaufen verboten, an archaischen Strafpraktiken und öffentlicher Inszenierung wurde mit Nachdruck und organisatorischem Eifer festgehalten. So lautete Susanna Margaretha Brandts Urteil: Tod durch Enthaupten. Das Hinrichtungsritual dokumentiert Richard van Dülmen eindrucksvoll in seinem Buch Theater des Schreckens:

      „Der Richter war in Exekutionskleidung erschienen, einem schwarzen Gewand, darüber einen roten Mantel, auf dem das große Stadtwappen zu sehen war. Die junge Frau trug ein ‚Totenkleid‘, eine weiße Haube, eine weiße leinene Jacke mit schwarzer Schleife und einen weißen Rock, dazu weiße Handschuhe. Um 8 Uhr folgte eine kleine Mahlzeit, bis ab 9 Uhr die Kirchenglocke alle Viertelstunde mit drei Anschlägen schlug und zum Aufbruch rief. Die Verurteilte wurde an beiden Händen gebunden auf die Straße geführt. Der Richter, mit einem großen Zepter in der Hand, stieg mit weiteren städtischen Beamten in roten Röcken auf die Pferde. Grenadiere umgaben die von Geistlichen und dem Knecht des Scharfrichters begleitete ‚arme Sünderin‘. Unter ständigem Singen, Beten und Zurufen bewegte sich der Zug gemächlich zur Richtstätte.

       Währenddessen hatte der Scharfrichter mit seinen Söhnen und weiteren Gehilfen unter dem Schutz von Grenadieren auf dem Richtplatz alles vorbereitet. Als die Delinquentin eine halbe Stunde später ankam, segneten sie die Geistlichen und der Scharfrichter führte sie zu einem Stuhl, wo er sie festband. Danach entblößte er ihr sorgsam Hals und Kopfhaar. Darauf wurde, unter beständigen Zurufen der Seelsorger, ihr Kopf durch einen Streich des Scharfrichters ‚glücklich und wohl‘ abgeschlagen. Auf die Frage des Henkers, ob er das ihm Befohlene richtig ausgeführt habe, antwortete der Richter: ‚Er hat sein Amt wohl verricht und gethan, was Gott und die Obrigkeit befohlen hat.‘“

      Das öffentliche Sterben, wie es im 18. Jahrhundert inszeniert wurde, war eine ernste Angelegenheit, die ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen sollte. Richard van Dülmen schildert eindrucksvoll, wie sich der Zug der Beteiligten nach der öffentlichen Urteilsverkündung und der Henkersmahlzeit in der Regel bereits am frühen Morgen unter Glockenschlägen vom Gefängnis oder Rathaus zum Richtplatz in Bewegung setzte. Dort hatte sich das Volk schon seit Stunden versammelt. Bevorstehende Hinrichtungen wurden durch Aushang und Ausrufen öffentlich und frühzeitig bekannt gemacht, mitunter hing ein rotes Tuch vom Balkon des Rathauses und zeigte an, dass eine Hinrichtung unmittelbar bevorstand.

      Von öffentlichen Exekutionen, die oft den Charakter eines Volksfestes trugen, wird in einem späteren Kapitel noch die Rede sein.

      In der Regel nahm der „Arme-Sünder-Zug“ mit dem Verurteilten den kürzesten Weg zur Richtstätte, obschon er auch am Wohnhaus des Delinquenten oder am Tatort des Verbrechens vorbeigeführt werden konnte. Soldaten begleiteten den Zug, damit es zu keinen Unruhen kam und der festlichfeierliche Charakter gewahrt blieb.

      Richter und Henker waren durch ihre Kleidung weithin sichtbar. Der Verurteilte musste gefesselt zu Fuß gehen; mancherorts wurde er auf einem Wagen gefahren und zur Schau gestellt, was bereits Teil der Strafe war. Vom Verbrechen und der Haltung des Delinquenten hing es ab, wie das Volk am Wegesrand reagierte. Spott und Hohn waren ebenso an der Tagesordnung wie aufmunterndes Zurufen, Wehklagen oder Einstimmen in das von Geistlichen angestimmte Lied. Für besonders schimpfliche Verbrechen gab es – wie auf vorhergehenden Seiten im Katalog der Strafen aufgeführt – das Schleifen zur Richtstätte, das auf einer frischen Kuhhaut mit dem Kopf nach unten durchgeführt wurde. Auch für diese grausame Tortur gab es genaue Anweisungen vom Richter:

       „Es wird eine absonderliche Schleiffe, etwas höher als eine Maltz-Horde, mit Sprossen gemacht, so groß, daß darauf der Cörper geleget werden kann. Doch darf er nicht gantz darauf liegen, sondern nur so, als wenn er säße, und gleichsam den rechten Arm untergestützet hätte und ruhete. Diese Schleiffe wird nun mit einer Küh-Haut belegt, und zum Halsgerichte, iedoch außer den Kreis, hingebracht. Wenn das Halsgerichte aufgehoben und die Stühle umgeschmissen, so wird hernach solche Schleiffe dagin vollende angerückt, und der Delinquent gleichsam sitzende dergestalt darauf geleget, daß der Kopf nach des Pferdes Schwanz zu liegen muß. Mit dem rechten Arm aber wird der Delinquent durch einen Strick an ein oder zwey der letzten Speichen und Sprossen, durch die Küh-Haut durch, dermaßen angebunden, daß der Kopf etwas niedriger als der Leib zu liegen kommet, aber nicht an die Erde aufschmeißet. Wie nun an die Schleiffe ein Ortscheid gemachtet, und davor ein Pferd gespannet wird, welches ein Schinder-Knecht reitet; also wird sodann der Delinquent auf diese Art zur Fehm-Stäte hingeschleiffet …“

      Die Rolle des Schinder-Knechts, dessen Aufgabe es war, dazu beizutragen,


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