Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Be­we­gun­gen, wäh­rend sein Geg­ner die leich­ten, bun­ten Blät­ter mit Ge­wandt­heit, Ge­schick­lich­keit und An­mut ei­nes ge­üb­ten Spie­lers nahm, aus­spiel­te und durch sei­ne Fin­ger glei­ten ließ. Nor­bert de Va­ren­ne saß im großen Lehn­stuhl des Di­rek­tors und schrieb einen Ar­ti­kel, Jaques Ri­val lag mit ge­schlos­se­nen Au­gen lang aus­ge­streckt auf ei­nem Sofa und rauch­te eine Zi­gar­re.

      Es roch hier in dem ab­ge­schlos­se­nen Zim­mer nach dem Le­der der Mö­bel, nach al­tem Ta­bak und nach Drucker­schwär­ze. Man spür­te den ei­gen­ar­ti­gen Duft der Re­dak­ti­ons­zim­mer, der je­dem Jour­na­lis­ten be­kannt ist.

      Auf dem schwar­zen, kup­fer­be­schla­ge­nen Tisch lag ein ge­wal­ti­ger Pa­pier­hau­fen, Brie­fe, Kar­ten, Zei­tun­gen, Rech­nun­gen der Lie­fe­ran­ten, Druck­sa­chen al­ler Art. Fo­res­tier schüt­tel­te den Wet­ten­den, die hin­ter den Spie­lern stan­den, die Hand und sah dann schwei­gend der Par­tie zu. So­bald Va­ter Wal­ter ge­won­nen hat­te, stell­te er vor:

      »Hier ist mein Freund Du­roy.«

      Der Chef warf über die Glä­ser sei­ner Bril­le einen ra­schen Blick auf den jun­gen Mann und frag­te:

      »Sie brin­gen mir mei­nen Ar­ti­kel? Er kommt heu­te ge­ra­de recht zur Dis­kus­si­on Mo­rel.«

      Du­roy zog die zu­sam­men­ge­fal­te­ten Blät­ter aus der Ta­sche.

      »Hier, Herr Wal­ter.«

      Der Chef schi­en ent­zückt und sag­te lä­chelnd: »Sehr schön, sehr schön. Sie hal­ten Wort. Sie müs­sen mir das wohl durch­se­hen, Fo­res­tier.«

      »Das ist nicht not­wen­dig, Herr Wal­ter,« er­wi­der­te schleu­nigst Fo­res­tier, »ich habe den Be­richt mit ihm zu­sam­men ge­schrie­ben, um ihm eine An­lei­tung zu ge­ben. Der Ar­ti­kel ist ta­del­los.«

      Der Di­rek­tor er­hielt eben die Kar­ten von ei­nem großen, ma­ge­ren Herrn, ei­nem Ab­ge­ord­ne­ten des lin­ken Zen­trums. Er füg­te gleich­gül­tig hin­zu:

      »Dann ist also al­les in Ord­nung.«

      Noch ehe er die neue Par­tie be­gin­nen konn­te, beug­te sich Fo­res­tier zu ihm hin­ab und sag­te:

      »Sie wis­sen, Sie ha­ben mir zu­ge­sagt, Du­roy an Stel­le von Ma­ram­bot zu en­ga­gie­ren. Soll ich un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen mit ihm ab­schlie­ßen?«

      »Ja na­tür­lich.«

      Der Jour­na­list nahm sei­nen Freund beim Arm und zog ihn fort, wäh­rend Herr Wal­ter wei­ter­spiel­te.

      Nor­bert de Va­ren­ne hat­te nicht den Kopf er­ho­ben; er schi­en Du­roy nicht ge­se­hen oder nicht wie­der­er­kannt zu ha­ben. Jaques Ri­val da­ge­gen hat­te ihm de­mons­tra­tiv die Hand kräf­tig ge­schüt­telt, um zu zei­gen, dass. er ein gu­ter Ka­me­rad sei, auf den man sich, ver­las­sen kön­ne.

      Sie gin­gen wie­der durch das War­te­zim­mer. Alle blick­ten auf, und Fo­res­tier sag­te zu der jun­gen Frau so laut, dass auch die an­de­ren War­ten­den es hö­ren könn­ten:

      »Der Di­rek­tor wird Sie so­gleich emp­fan­gen. Er hat jetzt ge­ra­de eine Kon­fe­renz mit zwei Mit­glie­dern der Bud­get­kom­mis­si­on.«

      Dann ging er rasch wei­ter mit wich­ti­ger und ei­li­ger Mie­ne, als woll­te er eine De­pe­sche von äu­ßers­ter Wich­tig­keit re­di­gie­ren.

      Als sie wie­der in dem großen Re­dak­ti­ons­saal an­lang­ten, griff Fo­res­tier so­fort wie­der zu sei­nem Bil­bo­quet, ver­tief­te sich in das Spiel und sag­te zu Du­roy, in­dem er zwi­schen den Wor­ten die Tref­fer zähl­te:

      »Also: du kommst je­den Tag um drei Uhr hier­her und ich wer­de dir sa­gen, wel­che Gän­ge und Be­su­che du am Tage, am Abend und am nächs­ten Mor­gen ma­chen musst. — Eins. — Zu­nächst wer­de ich dir ein Emp­feh­lungs­schrei­ben für den ers­ten Bü­ro­chef in der Po­li­zei­prä­fek­tur ge­ben. — Zwei. — Der wird dich zu ei­nem sei­ner Be­am­ten wei­sen. Mit ihm setzt du dich in Ver­bin­dung über alle wich­ti­gen — drei — Po­lizein­ach­rich­ten, of­fi­zi­ell und halb­of­fi­zi­ell. Ver­stan­den? We­gen al­ler Ein­zel­hei­ten wen­dest du dich an. Saint-Po­tin, der Be­scheid weiß. — Vier. — Du wirst ihn gleich oder mor­gen ken­nen­ler­nen. Vor al­len Din­gen kommt es dar­auf an, die Leu­te, die du be­suchst, zum Re­den zu brin­gen — fünf — und über­all Zu­tritt zu fin­den trotz ver­schlos­se­ner Tü­ren. — Sechs. — Da­für be­kommst du ein mo­nat­li­ches Ge­halt von zwei­hun­dert Fran­cs, au­ßer­dem zwei Sous pro Zei­le für alle Neu­ig­kei­ten, die du selbst ent­deckt hast. — Sie­ben. — Eben­so zwei Sous pro Zei­le für alle Ar­ti­kel, die du über ver­misch­te Nach­rich­ten zu schrei­ben hast. — Acht.«

      Dann küm­mer­te er sich nur noch um sein Spiel und fuhr lang­sam fort zu zäh­len. Neun — zehn — elf — zwölf — drei­zehn. Den vier­zehn­ten Wurf ver­fehl­te er, und er be­gann zu flu­chen: »Die ver­fluch­te Drei­zehn bringt mir im­mer Pech. Ver­dammt noch ein­mal, am 13. st­er­be ich si­cher.«

      Ei­ner der Re­dak­teu­re, der mit sei­ner Ar­beit fer­tig war, nahm jetzt eben­falls ein Bil­bo­quet aus dem Schrank. Es war ein win­zi­ger Mensch mit ei­nem Kin­der­ge­sicht, ob­gleich er schon 35 Jah­re zähl­te. Meh­re­re an­de­re Jour­na­lis­ten ka­men auch her­ein und gin­gen ei­ner nach dem an­de­ren zum Schrank, um das Spiel­zeug zu ho­len, das ih­nen ge­hör­te. Bald wa­ren es sechs, die mit den Rücken ge­gen die Wand ne­ben­ein­an­der stan­den und mit der glei­chen re­gel­mä­ßi­gen Be­we­gung die je nach der Holzart ro­ten, gel­ben und schwar­zen Ku­geln in die Luft war­fen. Es be­gann ein Wett­kampf, und die bei­den an­de­ren Re­dak­teu­re, die noch ar­bei­te­ten, stan­den auch auf, um als Schieds­rich­ter die Tref­fer zu zäh­len. Fo­res­tier ge­wann mit 11 Points. Der klei­ne Mann mit dem Kin­der­ge­sicht hat­te ver­lo­ren. Er klin­gel­te und rief dem ein­tre­ten­den Bo­ten zu: »Neun Bier!«. Dann be­gan­nen sie wie­der zu spie­len, in Er­war­tung des er­fri­schen­den Ge­tränks.

      Du­roy trank ein Glas Bier mit sei­nen neu­en Kol­le­gen und dann frag­te er sei­nen Freund:

      »Was soll ich jetzt tun?«

      »Heu­te habe ich nichts mehr für dich,« er­wi­der­te der an­de­re, »du kannst ge­hen, wenn du willst.«

      »Und … un­ser … un­ser Ar­ti­kel, wird er noch heu­te Abend ge­druckt?«

      »Ja, aber du brauchst dich dar­um nicht zu küm­mern, ich wer­de die Kor­rek­tur le­sen. Ma­che mor­gen den zwei­ten Ar­ti­kel fer­tig und sei, wie heu­te, um drei Uhr hier.«

      Du­roy schüt­tel­te al­len die Hän­de, ohne die Na­men der dazu ge­hö­ren­den Per­so­nen zu ken­nen und stieg dann wie­der mit fro­hem. Mute und leich­tem Her­zen die schö­ne Trep­pe hin­ab.

      IV.

      Ge­or­ges Du­roy hat­te schlecht ge­schla­fen. Die Sehn­sucht, sei­nen Ar­ti­kel ge­druckt zu se­hen, gab ihm kei­ne Ruhe. Schon bei Ta­ge­s­an­bruch stand er auf und ging in den Stra­ßen her­um, lan­ge be­vor die Zei­tungs­trä­ger von ei­nem Kiosk zum an­de­ren die großen Pa­pier­bün­del her­um­tru­gen. Dann ging er zum Bahn­hof, denn er wuss­te, dass die Vie Françai­se dort eher ein­tref­fen wür­de als in sei­nem Vier­tel. Aber es war im­mer noch zu früh und wie­der muss­te er in den Stra­ßen auf und ab wan­dern.


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