Guy de Maupassant: Bel Ami (Deutsche Ausgabe). Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant: Bel Ami (Deutsche Ausgabe) - Guy de Maupassant


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wir mitten im Hochsommer. Oh! Im Winter geh ich nach Menton, um mich auszukurieren. Mag kommen, was will, meine Gesundheit geht mir über alles.«

      Sie waren jetzt am Boulevard Poissonière und standen vor einer großen Glastür, die von innen mit einer Zeitung beklebt war. Drei Leute waren stehengeblieben, um das Blatt zu lesen.

      Über dem Tor stand in großen Buchstaben aus Gasflammen der Name der Zeitung: ›La Vie Française‹ geschrieben. Und die Passanten, die plötzlich in das grelle Licht dieser drei Worte traten, wurden nun auf einmal deutlich sichtbar wie am hellichten Tag, um dann sofort wieder im Dunkel zu verschwinden.

      Forestier öffnete die Tür:

      »Geh rein«, sagte er.

      Duroy ging hinein, stieg eine pomphafte, schmutzige Treppe hinauf, die man von der Straße aus ganz überblicken konnte, ging durch das Vorzimmer, in dem zwei Bureau-Diener seinen Gefährten grüßten, bis er in einen Warteraum gelangte. Die Räume waren verstaubt und abgenutzt, mit Tapeten aus schmutzigem, unechtem, grünem Samt, die voller Flecken und hier und da durchlöchert waren, als hätten die Mäuse sie angeknabbert.

      »Setz dich«, sagte Forestier, »ich bin in fünf Minuten wieder da.«

      Und er verschwand hinter einer der drei Türen, die aus diesem Zimmer führten.

      Der seltsame, eigentümliche, unbeschreibliche Geruch eines Redaktions-Bureaus erfüllte den Raum. Duroy blieb unbeweglich, etwas eingeschüchtert und überrascht sitzen.

      Von Zeit zu Zeit liefen Leute an ihm vorbei; sie kamen aus einer Tür und verschwanden durch die andere, noch ehe er Zeit hatte, sie anzusehen. Bald waren es junge, sehr junge Leute mit geschäftigem Gesichtsausdruck, die in der Hand ein Blatt Papier trugen, das bei ihrem Laufen im Winde flatterte. Manchmal waren es auch Setzer, unter deren von Tinte beschmutzten Leinenkitteln man reinweiße Hemdkragen und eine elegante Tuchhose von modernem Schnitt sah. Vorsichtig trugen sie bedruckte Papierstreifen, frische, noch feuchte Korrekturfahnen. Bisweilen trat ein kleiner Herr mit einer etwas auffallenden Eleganz, mit einer etwas zu engen Taille, mit Beinkleidern, die zu eng anlagen, und mit übermäßig spitzen Schnabelschuhen, ein, irgendein Reporter, der Neuigkeiten aus der Lebewelt brachte. Auch andere kamen, ernste, gewichtige Persönlichkeiten. Sie trugen Zylinderhüte mit ganz flachen Rändern, als ob sie sich durch diese Form von der ganzen übrigen Menschheit unterscheiden wollten.

      Forestier erschien wieder, Arm in Arm mit einem hochgewachsenen, mageren Mann in den dreißiger Jahren. Dieser war in einen Frack, mit weißer Krawatte, gekleidet, hatte dunkles Haar, einen Schnurrbart mit scharfgedrehten Spitzen und eine dreiste, selbstbewusste Miene. Forestier sagte zu ihm:

      »Adieu, verehrter Meister!«

      Der andere drückte ihm die Hand: »Auf Wiedersehen, mein Lieber!« und stieg dann, einen Spazierstock unter dem Arm, pfeifend die Treppe hinab.

      »Wer ist das?« fragte Duroy.

      »Jaques Rival — du weißt doch? — der berühmte Chronist und Duellant. Er hat eben seine Korrektur durchgelesen. Garin, Montel und er gelten augenblicklich als die geistvollsten und wirksamsten Feuilletonisten in ganz Paris. Für zwei Artikel, die er wöchentlich schreibt, verdient er bei uns jährlich dreißigtausend Francs.

      Beim Weitergehen begegneten sie einem kleinen dicken Herrn mit langen Haaren und unsauberem Äußeren, der schweratmend die Treppe hinaufkam.

      Forestier grüßte sehr tief:

      »Norbert de Varenne«, sagte er, »der Dichter der ›Erloschenen Sonne‹, auch ein hochbezahlter Mann. Jede Erzählung, die er herausgibt, kostet dreihundert Francs und die allerlängsten haben noch nicht zweihundert Zeilen ...

      Aber komm jetzt ins Café Napolitain, ich sterbe vor Durst!«

      Kaum hatten sie sich an den Tisch gesetzt, als Forestier rief: »Zwei Bier!« und dann sein Glas mit einem Zug herunterstürzte, während Duroy das Bier mit langsamen Schlucken trank und sorgsam auskostete, wie eine wundervolle und seltene Kostbarkeit. Sein Gefährte schwieg, er schien nachzudenken und fragte dann plötzlich:

      »Warum willst du es nicht mit dem Journalismus versuchen?«

      Der andere blickte ihn überrascht an, dann sagte er:

      »Aber... das ist ... ich habe doch noch nie etwas geschrieben.«

      »Ach was, man versucht es, man fängt an. Ich könnte dich zum Beispiel gebrauchen, um Erkundigungen einzuziehen und um Besuche zu machen. Du bekämst zu Anfang zweihundertfünfzig Francs und die Droschken bezahlt. Soll ich mit dem Chef sprechen?«

      »Aber natürlich möchte ich das, sehr gerne.«

      »Also dann sei so gut und komme morgen zu mir zum Essen. Es werden nur fünf oder sechs Personen sein: der Chef, Herr Walter, seine Frau, Jaques Rival und Norbert de Varenne, die du ja soeben gesehen hast, und schließlich noch eine Freundin meiner Frau. Also abgemacht?«

      Duroy zögerte, errötete und wurde verwirrt. Endlich murmelte er:

      »Es ist nur ... ich habe keinen passenden Anzug ...«

      Forestier war starr.

      »Was? Du hast keinen Frack? Teufel noch mal! Das ist doch etwas Unentbehrliches! In Paris kann man ein Bett vielleicht entbehren, einen Frack nie. Dann griff er plötzlich in seine Westentasche, zog eine Handvoll Geld hervor und legte zwei Zwanzigfrancs-Stücke vor seinen alten Freund hin, wobei er in einem herzlichen und vertrauten Ton sagte:

      »Du gibst sie mir wieder, wenn du kannst. Leihe oder kaufe dir die nötigen Kleidungsstücke, indem du eine Anzahlung gibst. Jedenfalls erwarte ich dich morgen um halb acht in. meiner Wohnung, 17 Rue Fontaine, zu Tisch.«

      Duroy war verwirrt, aber er nahm das Geld und stammelte:

      »Du bist wirklich zu liebenswürdig, ich danke dir herzlich ... Verlass dich darauf, ich werde es nie vergessen.«

      »Gut, gut!« fiel ihm der andere ins Wort. »Nicht wahr, wir trinken noch ein Bier?« Und er rief: »Kellner, noch zwei Bock!«

      Dann, als sie ausgetrunken hatten, fragte der Journalist:

      »Willst du noch ein Stündchen bummeln?«

      »Aber gewiss!«

      Und sie brachen auf und gingen in der Richtung nach Madeleine.

      »Was sollen wir tun?« fragte Forestier. »Man sagt, in Paris hat man stets was zu tun, wenn man bummelt. Das ist nicht wahr. Wenn ich abends bummeln will, weiß ich nie, wohin ich gehen soll. Eine Fahrt ins Bois macht nur Spaß, wenn noch ein Weib dabei ist, und da hat man nicht immer eins bei der Hand. Die Cafés mit Musik mögen meinen Drogisten mit seiner Frau zerstreuen, mich nicht. Was also tun? Nichts! Man müsste hier einen Sommergarten haben, wie den Park Monceau, der nachts geöffnet wäre, wo man ausgezeichnete Musik hörte und unter den Bäumen Erfrischungen nehmen könnte. Das wäre kein eigentliches Vergnügungslokal, aber ein Ort, wo man sich behaglich aufhalten könnte. Man müsste hohe Eintrittspreise nehmen, um hübsche Damen herbeizulocken. Man sollte da auf kiesbestreuten Fußwegen herumspazieren können, die elektrisch beleuchtet wären, und sich setzen können, wenn man Lust hätte, um von fern und nah Musik anzuhören. So etwas gab es früher bei Muzard, aber das war zu sehr Ball-Lokal, zuviel Tanzmusik und zuwenig Platz, zuwenig Schatten und Dunkelheit. Es müsste ein sehr schöner, sehr großer Garten sein. Das wäre herrlich! ... Also, wo willst du hin?«

      Duroy war noch immer verlegen und wusste nicht, was er vorschlagen sollte. Endlich entschloss er sich:

      »Ich kenne die ›Folies Bergère‹ noch gar nicht, da möchte ich ganz gern einmal hin.«

      »Donnerwetter!« rief Forestier, »die Folies Bergère? Da werden wir ja kochen wie im Backofen. Aber meinetwegen, es ist dort immer lustig.«

      Sie gingen wieder zurück, um die Rue du Faubourg-Montmartre zu erreichen.

      Die erleuchtete Fassade des Theaters warf grellen Schein auf die vier Straßen,


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