Heute bei uns zu Haus. Ханс Фаллада

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Heute bei uns zu Haus - Ханс Фаллада


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Besichtigung der Räumlichkeiten zugelassen. Kindergeschrei? Windelwäsche? Danke bestens – nicht für uns!

      Schließlich – Suse konnte schon keine Treppen mehr steigen – fanden wir zwei alte Leutchen in der Gegend von Alt-Moabit, die entweder keinen Blick für den Zustand meiner Frau oder gegen Kinder nichts einzuwenden hatten, wahrscheinlich weil sie selbst nie Kinder gehabt hatten. Es waren sogar zwei Zimmer, anständige große Räume; die Brandmauer des Hauses zeigte gegen den Bahnhof Bellevue, noch heute ist sie mit einer Reklame für ›Kupferberg Gold‹ bemalt.

      Noch heute, wenn ich auf dieser Strecke fahre, betrachte ich nachdenklich diese Malerei. Hinter ›Gold‹ haben wir über ein Jahr gehaust, aber das war auch das einzige Gold, das wir in diesem Jahr zu sehen kriegten. Denn die beiden Zimmer kosteten einhundertvierzig Mark im Monat, und netto bekam ich etwa zweihundertzwanzig Mark. Achtzig Mark blieben uns fürs Leben. Wir haben es ja irgendwie geschafft, wir haben sogar noch die Aussteuer für das Baby gekauft, aber wie wir das fertiggebracht haben, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich weiß nur, daß wir immerzu rechneten, und daß ein fehlender Groschen zu langen Diskussionen führte.

      Am 2. Januar war ich natürlich pünktlich um acht Uhr auf dem Verlag; wenn wir privatim schwerste Sorgen hatten, dort sollte man nichts davon merken! Noch hatte ich keine Ahnung von der Art der Arbeit, die mich erwartete, ich wußte nicht einmal, ob ich auf dem Verlag selbst arbeiten sollte.

      Aber nun war es doch der Verlag selbst. Ein bleichgesichtiger, etwas fetter Herr mit einer schwarzen Zigarre im Mund, die er halb rauchte, halb kaute, jedenfalls aber auch beim Sprechen nicht aus dem Munde nahm, führte mich mit ein paar genuschelten Worten in meine Tätigkeit ein: ich sollte das Besprechungswesen neu ordnen. Der Verleger selbst war noch in Urlaub.

      Kommt in einem Verlag ein neues Buch heraus, so werden Besprechungsexemplare an Zeitungen und Zeitschriften versandt. Manche Blätter, die und deren Kritiker der Verlag kennt, erhalten die Bücher von selbst, andere fordern sie sich an. Nun möchte der Verlag natürlich gerne, daß seine Neuerscheinungen auch wirklich besprochen werden. Damit haperte es aber oft. Es schlichen sich auch Büchermarder dazwischen ein, die überhaupt nicht daran dachten, die Bücher zu besprechen, die gar keine Gelegenheit dafür besaßen. Bei andern Blättern forderte erst die Zeitung, dann die Feuilletonredaktion, dann noch jeder einzelne Kritiker ein Exemplar an. Paßte man nicht auf, so war der Verlag im Handumdrehen viele Hunderte von Exemplaren los, ohne irgendeine Leistung dafür zu erhalten.

      Mein Amt sollte es nun sein, übersichtliche Listen über den Versand dieser Besprechungsexemplare anzulegen, aus denen auf einen Blick zu ersehen war, wer wann was erhalten hatte. Weiter mußte ich dann die von zwei Ausschnittbüros übersandten Kritiken aus den Zeitungen ordnen und in eben diesen Listen abbuchen, so daß allmählich klar zu erkennen war, was die Böcke, was die Schafe waren.

      Eine solche genaue Organisation aufzuziehen (und sie auch in Ordnung zu halten), das hat mir immer viel Spaß gemacht. Mit Eifer entwarf ich ein Listenformular und konstruierte Heftmappen dazu. Alles fiel etwas überlebensgroß aus, sehr handlich waren diese Mappen nicht, aber was mußten sie auch alles enthalten! Hunderte von Zeitungen und Zeitschriften, sämtliche Neuerscheinungen mußten auf Jahre hinaus eingetragen werden können. Ich entwarf also, legte alles dem bleichen Herrn mit der Zigarre vor, erhielt eine genuschelte Billigung, und nun wurde gedruckt, gebunden, beschriftet, eingerichtet ...

      Worauf ich mich auf wahre Berge von Zeitungsausschnitten stürzte. Ich las, ordnete, klebte ein, buchte – kurz, aus dem Straßenläufer war ein Bürositzling geworden! Mir gefiel das ausgezeichnet.

      Meinem Verleger weniger. Es kam der Tag, da er aus seinem Urlaub zurückkehrte, es kam die Stunde, da ich vor meinen Chef befohlen wurde. Stolz auf meine vorzügliche Organisation ergriff ich die ungeheuern Mappen, ein freundliches Mädchen öffnete und schloß hinter mir die Türen, und ich trat in das Allerheiligste.

      Ich konnte meinen Chef nicht sehen, er mich auch nicht: die Mappen verbargen die Hälfte meines Leibes. Er sah nur zwei Beine hereinwandeln, sehr dünne Beine. Aber ich hörte ihn. Du lieber Himmel, wie schrie er!

      »Sie sind wohl wahnsinnig geworden!« schrie er. »Was bringen Sie denn da an?! Das sollen Besprechungslisten sein? Mist ist das! Ich soll mich wohl auf den Bauch legen, wenn ich darin was nachsehen will?! Um solchen Bockmist anzurichten, habe ich Sie also aus Altholm geholt! Mit Idioten hat man zu tun! Nur mit Idioten! Herr Meyer! Herr Müller! Herr Schulze! Herr Schmidt! Fräulein Bauch! Fräulein Lauch! Fräulein Tauch! Kommen Sie doch mal her! Haben Sie das gesehen, was der Fallada da angerichtet hat?! – Und das haben Sie zugelassen?! Ich sage es ja, alles Idioten, mein ganzer Verlag besteht aus Idioten! Kaum kehrt man einen Augenblick den Rücken ...«

      Mein guter alter Verleger! Niemand von seinen Angestellten nahm seinen Wutausbruch tragisch, er brauchte von Zeit zu Zeit so etwas! Aber ich, sein neuester Angestellter, kannte diese Ausbrüche noch nicht. Bleich stand ich hinter meinen Mappen, ich sah uns schon auf der Straße, und wir ›erwarteten‹ in knapp anderthalb Monaten!

      Trotzdem war ich noch immer von der Vorzüglichkeit meiner Organisation überzeugt. Schwach gegen das starke Löwengebrüll anmeckernd, versuchte ich hinter den Mappen zu erklären, zu zeigen, zu verteidigen – so sehr meine Kollegen auch abwinkten.

      Man mußte den Löwen brüllen lassen, dann hörte er von allein auf. Ich machte ihn nur immer wilder. Schließlich flog ich mit meinen Mappen aus dem Allerheiligsten. Zerschmettert, schlimmster Ahnungen voll. Der erste Lichtblick in der allgemeinen Finsternis meiner Lebensaussichten war unser Kontorbote Manne, der im Durchgangszimmer damit beschäftigt war, Post fertigzumachen. Bei meinem Anblick hob er den Kopf und sagte als echter Berliner: »Fallada, morjen früh kommen Se aber mit frisch jewaschener Brust: morjen früh erschießt der Chef Ihnen!«

      Ein bißchen atmete ich auf. Also wurde dieses Gebrüll nicht so tragisch genommen, noch war unsere und des Ungeborenen Existenz nicht bedroht. Ich habe es dann auch erlebt, wie der Chef sich allmählich mit den unhandlichen Mappen abfand. Langsam gab er zu, daß sie auch Vorteile hatten. Dann, als die gedruckten Formulare erschöpft waren, sagte er mit einem halben Lächeln: »Na, lassen Sie wieder welche drucken. Schließlich haben sich die Untiere doch bewährt.«

      Aber bis wir soweit waren, hatten wir noch über manchen Berg zu klettern. Vorläufig beherrschte mich noch völlig die Sorge um unser Auskommen. Es war klar, von dem Gehalt konnten wir nicht leben, ich mußte etwas dazuverdienen. Nun hatte mein Brotgeber eine seltsame Einrichtung getroffen, ohne ein Wort zu mir, ohne eine Erklärung. Auf dem ganzen Verlag wurde bis abends fünf oder sechs gearbeitet, ich aber hatte jeden Tag um zwei Uhr Büroschluß, so hatte er es angeordnet. Dieser listige alte Verleger! Nie hatte er mit einem Wort meine früher erschienenen Bücher erwähnt (auch nicht den Vorschuß). Nie hatte er sich erkundigt, ob ich wohl Lust hätte, etwas Neues zu schreiben. Aber er schickte mich um zwei Uhr nach Haus, er gab mir den halben Tag frei. Er war ein großer Menschenkenner, er las es mir an der Nase ab, daß ich zu den Menschen gehörte, die immer beschäftigt sein müssen, die stets etwas vorhaben müssen. Die Zeit meines Nichtstuns war eine Zeit des Gelähmtseins, von Krankheit gewesen, nun war ich wieder gesund. Wenn mir kein anderer Arbeit auftrug, machte ich mir selber welche.

      Hinter ›Kupferberg Gold‹ setzte ich mich an den Schreibtisch und fing an, Papier vollzuschreiben. Oh, ich hatte meinen Stoff, ich hatte in Altholm so einiges gesehen, erlebt, gehört. Ich fing an, einen Roman zu schreiben, des Titels ›Ein kleiner Zirkus namens Monte‹.

      Ich schrieb mit tausend Zweifeln, oft ganz mutlos. Ich hatte es mir technisch so schwierig wie nur möglich gemacht. Nach meinen ungeliebten Erstlingen, die gar zu persönlich gewesen waren, sollte der Autor diesmal im Buch ganz fehlen. Mit keinem Wort sollte er andeuten, was er selbst über das Erzählte dachte, das war Sache des Lesers. Wie ich geächzt habe! Wie ich darüber verzweifelt bin, daß ich nie »beschreiben« wollte, daß die ganze Entwicklung in Dialogform gegeben werden sollte! Sagte er, sagte sie – ich konnte das schon nicht mehr sehen.

      Daß ich das Buch je zu Ende geschrieben habe, verdanke ich nur meiner niederdeutschen Hartnäckigkeit. Ich war überzeugt, es war alles Mist – aber ich war hartnäckig wie ein Maulesel. Es mußte zu Ende geschrieben werden, da es einmal angefangen war. Halbe Geschichten


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