Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte. Norbert Aping
Читать онлайн книгу.GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE in der Berliner Kamera auf. Neben den ersten Nebelbildern der Gebrüder Skladanowsky von 1895 und Wochenschauen von 1900 bis 1914 waren im Spielfilmteil Asta Nielsen als HAMLET zu sehen und Filmstars wie Otto Gebühr, Emil Jannings und Anni Ondra. Damit hatte Jerven einmal mehr die Lacher auf seiner Seite. Anfang Dezember 1935 war er in der Berliner Kurbel zu Gast und nannte sein Programm FLEGELJAHRE DES FILMS, das er mit Filmstars wie Marlene Dietrich, Martha Eggerth, Willy Forst, Rudolf Forster und Adele Sandrock bevölkerte (FK Nr. 76 vom 30. März und Nr. 288 vom 10. Dezember 1935), die allerdings erst in späteren Jahren mit ihren Streifen berühmt geworden waren. Wahrscheinlich waren FLEGELJAHRE DES FILMS und GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE ein und dasselbe Programm. Handzetteln zufolge gehören die genannten Schauspieler zum Kreis von insgesamt 18 Stars, und der dokumentarische Rückblick umfasste denselben Zeitraum von 1900 bis 1914. Nun legte Jerven der FPS GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE zur Zensur vor, die das 1 281 m lange Programm am 1. Februar 1936 mit Jugendverbot zuließ.
Jervens filmhistorische Programme hatten auch die Aufmerksamkeit des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels erregt. Als so genannter Filmminister hatte er erkannt, dass sich spezielle filmhistorische Forschungsergebnisse propagandistisch nutzen ließen. Nachdem GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE erfolgreich angelaufen war, gab es offenbar erste Kontakte aus dem Kreis von Goebbels und Hitler einerseits und Jerven andererseits. Denn am 16. Juni 1936 gab Hitlers Adjutant Albert Bormann dessen Befehl an die Reichskanzlei weiter, Jerven zum weiteren Ausbau seines Archivs 10 000 RM zu überweisen (Bundesarchiv, Lichterfelde, R 43 II 389). Jerven steigerte seine Aktivitäten, indem er viele weitere alte Filme für sein Archiv erwarb und seine Präsenz in der Öffentlichkeit vorantrieb. Im März 1937 trat er mit GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE in der Schweiz und in Schweden auf. In einer Veranstaltung des Stockholmer Studentenfilmstudios vor geladenen Gästen und Vertretern der deutschen Gesandtschaft wurde sein Programm mit viel Gelächter und Applaus aufgenommen. Deswegen zeigte er es auch in Lund und Uppsala, bevor er nach Deutschland zurückkehrte. Hier spielte das Programm zum Beispiel fünf Wochen im Hamburger Kino Urania. Allgemein staunte das Publikum über den Einfallsreichtum insbesondere der Kurzfilme des Programms. Anschließend lief GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE zehn Wochen in der Berliner Kamera, woran sich vier Sondervorstellungen in den dortigen Kammer-Lichtspielen anschlossen. Im Sommer 1937 übte Jervens Mitarbeiter Friedrich Martin die Rolle des Film-Erklärers der «großen Raritätenschau mit 18 berühmten Stars» aus. «Sie werden Tränen lachen», hieß es, weil er «während des gesamten Films in seiner witzigen, unnachahmlichen Art» sprechen werde (Handzettel für die Aufführungen in den Goslarer Kammer-Lichtspielen). Danach zog Jerven im September 1937 mit GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE als Programm «über die Baby-Zeit des Films» weiter nach Karlsruhe. Angesichts dieser Erfolge nach der Rückkehr aus Schweden dürfte Jerven seine Pläne, im Mai 1936 eine Tournee durch Großbritannien zu unternehmen, aufgegeben oder zumindest zurückgestellt haben. Über eine solche hat der FK auch nicht berichtet. Ende 1937 bereitete Jerven eine neue Deutschland-Tournee vor und gastierte im Frühjahr 1938 jedenfalls in Oslo. Dort war der dänische Schriftsteller Kai Allen in der Landessprache der Film-Erklärer (Manuskript im Bestand des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums, Frankfurt a. M.). Bei dieser Gelegenheit gehörte MAX ALS BOXER (MAX BOXEUR PAR AMOUR, 1912) mit Max Linder zum Programm (zu allem: FK Nr. 78 und 82 vom 5. und 9. April, Nr. 210 vom 9. September und Nr. 285 vom 8. Dezember 1937 sowie Nr. 116 vom 19. Mai 1938). Jerven schmiedete das Eisen weiter und legte im Januar 1939 mit ALS ES 1900 WURDE ein weiteres abendfüllendes Programm vor (Länge: 1 388 m). Die Uraufführung fand mit dem Pianisten Adolf Wolff in der Berliner Kurbel statt. Dafür sei er von einer mehrjährigen Reise durch das Ausland zurückgekehrt, wie es hieß. Wieder standen deutsche Filmstars im Mittelpunkt, man sah auch Otto Reutter, den Maler Friedrich Zille und Badenixen am Strand des Wannsees (FK Nr. 24 vom 28. Januar 1939).
GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE kehrte regelmäßig in die Kinos zurück. Von Anfang 1939 bis Ende 1940 war Martin landauf und landab wieder der Film-Erklärer. Angaben aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zufolge soll er Regisseur oder Ingenieur gewesen sein. Man freute sich über köstliche und eindringliche Filmabende mit Martins Ansagen. Sie vermieden «Geistreicheleien oder witzelnde Albernheiten» und steckten voller Witz und Temperament (Stadt- und Landbote Trebnitz vom 5. Januar 1939). In Mannheim war man sich einig, dass der Spaß ohne Martins «unnachahmliche fröhliche Schnodderigkeit» nur halb so groß gewesen wäre (Neue Mannheimer Tageszeitung vom 27. Februar 1939). Nach weiteren Stationen kreuz und quer durch Deutschland meldete die Fuldaer Zeitung am 29. Oktober 1940, dass die Zuschauer nach einem «ergötzlichen Abend Tränen gelacht» hätten über GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE.
Handzettel GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE, 1937
Jervens Filmgeschichte der Fliegerei
Der Zuschuss der Reichskanzlei von 10 000 RM hatte unter anderem dazu gedient, Jervens Archiv um dokumentarische Filme zur Luftfahrt-Geschichte zu ergänzen. Mit ihr wollte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Überlegenheit der deutschen Luftfahrt demonstrieren. Als erstes Ergebnis schnitt Jerven einen Kurzfilm von 352 m Länge, der sich mit dem Zeppelin beschäftigte, vom Prototyp bis zum letzten Luftgefährt LZ 129 dieser Art. LZ 129 war das Schwesterschiff der «Hindenburg» und vor dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb genommen worden. Den Streifen nannte Jerven VON ZEPPELIN 1 BIS LZ130. Nach der jugendfreien Zulassung Ende Oktober 1937 wurde der Kurzfilm am 17. November 1937 uraufgeführt (FK Nr. 268 vom 18. November 1937). Dies war der Vorbote eines ungleich größeren Projektes, das Ende März 1940 angekündigt wurde: «Die Tobis-Degeto bringt unter dem Titel HIMMELSTÜRMER einen abendfüllenden Kulturfilm heraus, dessen Regie Walter Jerven hatte. Der Film umfasst die gesamte Entwicklung der Fliegerei von Otto Lilienthal bis zur Gegenwart und bringt ausschließlich Originalaufnahmen. Die Musik zu diesem Film schrieb Hans-Horst Sieber.» (FK Nr. 75 vom 28. März 1940). Zum Zeitpunkt der Meldung scheint der Film aber noch nicht fertig gestellt gewesen zu sein. Ende Januar 1941 meldete der FK, der Film sei «mit Unterstützung des Reichsfilmarchivs beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda aus über einer Million Meter Originalaufnahmen aufgebaut [worden], die [Jerven] aus aller Welt zusammengebracht hat. Außer einem kurzen historischen Vorspann von 200 Metern, der nach Modellen gestaltet ist, wurden nur dokumentarische Streifen von der Zeit selbst verwandt.» Aber erst am 19. September 1941 durchlief das 2 730 m lange Werk HIMMELSTÜRMER. GEBURT UND GESCHICHTE DES FLIEGENS die Filmzensur und durfte danach auch Jugendlichen gezeigt werden. Daraufhin folgte die Premiere Ende September 1941 anlässlich der Münchner Kulturfilmwoche in der bayerischen Hauptstadt (FK Nr. 225 vom 25. September 1941). Und weil es sich aus ministerieller Sicht eben nicht nur um einen Kulturfilm handelte, wurde HIMMELSTÜRMER den hohen Offizieren des Wiener Luftgaukommandos XVII im November des Jahres in einer Sondervorführung gezeigt. Sie verfolgten es mit großem Interesse (FK Nr. 265 vom 11. November 1941).
HIMMELSTÜRMER bedeutete Rückenwind für Jerven. Zunächst baute er GLANZ UND ELEND DER FLIMMERKISTE erheblich aus. Nun gab es zwei Teile, die 1 452 und 892 m lang waren. Für beide hatte er ein Vortragsmanuskript bei der FPS eingereicht. Im ersten Teil präsentierte Jerven Wochenschauen und Dokumentarfilme, im zweiten Dramen, über die das Publikum, angefeuert durch die Kommentare, lachen mussten. Damit war er im November 1941 wieder einmal in der Berliner Kurbel zu Gast. Es gelang ihm einmal mehr, den Bogen von guter Unterhaltung zu zeitgeschichtlicher Betrachtung zu schlagen (FK Nr. 278 vom 26. November 1941). Ende 1942/Anfang 1943 veranstaltete Jerven sogar eine ganze FILMHISTORISCHE WOCHE mit Streifen in einer Gesamtlänge von 18 166 m oder rund elf Stunden. Dazu hatte er ein Manuskript mit Kommentaren verfasst, das die FPS am 11. Dezember 1942 jugendfrei zugelassen hatte. Im Auftrag der Deutschen Wochenschau GmbH in Berlin schnitt er außerdem unter dem Obertitel DIE WELT VON EINST 1943 und 1944 zusammen zwölf kurze Streifen zwischen 169 und 283 m Länge. Darunter befanden sich EINE GROSSE KÜNSTLERIN (über Asta Nielsen), TRAGÖDIEN MIT VIEL VERGNÜGEN, wieder einmal die CHAMPAGNER-ELSE, KOMISCHE SZENEN – und DER ERSTE FILMKOMIKER DER WELT, MAX LINDER. Bis auf TRAGÖDIEN MIT VIEL VERGNÜGEN ist keine dieser Zensurkarten überliefert,