Herman. Ларс Соби Кристенсен

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Herman - Ларс Соби Кристенсен


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am Fenster, sie quillt aus dem Blumentopf wie eine Palme ohne Stamm. Aber es stinkt überall noch schlimmer als schlimm. Sicher muß deshalb die Sprechstundenhilfe husten und der Doktor sich die Nase putzen. Nun beugt er sich zu Herman, der sich in der riesigen Nasenspitze spiegeln kann, und da sieht Hermans Gesicht wieder merkwürdig aus, es ähnelt dem eines Fisches, der aus dem Aquarium heraus will. Herman ist leicht verstört, vielleicht ist er doch nicht frisch wie ein Fisch?

      Die Stimme oberhalb des weißen Kittels fängt an zu reden.

      »Wie geht es uns denn?« fragt sie.

      »Uns geht es bestimmt nicht so gut«, flüstert Herman und schaut Mutter an, die mit den Händen herumfuchtelt, als wäre sie selbst in einem Aquarium eingesperrt.

      »Und wie alt bist du?«

      Der Doktor redet komisch, so als verwechsele er Herman mit einem Pudel.

      »Ich glaube, ich bin mit dem Zählen durcheinandergeraten. Aber nächstes Jahr habe ich wieder Geburtstag.«

      Der Doktor lacht laut und muß sich erneut in seinem Taschentuch verstecken.

      »Ich schaffe es auch nie, mir meine Telefonnummer zu merken«, keucht er.

      »Das macht nichts. Wir haben kein Telefon.«

      Mutter wird rot, und der Doktor muß wieder laut lachen. Dann kommt er noch näher. Er riecht nach Lakritz.

      »Willst du dich nicht setzen, damit ich dich kurz anschauen kann?«

      »Schauen Sie hier.«

      »Na gut.«

      »Und keine Spritzen!«

      »Abgemacht.«

      Herman zieht Mutter zu sich heran.

      »Er will wohl mich zuerst ansehen. Vielleicht ist es ja ansteckend.«

      Mutter sieht ihn verwirrt an, will etwas sagen, gibt aber mit einem Seufzer auf, der Hermans Haar zu Berge stehen läßt. Ihm wird klar, daß sie sich fürchtet, weil sie als nächste an die Reihe kommt, und er will sie gern an das Hähnchen und den Nachtisch erinnern, aber da ist er schon dabei, sich Hemd und Unterhemd auszuziehen. Der Doktor legt ihm ein kaltes Ding auf den Rücken und bittet ihn, tief ein- und auszuatmen. Das geht ganz gut. Mutter steht daneben und lächelt, aber irgend etwas stimmt in ihrem Lächeln nicht. Es sieht aus, als wäre es aus Weckgummis hergestellt.

      Der Doktor steht auf und zieht sich die Pfropfen aus dem Ohr.

      »Werde ich bald sterben?« fragt Herman.

      »Sag nicht so was!« ruft Mutter.

      »Du bist bestimmt frisch wie ein Fisch«, lächelt der Doktor und putzt sich die Nase.

      »Das sagt Großvater auch, aber bald ist Winter.«

      Mutter muß sich setzen, und der Doktor gerät hinter seinem Taschentuch auch ganz durcheinander.

      »Winter? Dann willst du wohl skilaufen?«

      Herman kann nicht antworten. Er friert. Kein Wunder, daß die sich hier drinnen erkältet haben. Der Doktor hat ein Vergrößerungsglas hervorgeholt, legt seine Finger auf Hermans Haare und lehnt sich über die Kopfhaut. Das dauert eine ganze Weile. Es ist unglaublich, wie neugierig im Augenblick alle sind. Und wieder ist es still. Es ist so still, daß Herman Tonne hören kann, wie er gerade in der dritten Stunde die Kreide zerbricht. Endlich ist der Doktor fertig, dreht sich weg und niest wie ein Orkan.

      »Habe ich Läuse?« fragt Herman.

      »Weit gefehlt«, sagt Mutter. »Wie kommst du auf so was?«

      »Björnar hatte sie letztes Jahr. Sechshundertzweiunddreißig Stück.«

      Die Arzthelferin, die jetzt auch angefangen hat zu niesen, gibt ihm ein Glas, das unten ganz schmal und oben ganz breit ist.

      »Nun müssen wir nur noch eine kleine Urinprobe nehmen. Du hast hoffentlich etwas zurückgehalten?«

      »Man hat lange gesammelt.«

      Herman dreht ihnen den Rücken zu, knöpft die Hose auf und zielt. Und dann kommt es. Es kommt viel. Es steigt und steigt, bald reicht es fast bis zum Rand. Er beginnt, mit den Schultern zu zucken.

      »Du bist sicher gleich fertig?« fragt Mutter hinter ihm.

      »Noch nicht«, quetscht Herman hervor.

      Es geht einfach weiter, ist nicht zu stoppen, jetzt läuft es über den Rand, die Sprechstundenhilfe kommt mit einem neuen Glas angerannt, sie tauschen, und Herman ist immer noch nicht leer. Mutter umkreist ihn nervös. Herman starrt an die Wand, er hat noch nie so lange gepinkelt. Bald ist das zweite Glas auch voll, der Arzt holt zwei Kaffeetassen, Herman füllt sie im Nu, und alle laufen hin und her und schreien sich etwas zu. Der Doktor holt die Pflanze vom Fensterbrett, Herman begießt sie gründlich, und endlich geht es dem Ende zu, die letzten Tropfen laufen die Blätter hinunter. Der Arzt wischt sich den Schweiß von der Stirn und muß sich erst mal auf die Matratze legen.

      »Das war das«, sagt Herman, er knöpft sich den Hosenstall zu und lächelt zufrieden Mutter an. »Jetzt bist du dran.«

      Aber der Arzt ist schon wieder auf den Beinen, kommt mit einer Spritze in der Hand auf ihn zu. Herman bekommt eine Gänsehaut unter den Füßen. Er weicht zurück und stößt gegen die Arzthelferin, die ihm schwer ihre Hände auf die Schultern legt. »Sie haben gelogen«, sagt Herman und zeigt auf den Arzt.

      »Das ist keine Spritze«, versucht der. »Wir brauchen nur eine Blutprobe.«

      »Sieht aber ganz so aus.«

      »Willst du dich vielleicht hinsetzen?«

      »Ich bleibe hier stehen.«

      »In Ordnung. Jetzt spannen wir die Armmuskeln so stark an, daß wir eine Ader finden können.«

      Aber das ist leichter gesagt als getan. Sie müssen überall suchen, der Arzt drückt und tastet. Und plötzlich sticht er die Nadel durch die Haut und zieht Blut heraus.

      »Jetzt werd’ ich ohnmächtig«, sagt Herman langsam.

      »Das geht doch prima«, flüstert Mutter, sie sieht aber auch nicht besonders frohgelaunt aus.

      »Jetzt bin ich ohnmächtig«, sagt Herman und poltert zu Boden. Als er wieder zu sich kommt, liegt er auf der Matratze, hat ein feuchtes Tuch auf der Stirn und eine Flasche Coca-Cola in Reichweite.

      Zuerst glaubt er, das Ganze sei nur ein Traum gewesen und er sei gar nicht zu sich selbst gekommen, sondern an einen ganz anderen Ort. Dann erkennt er den Arzt und die Sprechstundenhilfe wieder, aber Mutter sieht anders aus als vorher, ihr Gesicht ist weiß wie ein Tennisball, und sie muß sich gegen die Wand lehnen. Als er schließlich Stimmen hört, ist er ganz sicher, daß er doch zu sich selbst gekommen ist. Und die Cola schmeckt auch nicht schlecht.

      »Haben Sie schon früher Haarausfall bemerkt?«

      »Nicht daß ich wüßte«, sagt Mutter leise.

      »Sie haben keine Haare im Abfluß oder im Kamm gefunden?«

      »Schon ein paar, aber ich habe mir nichts dabei gedacht.«

      »Ich kann nichts Genaues sagen, bevor wir die Proben untersucht haben. Aber Sie müssen auf das Schlimmste gefaßt sein: daß sämtliche Haare ausfallen.«

      Alle schauen auf Herman. Mutter tritt zu ihm und beugt sich hinab.

      »Bist du wach, Herman?«

      »Glaub’ schon. Man muß nur erst die Cola austrinken.«

      Danach wird ihnen der Weg hinaus gezeigt, und im Wartezimmer sind alle noch kränker geworden, sie schaffen es kaum noch, aufrecht auf ihren Stühlen zu sitzen, jammern sich gegenseitig etwas vor und verdrehen die Augen nach oben.

      »Es tut nicht sehr weh«, sagt Herman. »Nur ein bißchen.«

      Draußen hat es inzwischen angefangen zu regnen, so ein Herbstregen, der sich wie ein Spinngewebe


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