Anna Karenina. Лев Толстой

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Anna Karenina - Лев Толстой


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für ein Glück!« unterbrach sie ihn voll Ekel und Entsetzen, und dieses Entsetzen teilte sich unwillkürlich auch ihm mit. »Um Gottes willen, kein Wort mehr, kein Wort!«

      »Kein Wort mehr!« wiederholte sie, und mit einem Ausdrucke kalter Verzweiflung im Gesicht, der ihm überraschend war, schied sie von ihm. Sie war sich bewußt, daß sie dieses Gefühl der Scham, der Freude, der Bangigkeit vor dem Eintritt in ein neues Leben in diesem Augenblicke nicht mit Worten auszudrücken imstande war, und mit unzutreffenden Worten mochte sie von diesem Gefühl nicht reden, es nicht in entstellter Form wiedergeben. Aber auch später, am folgenden und am dritten Tage, fand sie keine Worte, mit denen sie die seltsame Mischung dieser Gefühle hätte ausdrücken können, ja sie fand auch nicht einmal die erforderliche Klarheit des Geistes, um bei sich selbst alles überdenken zu können, was ihre Seele erfüllte.

      Sie sagte sich: ›Nein, jetzt kann ich nicht darüber nachdenken; später, wenn ich ruhiger geworden sein werde.‹

      Aber diese Beruhigung des Geistes trat bei ihr nie ein; jedesmal, wenn der Gedanke vor ihre Seele trat, was sie getan habe und was nun aus ihr werden solle und was sie nun tun müsse, überkam sie ein Grauen, und sie scheuchte diesen Gedanken von sich.

      ›Später, später‹, sagte sie, ›wenn ich ruhiger sein werde.‹

      Dafür aber trat ihr im Traume, wo sie über ihre Gedanken keine Gewalt hatte, ihre Lage in ihrer ganzen häßlichen Nacktheit vor die Seele. Ein bestimmter Traum stellte sich bei ihr fast in jeder Nacht ein. Es träumte ihr, die beiden Männer wären gleichzeitig ihre Gatten und überschütteten sie beide mit Liebkosungen. Alexei Alexandrowitsch weinte, küßte ihr die Hände und sagte: ›O wie schön ist es jetzt!‹ Und Alexei Wronski war auch da und war ebenfalls ihr Gatte. Und sie wunderte sich darüber, daß ihr dies früher unmöglich erschienen war, und erklärte ihnen lachend, so sei die Sache weit einfacher, und nun könnten sie beide zufrieden und glücklich sein. Aber dieser Traum lastete immer auf ihr wie ein Alp, und sie erwachte vor Angst.

      12

      In der ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus Moskau sagte sich Ljewin jedesmal, wenn er bei der Erinnerung an die ihm widerfahrene Schmach der Abweisung zusammenzuckte und errötete: ›Ebenso errötete ich und zuckte zusammen und hielt alles für verloren, als ich auf der Universität in der Physik das Prädikat »nicht genügend« bekam und im zweiten Kursus sitzenblieb; und ebenso meinte ich nachher, ich müßte zugrunde gehen, weil ich eine mir anvertraute Angelegenheit meiner Schwester verdorben hatte. Und wie ist's nachher gekommen? Jetzt, nachdem Jahre darüber vergangen sind, erinnere ich mich daran und wundere mich, wie ich mich über diese Dinge so habe grämen können. Ebenso wird es auch mit diesem Kummer sein. Die Zeit wird dahingehen, und ich werde auch dagegen gleichgültig werden.‹

      Aber es gingen drei Monate dahin, und er war noch nicht gleichgültig dagegen geworden, und die Erinnerung daran war ihm noch ebenso schmerzlich wie in den ersten Tagen. Er konnte sich nicht beruhigen; denn nachdem er so lange in dem Gedanken an ein Familienleben geschwelgt und mit solcher Bestimmtheit sich für ein solches reif erachtet hatte, war er nun doch nicht verheiratet, ja weiter als je von der Heirat entfernt. Mit Schmerz war er sich bewußt – und alle Leute in seiner Umgebung waren derselben Meinung –, daß es für einen Mann in seinen Jahren nicht gut sei, allein zu sein. Er erinnerte sich, wie er vor seiner Abreise nach Moskau einmal zu seinem Viehknecht Nikolai, einem biederen Menschen, mit dem er gern ab und zu plauderte, gesagt hatte: »Was sagst du dazu, Nikolai? Ich will heiraten!« und wie Nikolai, als handele es sich um eine Sache, bei der gar kein Zweifel möglich sei, ohne Besinnen geantwortet hatte: »Das hätten Sie schon längst tun sollen, Konstantin Dmitrijewitsch!« Aber die Heirat lag für ihn jetzt in weiterer Ferne als je. Der Platz in seinem Herzen war ausgefüllt, und wenn er jetzt in Gedanken an diesen Platz irgendeines der jungen Mädchen aus seinem Bekanntenkreise zu setzen versuchte, so fühlte er, daß dies völlig unmöglich sei. Außerdem erfüllte ihn die Erinnerung an seine Abweisung und an die Rolle, die er dabei gespielt hatte, mit peinigender Scham. Wie oft er sich auch sagen mochte, daß ihn ja keine Schuld dabei treffe, so ließ ihn doch diese Erinnerung, ebenso wie andere derartige beschämende Erinnerungen, zusammenzucken und erröten. Es gab in seiner Vergangenheit, wie in der eines jeden Menschen, schlechte Handlungen, deren er sich bewußt war und um derentwillen sein Gewissen ihn hätte quälen sollen; aber die Erinnerung an diese schlechten Handlungen quälte ihn lange nicht so wie manche nichtigen, aber beschämenden Erinnerungen. Diese Wunden vernarbten nie. Und zu diesen Erinnerungen hatte sich jetzt die an seine Abweisung und an die klägliche Rolle gesellt, die er wohl an jenem Abende vor den Augen anderer gespielt haben mußte. Aber die Zeit und die Arbeit taten schließlich doch ihr Werk. Jene bedrückende Erinnerung wurde in seinem Geiste immer mehr und mehr von den kleinen, aber doch wichtigen Ereignissen des Landlebens in den Hintergrund gedrängt. Mit jeder Woche dachte er seltener an Kitty. Ungeduldig erwartete er die Nachricht, daß sie bereits verheiratet sei oder sich in den nächsten Tagen verheiraten werde; denn er hoffte, daß diese Nachricht wie das Ausziehen eines Zahnes ihn vollständig heilen werde.

      Unterdessen war der Frühling gekommen, ein schöner, freundlicher Frühling, der keine zu großen Erwartungen erregt und dafür auch keine Enttäuschungen gebracht hatte, einer jener seltenen Frühlinge, über die sich Pflanzen, Tiere und Menschen zugleich freuen. Dieser schöne Frühling half noch weiter, Ljewin wieder frisch und munter zu machen, und bestärkte ihn in seinem Vorsatze sich von der gesamten Vergangenheit loszusagen, um sein lediges Leben fest und unabhängig zu gestalten. Gar manche von den Plänen, mit denen er auf das Land zurückgekehrt war, hatte er zwar nicht ausführen können, aber doch gerade den wichtigsten: er hatte die Reinheit seines Lebenswandels bewahrt. Er blieb jetzt frei von dem Schamgefühl, das ihn gewöhnlich nach einem Fehltritte gequält hatte, und konnte den Menschen unbefangen in die Augen sehen. Es war noch im Februar gewesen, als er von Marja Nikolajewna einen Brief erhalten hatte, daß der Gesundheitszustand seines Bruders Nikolai sich verschlimmert habe, er wolle aber trotzdem von einer Kur nichts wissen. Infolge dieses Briefes war Ljewin zu seinem Bruder nach Moskau gefahren und hatte diesen durch Überredung dahin gebracht, einen Arzt zu befragen und nach einem Badeort ins Ausland zu fahren. Es war ihm so gut gelungen, den Bruder zu überreden und ihm Geld zur Reise zu borgen, ohne ihn dadurch in Erregung zu versetzen, daß er in dieser Hinsicht mit sich recht wohl zufrieden war. Außer der Wirtschaft, die im Frühjahr besondere Achtsamkeit erforderte, und außer seiner üblichen Lektüre hatte Ljewin in diesem Winter noch begonnen, eine landwirtschaftliche Abhandlung zu schreiben, deren Hauptgedanke folgender war: Man müsse in der Landwirtschaft den Charakter des Arbeiters als eine schlechthin gegebene Größe auffassen, genauso wie das Klima und die Bodenbeschaffenheit; und folglich müßten alle Lehrsätze der landwirtschaftlichen Wissenschaft nicht aus zwei gegebenen Größen, dem Klima und der Bodenbeschaffenheit, sondern aus dreien, dem Klima, der Bodenbeschaffenheit und dem bekannten unveränderlichen Charakter des Arbeiters abgeleitet werden. So hatte denn, obgleich er so allein dastand oder auch gerade deswegen, sein Leben einen vollen Inhalt; nur empfand er bisweilen den unbefriedigten Wunsch, die in seinem Kopfe gärenden Gedanken noch sonst jemandem außer Agafja Michailowna mitteilen zu können; denn es kam nicht selten vor, daß er sich auch mit ihr über Physik, über Theorie der Landwirtschaft und namentlich über Philosophie unterhielt; die Philosophie war Agafja Michailownas Lieblingsfach.

      Der Frühling hatte lange nicht recht zum Durchbruch kommen wollen. Die letzten Fastenwochen hatten klares Frostwetter gebracht. Bei Tage taute es zwar in der Sonne, aber in der Nacht sank das Thermometer auf sieben Grad unter Null; die Eisrinde auf dem Schnee war so stark, daß die Frachtfuhren ohne Weg darüber hinfuhren. Zu Ostern lag der Schnee noch überall. Da begann plötzlich am zweiten Feiertage ein warmer Wind zu wehen, dunkle Wolken wälzten sich heran, und drei Tage und drei Nächte lang strömte ein gewaltiger warmer Regen hernieder. Am Donnerstag legte sich der Wind, und es breitete sich ein dichter, grauer Nebel aus, als ob er die Geheimnisse der in der Natur sich vollziehenden Veränderungen verbergen wollte. In dem Nebel fingen die Gewässer an zu strömen, die Eisdecke barst, und die Schollen setzten sich in Bewegung; schneller strömten die trüben, schäumenden Flüsse dahin, und gerade am Sonntag nach Ostern gegen Abend zerriß der Nebel, das dunkle Gewölk löste sich in weiße Lämmerwölkchen auf, der Himmel klärte sich, und dann brach


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