Der Fall Özil. Dietrich Schulze-Marmeling
Читать онлайн книгу.mit türkischen Wurzeln suchten wir jeweils nach halbwegs passenden Umschreibungen. Ebenso, wenn beide Gruppen gleichzeitig gemeint waren. Eine wirklich gute Lösung scheint es nicht zu geben. Vielleicht wäre es eine sinnvolle Aufgabe für die Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.
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Dieses Buch widmet sich nicht nur der Diskussion um die Erdogan-Affäre und den Hintergründen des Özil-Rücktritts, sondern versucht auch, die sportlichen Gründe für das Scheitern der deutschen Elf bei der WM 2018 zu analysieren. Das rasche Aus kam für mich überraschend nur in der Form, in der es geschah. Und ich empfand es als weitaus weniger dramatisch als den „Fall Özil“ und dessen mögliche gesellschaftspolitische Folgen.
Zum Schluss möchte ich mich noch bei einigen Menschen bedanken, die in unterschiedlicher Weise zu diesem Buch beigetragen haben. Dazu zählt vor allem Kaya Gercek, der wie ich aus Kamen kommt und hier zehn Jahre im Stadtrat und Integrationsrat saß. Ehemals Anwalt, arbeitet Kaya heute als Projektmanager im Kulturbereich und engagiert sich im KulturForum TürkeiDeutschland. Kaya hat mir sehr geholfen, die türkischstämmige Community besser zu verstehen. Auch die Essays des Politikwissenschaftlers Mahir Tokatli waren für mich sehr hilfreich, wie auch die Beiträge vieler Journalistenkollegen und Diskussionen mit Facebook-Kontakten. Mein Lektor Bernd Beyer hat nicht nur lektoriert, sondern auch mitdiskutiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihm einen Änderungs- oder Ergänzungswunsch abgeschlagen hätte. Das sagt eigentlich schon alles.
23. Juli 2018 | Dietrich Schulze-Marmeling |
KAPITEL 1
Deutsche, Einwanderer und der Fußball
Nicht nur die Politik, auch der DFB tat sich mit der Tatsache, dass Deutschland zum Einwanderungsland wurde, lange Zeit schwer. Noch 1989 sprach der Verband die Empfehlung aus, in den Jugendauswahlmannschaften der Landesverbände von 1990 an nur noch Fußballer spielen zu lassen, die deutscher Abstammung waren. Die Handhabe dafür bot ihm das damalige Staatsbürgerrecht, das noch allein auf dem Abstammungsprinzip („Blutrecht“ / „Jus sanguinis“) aufbaute. Dies bedeutete, dass ein Kind bei der Geburt nur dann die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, wenn es einen deutschen Vater oder eine deutsche Mutter hatte.
Ohne Not schränkte der DFB damit die geltende Praxis ein. Bis dahin galt unter den Regionalverbänden die unverbindliche Abmachung, dass zwei „ausländische“ Jugendliche pro Auswahl mitspielen durften. Mit seiner Empfehlung – die keineswegs nur aus dem Ausland transferierte Spieler, sondern auch und gerade die in der Bundesrepublik aufgewachsenen Einwandererkinder betraf und ausgrenzte – erntete der DFB heftigen Protest. Weniger weil der Verband den Integrationscharakter des Sports infrage stellte, sondern vor allem weil diese Ausgrenzung der Situation in vielen Vereinen und Landesverbänden nicht gerecht wurde, wo bereits zahlreiche Einwandererkinder kickten.
Die DFB-Spitze sah sich daher genötigt, ihre Empfehlung zu relativieren. Präsident Hermann Neuberger: „Schon jetzt gibt es Landesverbände, bei denen 30 bis 40 Prozent aller Jugendlichen Ausländer sind. Durch die zukünftige freie Arbeitsplatzwahl in der EG wird sich diese Zahl eher verstärken als abschwächen. Noch mehr als bisher müssen sich unsere Vereine den ausländischen Mitbürgern öffnen.“
Die deutsche Elf den Deutschen
Die Nationalmannschaft allerdings wollte Neuberger, der aus seinen national-konservativen Ansichten keinen Hehl machte, von dieser Öffnung ausnehmen. „Es ist eine Identitätsfrage des Fußballsports, dass er überwiegend von Angehörigen der eigenen Nation ausgeübt wird. Dies gilt mit Selbstverständnis für die Nationalmannschaft. Er erhält seine Eigenart und damit seine Akzeptanz gerade durch das ausschließlich oder stark überwiegende nationale Element.“ Formal war es natürlich immer so, dass nur Spieler mit deutschem Pass für die Nationalelf auflaufen konnten. Neubergers Formulierungen zeigten allerdings, dass er das staatsbürgerliche „Blutrecht“ auch für die Nationalelf gewahrt wissen wollte.
1988 war die DFB-Elf bei der EM im eigenen Land im Halbfinale an den Niederlanden gescheitert. Mit Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Gerald Vanenburg standen beim späteren Europameister drei Spieler mit surinamischem Hintergrund auf dem Feld. Der Nachbar des Autors, geboren in den 1930ern, war der Auffassung, die Niederländer hätten „Foul Play“ gespielt: „Die haben einfach Neger mitspielen lassen.“
Bei der WM 1998 scheiterte die DFB-Auswahl im Viertelfinale an Kroatien. Weltmeister wurde Frankreich, auch dank eines multikulturellen Teams. Während der EM 1996 hatte der französische Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen die „rassische Zusammensetzung“ des französischen Nationalteams kritisiert. Das Team trage „künstlichen Charakter“. Spieler wie Lamouchi, Zidane, Djorkaeff, Lizarazu, Pedros, Angloma, Karembeu und Lama bezeichnete Le Pen als „Ausländer“. Sie hätten die französische Nationalität nur gewählt, um international Fußball zu spielen. Einige von ihnen würden nicht die Marseillaise singen oder deren Text sichtlich nicht kennen.
Bei der WM 1998 war Frankreichs WM-Kader der bis dahin wohl ethnisch differenzierteste und multikulturellste der WM-Geschichte. Lama wurde in Guyana geboren, Angloma in Guadeloupe, Karembeu in Neu-Kaledonien, Desailly in Ghana und Vieira im Senegal. Thuram kam zwar in Frankreich zur Welt, seine Mutter stammte aber aus Guadeloupe. Zidanes Eltern waren Berber aus Marokko, Djorkaeffs Mutter kam aus Armenien, sein Vater gehörte der Kalmouk-Minderheit in der ehemaligen UdSSR an. Barthez hatte eine spanische Großmutter, Lizarazu drei spanisch-baskische Großeltern. Die Eltern von Henry und Diomède kamen aus Guadeloupe. Boghossian war armenischer Herkunft, Trezeguet hatte einen argentinischen Vater.
In Frankreich war der Triumph des Multikulti-Teams ein Schlag ins Gesicht von Le Pen und seinen Rechtsradikalen. Aus den Nationalfarben „bleu-blanc-rouge“ (Blau-Weiß-Rot) wurde über Nacht „black-blanc-beur“ – Schwarz, Weiß und die dunkle Tönung der maghrebinischen Einwanderer, der „beurs“. Zidane erklärte den Titel zur „schönsten Botschaft, die wir schicken konnten“, wobei er als Adressaten Le Pen meinte. Für das Magazin „Spiegel“ hatte das französische Team der ganzen Welt demonstriert, „dass Rassenvielfalt ein nationales Guthaben sein kann, wenn alle gemeinsam ein Ziel verfolgen“, und dass der Fußball unverändert eine wichtige Funktion als Immigrantensport erfülle. Die siegreiche „Équipe Tricolore“ wurde zum Symbol eines neuen Republikanismus und der Überlegenheit republikanischer Werte. Für Staatspräsident Chirac hatte „Frankreich seine Seele wiedergefunden“. Der Philosoph Pascal Bruckner sah ein Land aus einer „Depression“ heraustreten, die Frankreich zehn Jahre lang niedergedrückt habe. „Der Sieg wird wahrgenommen wie eine Wiedergeburt unserer selbst nach einer Periode der Finsternis.“ Der Schriftsteller Jean d’Ormesson von der Académie Française kam zu der Erkenntnis, der Fußball sei das „konstitutive Element – vielleicht das einzige – eines neuen Gesellschaftsvertrags“.
Der DFB bewegt sich
Vieles von dem, was nach dem Triumph von „black-blanc-beur“ geäußert wurde, war mehr Wunsch als realistische Einschätzung. Allerdings forcierte die WM 1998 die Diskussion um die Integration von Einwandererkindern in die Teams des DFB. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit forderte, von Frankreich zu lernen: „In den Fuß-ballklubs sind drei Viertel aller Mitglieder Migrantenkinder. Diesen wurde aber lange Zeit verweigert, deutsche Staatsbürger zu werden. Deswegen haben wir keinen Zinédine Zidane in der Nationalmannschaft. Wir brauchen aber viele tausend talentierte Jungs, die träumen, für Deutschland zu spielen, um einen Zidane zu haben.“
Auch Ottmar Hitzfeld, damals Trainer des FC Bayern, forderte eine stärkere Berücksichtigung von in Deutschland lebenden Ausländerkindern beim Neuaufbau der Nationalmannschaft: „Holländer und Franzosen haben die Kinder von Einwanderern in ihrer Mannschaft. In Deutschland leben Türken, Afrikaner und Osteuropäer. Gucken Sie sich unsere Jugendmannschaften an: Die bestehen zu 50 Prozent aus Ausländerkindern. Wir verzichten also auf die Hälfte unseres Potenzials, wenn es von vornherein ausgeschlossen ist, die für Deutschland spielen zu lassen.“
In erster Linie war dies eine politische Herausforderung, denn die DFB-Elf repräsentierte exakt das bis dahin gültige,