Seewölfe - Piraten der Weltmeere 690. Jan J. Moreno

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 690 - Jan J. Moreno


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nicht der Sultan war, als der er sich ausgegeben hatte.

      Alle diese Gedanken schossen dem Inder durch den Kopf, während er seine Soldaten musterte, die sich auf der Kuhl versammelten. Jeder von ihnen war ein guter Kämpfer, im Umgang mit Säbel oder Krummdolch geübt, einige verstanden auch, Musketen und Steinschloßpistolen treffsicher zu handhaben. Nur mußten sie die langläufigen Feuerwaffen zurücklassen.

      Luis de Xira hätte zweifellos Verdacht geschöpft. Niemand konnte so verrückt sein, mit einer geladenen Muskete die Brandung zu durchschwimmen und auch noch zu hoffen, daß die Waffe funktionsfähig blieb. Trotz seiner mehrjährigen Bekanntschaft mit Shastri, die immerhin zu beiderseitigem Nutzen war, legte der Kapitän bestimmt nicht seine Hand für den Inder ins Feuer.

      Von der Karavelle aus war nur noch ein Streifen fahler Brandung zu sehen. Die Galeere des Sultans mit dem hochtrabenden Namen „Stern von Indien“ war inzwischen von der Nacht verschluckt worden.

      Eine düstere, bedrückende Stimmung breitete sich aus. Nur wenige Sterne funkelten über der Kimm, der Rest des Firmaments verdunkelte sich zusehends. Während jedoch in großer Höhe die Wolkenbänke schnell nach Osten trieben, flaute der Wind über dem Wasser ab. Innerhalb weniger Augenblicke hingen die Wimpel schlaff von den Masten.

      Über dem Dschungel wetterleuchtete es.

      Drawida Shastri musterte die fünf Portugiesen, die de Xira für das Unternehmen abgestellt hatte. Sie waren kräftige, bärtige Burschen, und wo sie hinlangten, wuchs gewiß kein Gras mehr. Die Gesichter hatten sie mit einem Gemisch aus Asche, Ruß und ranzigem Fett geschwärzt, das auch nicht vom Salzwasser schnell abgewaschen werden konnte.

      „Deine Leute sind in der Nacht so unsichtbar wie Schatten“, sagte Shastri zum Kapitän, „aber sie verraten sich durch ihren Gestank. Mein Vetter wittert sie dreißig Schritte gegen den Wind.“

      „Ich kann dafür sorgen, daß dir das ranzige Fett auf den Zwieback gestrichen wird“, entgegnete de Xira schroff. „So schlimm wie eure Elefanten stinken meine Männer noch lange nicht.“

      Ihr Verhältnis hatte sich während der letzten Stunden zunehmend verändert und war inzwischen von einer deutlichen Spannung geprägt, die sowohl auf de Xira als auch auf Shastri herausfordernd wirkte. Sie entstammten verschiedenen, einander fremden Kulturen, dennoch ähnelten sich ihre Charaktere in mancher Hinsicht verblüffend.

      Jeder verfolgte seine eigenen Ziele, hatte Geheimnisse vor dem anderen und dachte schon gar nicht daran, nachzugeben. Sie benutzten sich gegenseitig, weil sie aufeinander angewiesen waren, und gerade das Wissen darum ließ sie immer häufiger aggressiv reagieren.

      Auf der Karavelle brannte nur die große Hecklaterne. Der Docht war indessen so weit zurückgeschraubt, daß die kleine, flackernde Flamme kaum ausreichte, das Achterdeck zu erhellen. Was auf der Kuhl geschah, blieb im Dunkeln verborgen. Kein noch so scharfes Auge, nicht mal, wenn es mit einem Spektiv bewaffnet war, konnte von der Galeere aus mehr als vage Umrisse erkennen.

      Shastri gab das Zeichen zum Aufbruch. Schon vorher hatten seine Inder Taue über das Steuerbordschanzkleid geworfen, an denen sie sich nun in das Brackwasser der Bucht gleiten ließen. Langsam strebten sie dem östlichen Rand des sumpfigen Mündungsdeltas zu.

      Die meisten trugen nur dunkle Wickelhosen und ihren Turban. Mit den nackten Oberkörpern und ihrer geschmeidigen Art, zu schwimmen, erinnerten sie an einen Fischschwarm, der nur gelegentlich die Wasseroberfläche durchbricht.

      Die Portugiesen hingegen hielten es nicht für erforderlich, die leichten Schnürschuhe abzulegen. Sie hatten weite Pluderhosen an und trugen außerdem Leinenhemden. Beim Anblick ihrer Waffen schüttelte Shastri unwillkürlich den Kopf. Gegen die in den Gürteln steckenden Dolche hatte er nichts einzuwenden, aber die schweren Schiffshauer waren beim Schwimmen mehr als hinderlich.

      „Imposant“, sagte er. „Deine Männer werden absaufen wie eiserne Karnickel.“

      Luis de Xira musterte forschend den Inder. Er verschenkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an eine der geladenen und feuerbereiten Culverinen.

      „Die Mannschaft ist nicht groß“, sagte er überlegen, „da muß jeder überall seinen Mann stehen. Meine Mission in Indien ist rein privater Natur, und ich bin froh, mehrere ehemalige Seesoldaten an Bord zu haben, die zuzupacken verstehen. Sie schaffen es bis zur Galeere, darauf kannst du dich verlassen.“

      „Ich schätze keinen der fünf älter als fünfundzwanzig. Werden portugiesische Soldaten schon so jung entlassen?“

      „Spielt das eine Rolle?“

      Drawida Shastri schürzte die Lippen, dann spie er gezielt in die nächste wassergefüllte Pütz.

      „Deserteure sind mir zuwider“, erwiderte er.

      „Ja, mein Freund“, de Xira zuckte mit den Schultern, „daran läßt sich nun mal nicht rütteln. Du hast früher nie danach gefragt, warum also plötzlich dieser Umschwung?“

      Drawida Shastri überging die Frage geflissentlich.

      „Es wird Zeit“, sagte er. „Lange genug habe ich den Moment herbeigesehnt, in dem ich endlich meinem Vetter als Sieger gegenüberstehe, in dem er vor mir auf den Knien liegt und um Gnade winselt. Aber ich werde ihn nicht töten, o nein, das wäre zu einfach. Er soll erfahren, was es heißt, gedemütigt zu werden.“

      Er hatte sich in Zorn geredet und schwang sich mit einem kräftigen Satz übers Schanzkleid. Unmittelbar vor ihm enterten die fünf Portugiesen ab.

      Seinen kostbaren Turban hatte er nicht abgelegt. Von der Karavelle aus war Shastri länger zu sehen als die anderen, aber letztlich verschlang auch ihn die Dunkelheit.

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