Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Ihre Mutter seufzte. Trotz aller Mühen war es Vinzent nicht gelungen, die rote Farbe ganz abzubekommen, und der neue Anstrich deckte nicht genug. Darunter schimmerte immer noch die Schrift durch.
Franzi sah sie fragend an.
»Mutter, was ist das?« bohrte sie nach und versuchte, die Buchstaben zu entziffern.
»Der Gruber hat das daran geschmiert«, antwortete die Bäuerin endlich. »Letzte Nacht.«
Die Tochter war entsetzt.
»Was?« rief sie ungläubig. »Und ihr habt nix davon bemerkt? Der Kerl schleicht hier umgestört über den Hof, während ihr geschlafen habt?«
Ihre Mutter zuckte die Schultern.
»Ja. Aber beruhig’ dich. Sonst ist ja nix geschehen.«
»Nix geschehen?«
Franzi schüttelte den Kopf und deutete auf die Wand.
»Ist das net schon genug? Was soll denn noch passieren? Das nächste Mal kommt er ins Haus und tut uns was an!«
Sie war außer sich.
»Vater hat ihn angezeigt«, sagte die Bäuerin. »Max Trenker war heut’ mittag da und hat die Anzeige aufgenommen.«
»Das ist aber auch das Mindeste!« entfuhr es Franzi. »Was stand denn da überhaupt?«
Klara Hirschler sagte es ihr. Die Tochter schüttelte den Kopf.
»Und was hat Großvater gesagt?«
»Er wollt’ dem Gruber sagen, daß er bereit ist, sich der Öffentlichkeit zu stellen«, antwortete die Bäuerin.
Franzi preßte ihre Hand vor den Mund und schluchzte auf.
»Manchmal denk’ ich, es ist bloß ein böser Traum«, weinte sie leise, »Und dann hoff’ ich immer, daß ich ganz schnell aufwache.«
Klara nahm ihre Tochter in die Arme.
»Es geht vorüber«, sagte sie. »Pfarrer Trenker war auch da. Er hat gesagt, was sie unternehmen wollen, um den Gruber zu fassen. Jetzt, wo er offiziell angezeigt ist, kann der Max was gegen ihn unternehmen, ohne daß alle Welt von der Geschichte erfährt.«
Sie zog Franzi mit sich.
»Komm, wir wollen Abendbrot essen.«
Hubert Hirschler saß nicht an seinem Platz. Als die Schwiegertochter an seine Tür klopfte, öffnete er nicht. Er habe keinen Hunger, rief er nur, und Klara ging wieder in die Küche zurück.
»Der Sohn vom Gruber ist hergekommen«, erzählte Vinzent seiner Tochter beim Abendessen. »Heut’ nach legen s’ sich auf die Lauer, und ich werd’ dabeisein. Wenn wir den Kerl erwischen, haben wir endlich Ruhe vor ihm.«
»Und wenn net?« wagte Franzi zu fragen.
»Dann werd’ ich einen Hund anschaffen und jede Nacht mit der Flinte draußen warten, bis er kommt«, antwortete ihr Vater mit steinerner Miene, die ausdrückte, wie ernst es ihm damit war.
Seine Frau schüttelte den Kopf.
»Du kannst net jede Nacht Wache halten und am Tag arbeiten«, sagte sie.
»Keine Angst«, entgegnet er. »So lang’ wird’s net dauern. Der Gruber kann sich net ewig im Bergwald verstecken. Einmal geh’n seine Vorräte zu Ende. Spätestens dann muß er herauskommen und sich neue besorgen.«
Das Gespräch kreiste auch nach dem Abendessen um das leidliche Thema. Franzi merkte, daß sie müde war, aber bestimmt keinen Schlaf finden würde. Am liebsten wäre sie morgen zu Hause geblieben, aber das ging nicht. Die Klassenarbeit war einfach zu wichtig.
Seufzend wünschte sie den Eltern eine gute Nacht und ging in ihre Kammer. Angezogen legte sie sich auf das Bett, für den Fall, daß sich etwas Ungewöhnliches ereignete. Dabei war sie mit ihren Gedanken teilweise bei der Geschichte mit Franz Gruber, zum anderen ging ihr der junge Bursche nicht mehr aus dem Kopf, den sie am Nachmittag kennengelernt hatte.
Wenn es doch nur unter anderen Umständen gewesen wäre!
Sie spürte, daß Thomas etwas in ihr berührt, eine Saite zum Klingen gebracht hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie sich wieder verliebt, und diesmal hätte durchaus etwas Ernstes daraus werden können…
Als sie, ohne es wirklich zu merken, dann doch einschlief, war es draußen schon dunkel geworden. Die Nacht war angebrochen, und vier Männer hatten sich rund um den Hof verteilt.
Die Wache hatte begonnen.
*
Sie waren erst gegen zehn Uhr zum Jägersteig hinaufgefahren. Sophie Tappert hatte für den Proviant gesorgt, vor allem für heiße Getränke. Jeder von ihnen hatte einen Rucksack dabei, in dem alles Notwendige steckte. Auf dem Hirschlerhof angekommen, wartete Vinzent schon ungeduldig auf die drei Männer. Sebastian stellte ihm Thomas Gruber vor. Sie reichten sich die Hände, und der Sohn des Übeltäters entschuldigte sich für das Verhalten seines Vaters.
»Na ja, irgendwie hat mein Vater uns die ganze Sache ja eingebrockt«, tat der Hirschlerbauer die Angelegenheit ab. »Hoffen wir, daß es heut’ nacht ein Ende hat.«
Der Hof lag am Hang, dahinter breitete sich eine Wiese aus, die fast bis an den Waldrand heranreichte. Von dort oben mußte Franz Gruber kommen, wenn er sich tatsächlich im Bergwald versteckt hielt.
»Wir haben Glück, daß Vollmond ist«, bemerkte der Bergpfarrer. »Das macht es uns leichter, ihn zu sehen, wenn er herabsteigt.«
Die Männer verabredeten, auf welchen Posten sie sich aufstellen sollten. Mittels ihrer Handys wollten sie sich verständigen, wenn der erste Gruber entdeckte. Dann ging jeder zu seiner Position und richtete sich auf eine lange Nacht ein.
Vinzent Hirschler stieg auf das Scheunendach. Dahinter stand eine große Kastanie, deren Blätter ihm Schutz gaben. Er hingegen hatte eine gute Sicht, die vom Nachtsichtgerät, das er immer zur Jagd mitnahm, unterstützt wurde.
Pfarrer Trenker und Max postierten sich jeweils am östlichen und westlichen Ende des Anwesens. Der Geistliche hockte von Büschen verborgen am Zaun. Auch er hatte ein Fernglas dabei, genauso wie sein Bruder.
Thomas Gruber war ein Stück vom Hof in nördliche Richtung gegangen. Er hatte am Abend noch mit seiner Mutter telefoniert, ihr aber verschwiegen, was sein Vater getan hatte. Statt dessen erzählte er, daß er hoffe, Franz Gruber am Abend zu finden – daß es so etwas wie eine Treibjagd auf seinen Vater geben würde, sagte er natürlich nicht.
Sie hatten sich warm angezogen, denn in der Nacht würde es empfindlich kalt werden hier oben. Dennoch zitterte Thomas in seiner Jacke, die Pfarrer Trenker ihm herausgesucht hatte. Aber es war nicht die Kälte, die ihn frösteln ließ, sondern die Angst um seinen Vater. Um sich abzulenken, rief er sich den Nachmittag in Erinnerung. Diese Franzi wollte ihm seither nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sehr gerne hätte er sie näher kennengelernt, aber das würde wohl ein Wunschtraum bleiben.
Zwei Stunden waren vergangen, als sein Handy klingelte. Um sich nicht vorzeitig zu verraten, hatten sie alle die Lautstärke ihrer Mobiltelefone heruntergestellt. Es war nur noch ein ganz leiser Ton zu hören. Wie elektrisiert drückte Thomas die Taste, um das Gespräch entgegenzunehmen. Es war Pfarrer Trenker, der sich meldete.
»Alles in Ordnung bei dir?« erkundigte sich der Geistliche.
»Hier ist alles in Ordnung«, antwortete der Tischlergeselle. »Aber das Warten zerrt an den Nerven.«
»Das kann ich verstehen. Hier tut sich nix, und bei den anderen ebenfalls net. Wir müssen Geduld haben.«
Sebastian beendete die Verbindung und griff in seinen Rucksack. Er nahm die Thermosflasche mit dem heißen Tee heraus und trank einen Schluck. Die Wärme tat ihm gut. Ungeduldig schaute er dann wieder in die Richtung, aus der er Franz Gruber erwartete, doch je mehr Zeit verging, um so mehr verlor er die Zuversicht, daß sich in dieser Nacht überhaupt etwas tun würde.