Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу
Читать онлайн книгу.mir gemeint. – Aber ich war eigensinnig und unartig; ich habe dem Vater nicht gehorcht und bin ihm davongelaufen. – Wenn doch nur der Vater da wäre! – Durch meine Schuld ist er ins Gefängnis gekommen, und ich muß daheim vor Hunger sterben. – Der Hunger tut so weh; er ist eine schreckliche Krankheit.« –
Hurra! – Dort liegt etwas auf dem Kehrichthaufen. Bengele springt hin, hebt es auf und ruft:
»Ein Ei! Ein Ei!« – Der halbverhungerte Hampelmann kann sein Glück kaum fassen. Er hält das Ei in beiden Händen, drückt es an die Wangen, küßt und streichelt es.
»Jetzt mache ich mir einen Eierkuchen«, sagt er überglücklich, »oder soll ich es einschlagen? – oder weichkochen? – Das Einschlagen geht am schnellsten; ich kann nicht mehr lange warten mit meinem Hunger.«
An der Wand hing eine Bratpfanne. Er holte sie herab und stellte sie auf die Kohlenglut, über der Vater Seppel den Leim kochte. Butter oder anderes Fett war nicht da. Bengele goß Wasser in die Pfanne und blies die Kohlenglut neu an. Das Wasser begann ein wenig zu dampfen, da nahm er das Ei, schlug es auf den scharfen Rand der Pfanne und ... –
»Pieps, pieps!« begrüßte ihn ein lustiges buntfarbiges Vögelchen; es kroch flink aus dem Ei, setzte sich auf den Pfannenstiel, schlug die Flügel und putzte sich. Dann machte es dem Bengele ein artiges Kompliment und sang mit heller Stimme:
Mein kleiner Freund, ich danke dir;
Du hast mich heut befreit.
Ich schwing' mich fort, weit fort von hier
Zur Waldeseinsamkeit.
Halbflügg' entflog dem Elternpaar
Ich aus dem Nest heraus
Und schlief verzaubert hundert Jahr'
In diesem weißen Haus.
Adieu! Leb wohl, mein Bengelein!
Ich laß den Vater grüßen. –
Des Eigensinnes Diener sein,
Muß jeder bitter büßen.
Mit großen Augen und offenem Munde, die Eierschalen in der Hand, hörte der Hampelmann des Vögleins Lied. Der kleine Sänger flog fort durchs offene Fenster; der Hampelmann aber weinte zum Erbarmen und sprach: »Lispel-Heimchen und das Vögelein haben ganz recht. – Ich muß vor Hunger sterben. – Wäre ich doch nicht davongelaufen. – Ja, ich muß es büßen, ich sterbe vor Hunger.«
Immer schlimmer knurrte der Magen. Es war schon spät abends. Bengele wagte das Äußerste, ging zum Hause hinaus und lief aufs Geratewohl fort.
»Ich werde doch irgend einen guten Menschen finden, der mir ein wenig zu essen gibt«, das war sein einziger Gedanke.
Sechstes Stück.
Bengele geht betteln. – Die abgebrannten Füße.
Schauerlich kam die Nacht. Krachend rollte der Donner und es blitzte in einem fort, daß der Himmel aussah wie ein Feuermeer. Dazu pfiff ein schneidigkalter Wind, jagte Staubwolken vor sich her und schüttelte die Bäume, daß sie laut ächzten.
Bengele hatte schrecklich Angst bei Gewittern. Aber heute war sein Hunger größer als die Angst. Er schlug einen Feldweg ein und kam nach kurzer Zeit in ein Dörfchen. Alles war still und dunkel, die Haustüren und die Fenster samt und sonders geschlossen, kein Hund auf der Straße, die reinste Friedhofsruhe.
In seinem verzweifelten Hunger zog Bengele eine Hausglocke und läutete kräftig und lange.
»Irgend ein Mensch muß doch zum Vorschein kommen«, dachte er.
Richtig! – Ein alter Mann öffnete das Fenster. Er hatte die Nachtmütze auf dem Kopfe und brummte sehr ärgerlich:
»Wer kommt noch um diese Zeit?«
»Gebt mir doch um Gottes willen ein Stückchen Brot, ich muß sonst verhungern«, gab Bengele zur Antwort.
»Warte ein wenig, ich bringe es gleich.«
Der Mann aber dachte: »Das ist mal wieder einer von den nichtsnutzigen Schlingeln, die nachts die Hausglocken ziehen, weil sie ordentliche Leute im Schlafe stören wollen.«
Nach wenigen Augenblicken kam der Alte wieder ans Fenster und rief:
»Komm, halte deinen Hut hierher!«
Bengele hatte noch keinen Hut. Er trat also unter das Fenster und hielt beide Hände in die Höhe, um das herabfallende Stück Brot wie einen Ball aufzufangen. – Da ergoß sich über ihn der volle Inhalt eines Waschbeckens. Er wurde naß von oben bis unten und triefte wie ein Blumenstock, den man mit der Kanne abgespritzt hat.
Traurig wie ein verregneter Pudel trottelte der unglückliche Hampelmann nach Hause. Erschöpft von Hunger und Müdigkeit kam er heim; die Glieder schlotterten ihm vor Kälte.
Noch waren ein paar glimmende Kohlen in dem Becken, über dem Vater Seppel den Leim kochte. Bengele blies sie ein wenig an und wärmte sich die Hände. Dann holte er den wackeligen Stuhl und setzte sich vor die Glut. Seine feuchtkalten Füße legte er auf den Rand des Beckens, und so schlief er ein.
Nach und nach fingen die Holzfüße Feuer über der Kohlenglut und verbrannten zu Asche. – Bengele schnarchte und merkte nichts. Erst bei Tagesanbruch wachte er auf; denn es hatte laut an der Türe geklopft.
»Wer ist draußen?« fragte Bengele noch ganz verschlafen, gähnte und rieb sich die Augen aus.
»Ich!« kam die Antwort. Es war der Vater Seppel.
Bengele sprang schnell auf, um den Riegel an der Türe zurückzuschieben; aber schon nach zwei, drei Stelzschritten fiel er auf den Boden.
Das gab einen Lärm, als wäre ein Sack voll Kochlöffel vom fünften Stock aufs Pflaster gefallen.
»Mach mal auf«, rief Seppel immerfort auf der Straße.
»Vater, lieber Vater, ich kann ja nicht«, heulte Bengele und rutschte auf dem Boden herum.
»Warum kannst du nicht?«
»Meine Füße sind abgefressen!«
»Wer hat sie abgefressen?«
»Die Katze«, sagte Bengele. – Denn er sah gerade die Katze vor sich, die mit ein paar Hobelspänen spielte.
»Ich sag dir's zum letztenmal, mach auf, sonst geb' ich dir nachher die Katze!«
»O jeh! Ich kann nicht mehr stehen, glaub mir's doch! – Jetzt muß ich mein Leben lang auf den Knieen rutschen.«
Seppel dachte, hinter all dem Gerede stecke nur eine neue Spitzbuberei des Hampelmanns, und wollte ihr gleich ein Ende machen. Er hielt sich am Fenstergesimse fest, zog sich an der Mauer empor und stieg wie ein Feuerwehrmann ins Zimmer hinein.
Siebtes Stück.
Bengeles Morgenbrot.
Die ganze Nacht hatte man den Vater Seppel im Gefängnis festgehalten. Am frühen Morgen wurde er vor den Richter geführt. Alsbald erkannte dieser, daß der alte Mann unschuldig sei, und ließ ihn frei. Frohen Mutes kam der Schnefler nach Hause. Er hatte dem kleinen Taugenichts alles verziehen; aber jetzt erlebte er eine neue Schlingelei, und dafür wollte er den Hampelmann kräftig bestrafen.