Lill. Der Roman eines Sportmädchens. Rudolf Stratz

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Lill. Der Roman eines Sportmädchens - Rudolf Stratz


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      Rudolf Stratz

      Lill. Der Roman eines Sportmädchens

      Saga

      Lill. Der Roman eines SportmädchensCopyright © 1929, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507292

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Erstes Kapitel

      Lill stand schon wartend an dem heruntergelassenen Wagenfenster — jung, lang, hüftschlank, schulterschmal, das Reisetäschchen in der Linken, den Seidenmantel über dem Ärmel des kniekurzen, mausfarbenen Kascha-Kleides. Die Bremsen des D-Zugs quietschten. Er ruckte und hielt. Sie beugte den hübschen Kopf unter dem grauen Topfhut in die Nachtluft hinaus und rüttelte mit der Rechten an dem verklammten Türgriff. Dann tippte sie dem unten vorbeilaufenden Schaffner mit dem Zeigefinger auf den Mützenteller.

      „Lassen Sie mich bloss da ’raus aus der Schatulle, Herr Betriebsdirektor! Der Zug muss ohne mich weiter brausen! . . . So! danke!“

      Sie sprang flink-federnd, sportgeübt, mit einem Satz auf den Bahnsteig. Ein alter Herr betrachtete vom Nebenfenster wohlgefällig die dünnen, seidenbestrumpften Beine, die zierlichen Knöchel, die schmalen Füsse. Dann keuchte der Lokomotivkoloss da vorn funkensprühend in die stockfinstere Nacht hinaus. Der Bahnhof des Badeorts gähnte menschenleer. Nur ein paar Spiesser trollten sich durch die Sperre. Die Stationsuhr darüber zeigte zehn Minuten nach zehn Uhr abends.

      Nanu? Keiner zum Abholen da? Lill schaute düster in die Runde. Das sah der Blase doch wieder ähnlich! Die mussten natürlich jetzt alle in der Hotelhalle tanzen. Bande! . . . Aber ihr selber foxtrottete es ja schon seit einer Stunde in den Fussspitzen. Wenn sie den Koffer auf dem Bahnhof liess und gleich ins Kurhaus sauste und sich fix umzog — nee — wahnsinnig eilen musste sie sich schon! Vor dem Tennisturnier morgen krochen gerade die grossen Kanonen mit den Hühnern bald nach Mitternacht in die Klappe. Bloss das Kleinzeug, auf das es beim Turnier nicht ankam, hopste weiter.

      Ein Auto gab es doch wenigstens hoffentlich da draussen! Lill stiefelte mit langen, schlenkernden Schritten, den Kopf flott im Nacken, über den Bahnsteig, durch die Sperre, nach dem Ausgang links, machte verblüfft halt: Das war die Höhe: Vor ihr dämmerte der Platz mondhell und friedhofsstill in der warmen Septembernacht. Kein einziges Augenpaar eines Taxameters glotzte ihr entgegen. Keine Menschenseele in Sicht. Nur fern die Bierstimmen der drei dicken Eingeborenen, die vorhin durch die Bahnsteigsperre gewackelt waren.

      Kafferland! . . . Na wartet, Kinders — wenn ich Euch erst an Euren hässlichen Ohrläppchen zupf’! . . . Also zu Fuss nach dem Hotel! Weit konnte es nicht sein. Die Rix oder die Bine oder die Mab — irgendeine hatte auf der Postkarte am Rand gekritzelt: ,Nur drei Minuten vom Bahnhof!’ Fragt sich nur, wo? Vorn im Dunkel prusteten die Spiesser auf dem Weg in das Städtchen hinein über irgendeinen Stammtischwitz. Lill fing an zu rennen. Sie sauste auf einmal unwahrscheinlich schnell wie der Wind durch die Nacht. Sie lief nicht mit schaukelnden Hüften wie sonst eine Frau. Sie flog elastisch, kaum den Boden berührend, in langen, flüchtigen Hirschsätzen über das Kopfpflaster dahin. Die drei dicken Männer drehten sich um und sahen ungläubig das Hundert-Meter-Tempo des Sportplatzes. Vom Zehn-Sekunden-Rekord blieb es noch weit entfernt. Aber Lills Stimme war kaum atemlos, als sie innehielt und laut, kühl, kurz frug:

      „Sagen Sie mal: Wo ist denn das Dings — das Kurhaus oder wie’s heisst?“

      Der eine Bäuchling schmunzelte ihr in das hübsche, befehlerische Gesicht.

      „Immer da links lang, Fräulein! Egal die Strasse ’runter!“

      „Aber so weit ist’s doch nicht — was?“

      „I wo, Fräulein! Da kommt man leicht hin!“

      Die drei Pfahlbürger trotteten über die Strasse. Sie verzapften sich wieder einen Witz. Ihr speckiges Lachen vergrunzte um die Ecke. Dann raschelte nur noch das Herbstlaub durch die Vorgärten der Villen im Nachtwind. Der Mann im Mond blinzelte vom Sternenhimmel auf den schlafenden Badeort. Lill stürmte die Strasse hinunter. Einmal hemmte sie den Schritt und las den handtuchlangen, gelben Anschlag der Kurverwaltung an der Hauswand: das grosse Tennisturnier. Morgen früh um zehn Beginn. Weiter! Die Strasse zog sich elend hin! Sie war einfach verboten lang — immer eine Villa hinter der anderen. Dabei wie ausgestorben. Nur zuweilen Kötergekläff hinter einem Gartengitter. Lill hob die Uhr am Handgelenk vor die blaugrauen Augen: das nannten die Mädel — oder war es der Yo gewesen oder Wilm? — das nannten diese wertvollen Menschen drei Minuten! Mehr als doppelt so lang war sie schon auf dem Trab. Na danke: Nun hörten auch noch die Häuser auf! . . . Einfach Gegend rechts und links von der Strasse. Hoffentlich wenigstens Golfplätze! Man konnte in dem Mondzwielicht die roten Fähnchen nicht erkennen. Nur ganz nahe dahinter, hoch aus Dunkel, die Berge. Die Berge mit den berühmten Bobsleigh-Runs und Rodelbahnen und Skihalden und Sprungschanzen und Schlittschuh-Seen. Lill blickte auf die mondbeschienenen Dächer des Badeorts zurück. Deswegen war das Nest wohl jetzt im Herbst so schlafmützig. Das blühte erst wie ein Schneeglöckchen zur Winterzeit.

      Sie stand und überlegte, ob sie noch weitergehen solle? Wahrscheinlich hatte sie sich einmal nicht genug links gehalten, wie es ihr die dicken Männer ans Herz gelegt. Sie machte, in der stillen Nacht, auf gut Glück noch ein Dutzend Schritte um die Baumecke. Nein. Stimmte ja alles. Uff! Da lag ja gross und stattlich, mitten in einem weiten Park, das Kurhaus, alle Fenster des Erdgeschosses hell erleuchtet. Gedämpfte Tanzmusik klang heraus. Lill wippten die Beine. Sie schritt schnell, hoffnungsvoll lächelnd, dem grossen Gittertor der Garteneinfahrt zu. Es war offen. Der Pförtner stand daneben. Einige Schritte davon, in der Richtung nach dem Kurhaus, klopften ein paar barhäuptige, befrackte Herren einem Dritten in umgehängtem Mantel und schiefsitzendem Filzhut beschwichtigend auf die Schulter. Lill hörte, wie der eine von ihnen gemütlich sagte:

      „Aber, Hoheit — wer wird denn gleich ’nen kleinen Witz so krumm nehmen und weglaufen? Gleich kehren Sie in die Mitte Ihrer Verehrer zurück!“

      Hoheit . . . Donnerwetter . . . stinkfein — dachte Lill. Und der Koffer noch auf dem Bahnhof! . . . Nichts anzuziehen jetzt gleich — wo es da drinnen derartig blaublütig zuging . . .

      Na — so verheerend war es doch eigentlich, bei Licht besehen, nicht! Lill war durch das Haustor getreten, das die beiden Herren im Frack offen gelassen hatten. Die Gents folgten ihr auf dem Fuss. Sie schleppten den besänftigten Prinzen — einen unscheinbaren, blonden, jungen Mann — kordial, ein Herz und eine Seele, unterm Arm in ihrer Mitte wieder in die Festräume zurück.

      Im Ballsaal spielte die Hotelkapelle „Rosen aus dem Süden“. Die Paare walzten komisch altmodisch — ohne die drei Gehschritte — wie zur Zeit Albrechts des Bären. Oder war das das Allerneueste? Lill stand auf der Schwelle und betrachtete neugierig die Gesellschaft. Durchgängig ganz grobe Klasse war das nicht! Das stand fest! Neben sehr guten Erscheinungen andere — na manche Herren hatten überhaupt nicht gedresst! Ein paar ältliche Damen trugen tatsächlich Blusen . . . Blusen aus dem Museum märkischer Altertümer . . . dunkelste Provinz . . . Wenn man sich vorstellt, dass man heute früh noch in Berlin-Grunewald seine Kalorien gefrühstückt hat — Lill fühlte unter der fremden Menschheit Sehnsucht nach ihrer Berliner Clique. Die musste hier im Saal verkrümelt sein. Aber sie entdeckte kein vertrautes Gesicht.

      Nur die dürftige, blässliche Hoheit von vorhin tauchte plötzlich im Vestibül neben ihr auf und flüsterte, ohne sich vorzustellen — na . . . das taten so Prinzlichkeiten wohl überhaupt nicht — flüsterte leise, fast geheimnisvoll:

      „Gnädigste suchen Bekannte?“

      Lill hatte, da keine Garderobenfrau zu entdecken war, eigenhändig Topfhut und Mantel an einen Haken gehängt. Sie stand vor dem Spiegel und glättete sich mit der flachen Hand die kühn unter dem schiefen Scheitel links nach hinten ondulierten Wellen des dunkelblonden


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