Lill. Der Roman eines Sportmädchens. Rudolf Stratz

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Lill. Der Roman eines Sportmädchens - Rudolf Stratz


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„Sinn hat’s ja nicht! Aber ihm macht’s ’nen Riesenspass!“

      Über die Mütter sprach man überhaupt nicht erst. Die spielten keine Rolle. Lill streifte sich die dünnen Tanzschuhchen über, gähnte nervös und blies geübt den Rauch durch die Nase.

      „Natürlich ist’s nett, dass mein alter Herr nicht gerade am Bettelstab wankt!“ sagte sie. „Also nun hab’ ich genug von den Lititi-Leuten erzählt! Nun will ich nicht mehr daran denken! Es macht mich ganz seekrank. Nun will ich tanzen und mich amüsieren! Und dann —“ sie stand auf und recte die Arme — „schlafen wie ’ne Ratte! Vor elf komm’ ich morgen doch nicht dran!“

      „Ja — Du hast’s gut!“ sagte die dunkle Bine Herold. „Ich — gib mir doch mal ’nen Augenblick die Brennschere! — ich muss mit den Hühnern ’raus!“

      „Doch nicht vor zehn!“

      „Das denkst Du! . . . Da liegt seine Depesche . . . Also so ist er!“

      „Dein Freund Orff?“

      „Gott straf’ das Ekel!“

      Mab hob die Augen mit einem Blick schweigenden Vorwurfs, dass man Orff — Orff! — ein Ekel nennen könne! Auch der Rix huschte eine Röte über die Baden. Lill las das Telegramm.

      „Sei morgen Punkt sieben auf Platz zu Training für Gemischt-Doppel. Keine Müdigkeit vorgeschützt. Robby!“

      „Gewaltmensch. . .“, sagte sie.

      „Ja — Du kennst Robby Orff noch nicht!“

      „Nein. Bisher ist er mir entgangen. Merkwürdigerweise!“

      „Er ist ja auch ewig im Ausland. Und dann jagt er einen vor Sonnenaufgang aus den Federn! Ihm macht es natürlich nichts. Er fährt die Nacht durch . . .“

      „Im Schlafwagen?“

      Die Mädchen schrien. Robby Orff im Schlafwagen! Ein lächerliches Bild . . .

      „Sein allerneuster Amerikaner hat 100 zu 160 PS. Natürlich Sechszylinder! Damit saust er jetzt eben schon von Wien durch die Natur!“

      „Der schafft auch nachts seine vierzig Kilometer Durchschnitt!“ sagte Mab.

      „Lachbaft!“ rief die schöne kleine Herold gereizt. „Sechzig! . . . Achtzig bei Mondschein . . . Gott . . . Orff! . . .“

      „Du wirst’s wissen, Bine! Vom Eislaufen verstehst Du was, aber . . .“

      „Rix . . . rede nicht . . .“

      „Faucht nicht wie die Katzen!“ Lill zündete sich eine neue Zigarette an. „Wegen einem Mann! . . . Zu kindisch! . . .“

      „Ja . . . aber Orff . . .“, wagte Mab behutsam . . . Es lag eine Welt in dem kurzen Worte: Orff . . . .

      „Ich wusste gar nicht, dass er auch Autofahrer ist . . .“ Lill musterte sich unwillkürlich, prüfend, noch einmal im Spiegel.

      „Das ist es ja doch gerade, dass er jeden Sport beherrscht!“ sprach Bine Herold trotzig. „Das ist ja sein Ehrgeiz! Man ist immer für ihn nur Füllsel . . .“

      „Er ist neulich mit Lo Kreppel als Passagier im Flugzeug . . .“

      „Gott . . . die Lo . . .“

      „Er steht im Weitsprung nah am neuen Weltrekord“, unterbrach Mab neidisch. „Also ungelogen. — offiziell anerkannt. — in Stockholm 7,35½!“

      „Na, bald nimmt’s ein Ende mit Schrecken.“ Bine Herold stand auf und dehnte ihren zierlichen Körper, der nur in ein fast durchsichtiges Restchen von plissiertem rosa Tüll gewickelt war. „Wenn er nicht in der letzten Poststunde Vernunft annimmt . . .“

      „Will er heiraten?“ Lill blies einen Rauchring.

      „Stirbt lieber!“ schrie die Rix. Die Mab lachte und schaute auf die schwarze Herold. Die süsse Bine zuckte nur verächtlich die weissen, runden Schultern.

      „Wenn der jede Tennispartnerin und Bobsine und Mitfliegerin heiraten wollte,“ sagte sie herb, „dann hätt’ er. bald ’nen netten Harem beisammen!“

      „Er ist ja auch ein Pascha . . .“

      „Aber nun rächt’s sich: der einzige Sport, in dem wir Weiber nichts zu suchen haben . . . Er ist doch Amateurboxer von hoher Klasse. Schwergewicht. Damit könnt’ er doch zufrieden sein! Nein. Da setzt er sich doch in den Kopf, und er wettet — natürlich morgens um fünf in der Bar —“

      „Er trinkt ja keinen Alkohol!“

      „Das ist ja egal! . . . Also da ärgert er sich — Gott weiss warum — über den Champion — den kalmückischen Riesen — den Kü-en-lüng — der da neben ihm ganz friedlich auf dem Kontorstuhl reitet und aus dem Stroh halm saugt und die Barmaid angrient — Völker Europas — wahret Eure heiligsten Güter . . . Kurz — er fordert das asiatische Ungetüm zu einem öffentlichen Match heraus — in vierzehn Tagen — in Berlin — und der Kerl nimmt richtig auch an — gegen schweres Geld . . . Orff selbst verzichtet natürlich auf jede Börse . . .“

      „Aber immerhin . . . ein Herr von Orff“, flüsterte die Spinne.

      „Nu wenn schon ein Herr ,von’, Mab — Du bist wohl von gestern! Sei nicht altmodisch — ja?“ verwies Lill scharf ihren Schatten. Die Rix marschierte erregt, mit weiten, dünnbeinigen Männerschritten, in ihrem fast kniefreien, kornblumblauen Hängerchen durch ihr Zimmer. Sie entschied: „Ob von Orff oder Herr Orff oder Mister Orff — darauf kommt es natürlich unter Zeitgenossen nicht an — sondern dass er eben als Amateur gegen einen Professional antritt!“

      „Er wird ja disqualifiziert!“ rief Bine verstört.

      „Und nicht nur im Ring, sondern womöglich in jedem Sport! Die Gelehrten sind sich ja noch nicht ganz darüber einig! Aber es wird schon so kommen!“

      „Ja — und was denn dann?“ frug Mab Immich wie vor dem Weltuntergang.

      „Er hat nun mal gewettet! Wenn auch in vorgerückter Stunde! Er sagt, er kann nicht mehr zurück . . . Na — schliesslich —,“ die blonde Rix lächelte bitter, ,,für den Robby sind wir ja doch alle nur Rekruten! Dem ist’s sehr gesund, wenn er selber auch mal geduckt wird!“

      „Ach was! Orff bleibt Orff!“ sprach die schöne kleine dunkle Herold weich. Das war das erlösende Wort. Die drei Mädchen nickten gedankenvoll, versunken, mit besorgten Augen. Dann hielt Lill gähnend die Hand vor den Mund. „Ihr ödet einen an — mit Eurem Robby! Wovon lebt er denn eigentlich?“

      „Ja — da fragst Du mich zuviel!“ sprach Rix Grusemann sinnend. „Warť mal — natürlich . . . Er hat mit ’ner Automobilfabrik was zu tun . . .“

      „Nein! Er ist Vertreter für Amerika!“

      „Ach — Vertreter! . . Vertrauensmann . . .“

      „Und dann hat er doch ein Rittergut!“

      „Ja — auf seinen Namen. Das ist eigentlich von einer Jagdgesellschaft finanziert!“

      „Und dann — ja — der Geo weiss da mehr — dann ist er ja im Aufsichtsrat von einer Gesellschaft — für Wintersport-Hotels . . . ich glaube, da steckt englisches Geld drin . . . Jedenfalls ist der Robby hundertprozentiger Gent!“

      „Das hab’ ich auch nie bezweifelt!“ sagte Lill phlegmatisch. „Ist ja übrigens auch total piepe, wo er sein Geld her hat!“

      Das Geld war aus Deutschland weg . . . tröpfelte erst ganz sachte wieder. Papa, der immer noch dick genug in der Wolle sass, wetterte täglich durch das Telephon nach den Fabriken, dass man mit dem Bruchteil eines Pfennigs kalkulieren müsse. Aber diese frohgelaunten, eleganten jungen Männer, mit denen man sportete und flirtete und foxtrottete — die hatten alle Geld. Immer. Für alles. Die sassen in einem der unzähligen deutschen Ministerien. Die bekamen irgendwie Einfuhr-Erlaubnisse nach Russland. Die hatten Beziehungen zur


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