Der grüne Page. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Der grüne Page - Rudolf Stratz


Скачать книгу
Eure Tollität!“

      „Proscht! Proscht!“

      Der schwarze Mönch hatte den Sektkelch zu zwei Dritteln geleert. Er hielt ihn in der Hand. Der grüne Page stand vor ihm und machte ihm eine ehrerbietige Verbeugung oder mehr einen graziösen Knix in den Knien. Dann winkte er zum Abschied mit der Hand und entfernte sich ziemlich schnell in der Richtung nach dem Ausgang, mit dem leichten, zierlich wiegenden Gang einer Frau.

      Der schwarze Mönch strich sich über die Stirne und schaute dem Pagen nach. Rund um ihn schwirrten die Lästerzungen.

      „War das dein Herzgepusseltes, Jeanche?“

      „Schickt sich denn das für e Fastemönch?“

      „Jeanche — keusch is das nit!“

      Und andere Stimmen mahnten:

      „Da hinten guckt sie nochmal durch die Tür!“

      „Rasch zum Stelldichein!“

      „Auch e Prinz darf e Dame nit warte lasse!“

      Der schwarze Mönch stand und schwieg beharrlich. Er kippte sich den Rest des Champagnerkelchs in die Kehle, schüttelte die Kapuze, so als ob ihm der Sekt nicht schmeckte und betrachtete wie geistesabwesend den Boden des leeren Glases, das er in der Hand hielt. In dem Gedränge wehte eine Pfauenfeder von einem Goldhelm. Der närrische Hofmarschall des Prinzen Karneval, der Hopfenhändler Pitterlin, schlüpfte wie ein grosser flinker Silberkäfer durch die Masken an die Seite des schwarzen Mönchs und raunte ihm zu:

      „Jeanche — horch mal? Ach — wehr’ nit mit der Hand ab! Ich weiss doch, dass du’s bist! Hab’ dich ja vorhin erkannt!“

      Der verkappte Prinz Karneval antwortete auch seinem Hofmarschall nicht. Er holte ein paarmal tief Atem. Der Hopfenhändler Pitterlin mahnte halblaut weiter.

      „Du bist jetzt nit der erste beste, verliebte Maikäfer! Du bist heute der Faschingsprinz! Unsre Amtsperson! Du darfst jetzt nit wie sonst, wo’s dir passt, den Don Juan spiele!“

      Der Prinz Karneval machte nur eine ganz sonderbare, träumerische Schulterbewegung.

      „Wer war denn die froschgrüne Mamsell, mit der du eben getechtelmechtelt hast?“

      Der schwarze Mönch antwortete nicht. Er stützte sich mit der freien Linken auf die Marmorkante des Büffets, so als ob ihm schwindlig zumute sei. Sein Getreuer rang die Hände und wandte sich zu den Umstehenden.

      „Stumm wie ein Karpfe!“

      „Der Jean Dörsam will nicht sprechen, damit man ihn nicht an der Stimme erkennt!“ klang es aus einem Frauenmund. Ein Kellerbass grunzte:

      „Macht voran, Eure Tollität! Springt dem grünen Pagen nach! Sonst wird er Euch untreu!“

      Der schwarze Mönch raffte sich auf. Er ging langsam, schweren Trittes, ganz anders als vorhin, in der Richtung nach der Saaltür. Der Hofmarschall lief nebenher und flehte.

      „Jeanche — das muss doch nit sein! Jeanche — kümmer dich nit mehr um das Mädche mit dem Sektglas! Steig’ nit hinter ihr her! Du und das Babettche sind doch nit bloss Prinz und Prinzessin Karneval. Ihr seid schon so gut wie miteinander verlobt. Die ganze Stadt spricht ja davon. Du weisst, wie eifersüchtig das Babettche ist! Das ist e Speikatz’, wann sie fuchtig wird. Dafür kennt man ja das Babettche Spörlin!“

      Die Sandalen des schwarzen Mönchs klapperten weiter auf dem Parkett, aber mit seltsam unregelmässigen, schleppenden Tritten. Der närrische Hofmarschall musterte besorgt seinen hohen Herrn.

      „Was hat er nur?“ sagte er. „So läuft e Nachtwandler auf den Dächern spaziere, aber nit e regierender Fürscht von Narretanien!“

      Der schwarze Mönch blieb stehen. Schaute wirr um sich, als wüsste er nicht mehr, wo er sei.

      „Hebt ihn!“ rief es. „Er schwankt!“

      Der Prinz Karneval in der Mönchkutte stand nicht mehr sicher. Er suchte nach dem nächsten Stuhl und sank darauf nieder. Das Glas entfiel seiner Rechten und zerschellte auf dem Parkett in glitzernde Scherben. Er sass, den Kopf vornübergesunken, ganz friedlich und rührte sich nicht mehr.

      Der kleine, dralle weibliche Jockey, der dabeistand, trat verblüfft zurück. Die weithosige Suleika neben ihr schüttelte ungläubig ihr Rabenhaar. Ein wadenloser Kreuzfahrer beugte sich blechrasselnd vor. Der Sterndeuter mit weissem Fusssackbart schob die gehörnte Satanella und das blondbezopfte Gretchen vor ihm zur Seite. Noch tanzten weit im Saal die Paare. Aber so wie ein Stein im Wasser immer grössere Ringe zieht, so lief es von Mund zu Mund und lähmte bald die Beine.

      „Was ist denn da drüben geschehen?“

      ,,’s is einem schlecht geworde!“

      „Dem Prinzen Karneval!“ schrie es. „Dem Prinzen Karneval selber!“

      Ein hundertstimmiges Echo hallte von den närrischen, mit gekreuzten Pritschen und Aschermittwochskatern geschmückten Wänden wieder.

      „Was ist denn mit dem Jeanche geschehen?“

      ,,Hot er zu viel getrunke?“

      „E Weinhändler? Die vertrage mehr als die anderen!“

      „Eben war er noch ganz fest auf den Beinen!“

      Jetzt stockte überall der Tanz. Mit einem jähen Missklang verstummten die pappnasigen Musikanten. Wirre Rufe.

      „Ja — so helft ihm doch!“

      „Ist denn kein Doktor da?“

      „Da springt schon einer bei!“

      Ein Minnesänger mit blonder Haartolle und umgehängter Harfe steuerte durch das Gemühl. Er hatte die Maske abgenommen. Man erkannte das rotbäckige, von vielen Schmissen gekerbte Kindergesicht des blutjungen Doktor Kniffer, der sich erst vor wenigen Wochen hier in der Stadt als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer niedergelassen hatte. Er beugte sich zu dem Prinzen Karneval hinab, fühlte ihm den Puls, zog seine Uhr, zählte, schüttelte den Kopf.

      Der Herr atmet ganz regelmässig, sein Pulsschlag ist normal!“ erklärte er.

      „Gott sei Dank!“

      „Ich glaub’, der Jeanche verstellt sich!“

      „Das wär’ aber ein dummer Fastnachtswitz!“

      ,,Nein. Der Herr ist bewusstlos!“ stellte der Doktor mit der Harfe fest. Und da niemand dieser Tatsache widersprach: „Da geht etwas vor, wovon wir keine Ahnung haben!“

      „Ha — das müsse Sie doch wisse!“ scholl es hitzig aus dem Kreis der Masken.

      „Das Weitere wird die klinische Untersuchung ergeben!“

      „Lasst Seine Korpulenz durch!“ schrie es von hinten.

      Ein wohlbeleibter Falstaff arbeitete sich rücksichtslos durch das Gewühl. Mit seinem elastisch federnden, künstlichen Bauch fing der Tierarzt Louis Steubesand die Püffe und Ellenbogenstösse auf. Das joviale, rötlich vollbärtige Antlitz des Vorsitzenden der Narrhalla war ängstlich gespannt. Er blickte fragend aus den fidelen Äuglein, in denen noch die Faschingslaune flackerte, auf den Doktor Kniffer.

      „Gerechter Strohsack!“ schrie er. „Was is denn da los?“

      Der junge Arzt kniete noch neben dem schwarzen Mönch, schüttelte seine Troubadour Perücke, die ihm wie blonde Wolle um die Ohren hing, und stand auf, die zusammengerafften Scherben des Champagnerglases in der Hand.

      „Man muss die Tropfenreste chemisch analysieren!“ verkündete er. „Der Patient hat etwas zu sich genommen, was ihm nicht bekommen ist!“

      „Sie merke aber auch alles!“ schrie der Ochsenmetzger.

      „Bitte lassen Sie mich ausreden — die Frage ist nur, ob er sich etwa diese Dosis selbst in sein Glas geschüttet hat . . .“

      Ein


Скачать книгу