Geteilt durch Null. Ted Chiang
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Aus dem Englischen
von molosovsky und Karin Will
Die Originalausgabe dieses Sammelbandes erschien 2016 unter dem Titel »Story of your life and others« bei Vintage Books, a division of Penguin Random House LLC, New York, and distributed in Canada by Random House of Canada, a division of Penguin Random House Canada Limited, Toronto. Originally published in the United States by Tor Books, an imprint of Macmillan Publishers, New York, in 2002.
Copyright © 2002 by Ted Chiang
All rights reserved.
Die Storys dieses Sammelbandes erschienen in anderer Zusammensetzung 2014 bzw. 2017 unter dem Titel Das wahre Wesen der Dinge bzw. Arrival – Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes im Golkonda Verlag.
Bitte beachten Sie auch das Quellenverzeichnis auf Seite 360.
Die Übersetzungen im Einzelnen:
Verstehen, Geteilt durch null, Zweiundsiebzig Buchstaben, Die Evolution
menschlicher Wissenschaft: Karin Will
Der Turmbau zu Babel, Geschichte deines Lebens, Die Hölle ist die Abwesenheit
Gottes: molosovsky
Die Wahrheit vor Augen: Michael Plogmann
Anmerkungen zu den Geschichten: Jakob Schmidt
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1. eBook-Ausgabe 2020
© dieser überarbeiteten und durch die Anmerkungen des Autors ergänzten
Neuausgabe 2020 Golkonda Verlag in Europa Verlage GmbH, München
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Satz und Innengestaltung: Danai Afrati
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-96509-038-5
Alle Rechte vorbehalten.
INHALTSVERZEICHNIS
Die Evolution menschlicher Wissenschaft
Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes
Anmerkungen zu den Geschichten
Läge der Turm der Länge nach auf der Ebene von Shinar, würde man zu Fuß von einem Ende zum anderen zwei Tagesreisen benötigen. Doch da der Turm aufrecht steht, dauert es einen ganzen Monat, um von seinem Sockel bis zur Spitze emporzusteigen – wenn man denn nichts tragen musste. Aber nur wenige Menschen besteigen den Turm mit leeren Händen; das Tempo der meisten wird von Karren mit Steinen bestimmt, die sie hinter sich herziehen. Vier Monate vergehen zwischen dem Tag, an dem die Ziegel auf die Karren verladen werden, und dem Tag, an dem sie abgeladen werden, um ein Teil des Turmes zu werden.
Hillalum hatte sein ganzes Leben in Elam verbracht, und Babylon war ihm lediglich als Abnehmer von elamischem Kupfer bekannt. Die Kupferbarren wurden auf Booten transportiert, den Karun hinab zum Golf des Dscham und dann den Euphrat hinauf. Hillalum und die anderen Bergarbeiter reisten über Land, zusammen mit einer Handelskarawane schwer beladener Onager. Sie folgten einem staubigen Pfad, der von der Hochebene hinabführte und über die Steinwüste zu den grünen Feldern, die von Kanälen und Dämmen unterteilt waren.
Keiner von ihnen hatte den Turm jemals gesehen. Er wurde sichtbar, als sie noch viele Wegstunden von ihm entfernt waren: eine Linie so dünn wie eine Flachsfaser, die in der schimmernden Luft zitterte und sich aus der Lehmkruste Babylons erhob. Während sie sich näherten, wuchs die Kruste zu mächtigen Stadtmauern empor, doch alles, was sie sahen, war der Turm. Als sie den Blick schließlich auf die Flussebene senkten, bemerkten sie die Spuren, die der Turm außerhalb der Stadt hinterlassen hatte: Der Euphrat floss am Grunde eines weiten, tief liegenden Bettes, das zur Gewinnung von Lehm für Ziegel ausgehoben worden war. Südlich der Stadt waren Reihe um Reihe von Brennöfen zu erkennen, die nicht mehr brannten.
Während sie sich den Stadttoren näherten, erschien der Turm gewaltiger als alles, was Hillalum sich je vorgestellt hatte: eine einzelne Säule, deren Umfang so groß sein musste wie ein ganzer Tempel, und die dennoch so hoch aufragte, dass sie sich in der Ferne verlor. Sie alle gingen mit in den Nacken gelegtem Kopf und blinzelten in die Sonne.
Hillalums Freund Nanni stieß ihn, von Ehrfurcht ergriffen, mit den Ellenbogen an. »Da sollen wir hinauf? Bis zur Spitze?«
»Nach oben klettern, um zu graben. Das scheint mir … unnatürlich.«
Die Bergarbeiter erreichten das Haupttor in der westlichen Mauer gerade in dem Moment, als eine andere Karawane die Stadt verließ. Während sie sich in den schmalen Schattenstreifen drängten, den die Mauer warf, rief Beli, ihr Vorarbeiter, den auf den Wachtürmen stehenden Bewaffneten zu: »Wir sind die Bergarbeiter, die aus dem Lande Elam gerufen wurden.«
Die Torwächter waren sichtlich erfreut. Einer rief zurück: »Seid ihr diejenigen, die sich durch das Himmelsgewölbe graben sollen?«
»Das sind wir.«
Die ganze Stadt feierte. Begonnen hatte das Fest vor acht Tagen, als die letzten Ziegel auf den Weg geschickt worden waren, und es würde noch zwei Tage währen. Tag und Nacht jubelte die Stadt, tanzte und schmauste.
Die Ziegelbrenner schlossen sich den Karrenziehern an – Männer, die so oft auf den Turm gestiegen waren, dass sie Beinmuskeln so dick wie kleine Baumstämme hatten. Jeden Morgen machte sich ein Trupp auf den Weg nach oben; vier Tage stiegen sie hinauf, übergaben ihre Ladung der nächsten Kolonne und kehrten am fünften Tag mit leeren Karren in die Stadt zurück. Eine Kette solcher Gruppen reichte bis zur Spitze des Turmes, doch nur die unterste Mannschaft feierte zusammen mit der Stadt. Jenen, die auf dem Turm lebten, war zuvor genug Wein und Fleisch gebracht worden, damit das Fest sich die gesamte Säule hinauf erstrecken konnte.