Villa im Tiergarten. Artur Hermann Landsberger
Читать онлайн книгу.wie man Ihnen mit diesem Aussehen zumuten wird, die dazugehörigen Kleidungsstücke auszubürsten.“
Am Tage, an dem Frau Inge ihren Einzug hielt, glichen die gemeinsamen Räume und ihr Zimmer einem blühenden Garten. Unabhängig voneinander hatte jeder seiner Freude über die neue Hausgenossin Ausdruck gegeben. Und wie nachhaltig diese Freude war, ergab sich aus zwei Umständen. Einmal genügte es, daß Frau Inge durch Burg bekanntgegeben hatte, daß sie um ein Uhr frühstücken und um sieben Uhr dinieren werde, um sämtliche Mitbewohner, die bis dahin zu ganz verschiedenen und zwar zu den verrücktesten Zeiten, meist auswärts, ihre Mahlzeiten eingenommen hatten, nun regelmäßig um eins und um sieben im Eßsaal erscheinen und besonders des Abends so lange bleiben zu lassen, bis Frau Inge sich zurückzog. Versuchen gegenüber, sie nach dem Essen zu bestimmen, mit in ein Theater zu gehen, die hauptsächlich Etville, Rolf und ich unternahmen, blieb sie ablehnend. Es gab eine gräflich Steinbottsche Familie, eine Frau von Linggen-Emmerau und einen etwa sechzigjährigen Baron Lotze, der ihr Onkel war — mit diesen besuchte sie hauptsächlich Konzerte, sah sie bei sich des Nachmittags zum Tee und ging auch zu ihnen ins Haus. Das einzige Entgegenkommen, das sie zeigte, war die Bereitwilligkeit, des Morgens von sieben bis acht mit Rolf und Etville im Tiergarten spazierenzureiten. Etville, der nichts unversucht ließ, um in gesellschaftlichen Verkehr mit ihr zu kommen, fand durch gemeinsame Bekannte Eingang bei Steinbotts, machte zunächst der Frau Gräfin den Hof und erfuhr, daß ihre Kusine, Baronin Inge von Linggen, wegen ihrer Extravaganzen in der ganzen Familie bekannt sei. Dank ihrem Geist, ihrem Charme und vor allem dank der Tatsache, daß sie selbst in den verrücktesten Situationen, in die sie durch ihre Absonderlichkeiten schon geraten war, stets Dame geblieben sei, sei ihre gesellschaftliche Position unerschüttert.
„Auch Frau Inges neueste Verrücktheit,“ sagte die Gräfin, „die Leitung Ihres Junggesellenheims zu übernehmen, hat zwar Kopfschütteln erregt, aber niemand auf den Gedanken gebracht, die Beziehungen zu ihr abzubrechen.“
„Und was, glauben Sie, bezweckt die Baronin damit? Doch nicht eine Ehe?“
„I Gott bewahre! Sie hätte innerhalb ihrer Kreise haben können, wen sie wollte.“
„Bei uns auch!“ sagte Etville.
„Ich glaub’s! Aber was ich für möglich halte, ist, daß sie sich in den Kopf gesetzt hat, aus den fünf Junggesellen in kürzester Zeit fünf Ehemänner zu machen.“
„Ausgeschlossen!“ widersprach Etville. „Solange die Baronin im Hause ist, heiratet keiner von uns.“
„Sie werden es alle tun, wenn sie es will — ihr zuliebe!“
Etville, der immer leicht erotisch gestimmt war, kam sofort auf eine falsche Fährte. Er machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte:
„Um den Preis — freilich! — Da heiratet man sogar!“ Die Gräfin verstand ihn nicht und sagte:
„Na, also!“
Aber für Etville lag darin nur eine Bestätigung für das, was er dachte, daß nämlich Frau Inge, wenn davon das Gelingen ihres Planes abhing, zu jedem Opfer bereit sei. Also auch zu dem, in dem für ihn die Erfüllung seiner Wünsche lag. Durch diese Feststellung, die ihn nicht gerade heiter stimmte — denn der Gedanke an eine Ehe mit einer Frau, die nicht Frau Inge war, ging ihm schwer ein — glaubte Etville seinen Mitbewerbern, die sichtbar noch völlig im Dunkeln tappten, voraus zu sein.
Nur etwas vergaß er. Und den gleichen Fehler begingen die andern. Keiner dachte an die Folgen, die unausbleiblich mit ihrem Stimmungs- und Gefühlswechsel verknüpft waren und den vor allem die verschiedenen Häslein zu fühlen bekamen. Da innerhalb ihres Milieus jede von ihnen eine besondere Klasse war, so dachten sie, schon aus Prestigegründen, gar nicht daran, vor irgendeinem Eindringling, den sie nicht einmal kannten, zu kapitulieren. Jede von ihnen verfügte über eine Zahl von Prätendenten, die nur auf den Augenblick warteten, in dem sie die Nachfolge antreten konnten. Die Gefahr, auf dem trocknen zu sitzen, bestand also nicht. Aber sie waren sich und vor allem ihrem Nachfolger einen ehrenvollen Rücktritt schuldig. Darin erschöpfte sich ihre Politik. Für alles andere sorgten ihre äußeren Reize. Waren die in den Kreisen, die den Ton angaben, anerkannt, so durfte die Zeit ruhig ihren Tribut fordern. Einmal als Klasse abgestempelt, behaupteten sie sich vierzigjährig noch mit Erfolg gegenüber den hübschesten Frauen von zwanzig Jahren, die wohl auch in diesen Kreisen verkehrten, aber, falsch lanciert, nicht als „zugehörig“ betrachtet wurden. Und wie jede Gesellschaftskaste ihren eigenen Ehrbegriff hat, so auch diese.
Po Gri, der berühmte Filmstar, pfiff darauf, — durfte pfeifen. Po Gri war ein Begriff für sich, der sich nicht einreihen ließ. Rief sie über den Spieltisch dem Croupier zu: „Idiot!“ so lachte alles, und der Croupier war blamiert. Tat es das sehr viel jüngere und hübschere Häslein, so war man empört, und der Croupier verbat sich energisch jede Beschimpfung von seiten dieser „Dame“.
Mehr gefährdet, mußte Häslein trotz Auto, Villa, Perlenkette und Zofe auf der Hut sein. Und da sie, vielleicht war’s auch ihre mit mehr Instinkt begabte Zofe, wahrnahm, daß Rolf nicht mehr so pünktlich kam wie ehedem, hin und wieder sogar ohne das geringste „cadeau“, wie sie sich infolge eines achttägigen Aufenthalts in Paris ausdrückte, beim Souper ohne Appetit und den Komplimenten gegenüber, mit denen Dritte sie auszeichneten, ohne Eifersucht war, so rüstete sie zur Abwehr.
„Was meinst du, was ihm fehlt?“ fragte sie ihre Zofe, und die erwiderte:
„Entweder steckt eine Frau dahinter — oder er leidet infolge zu vielen Sektgenusses an einer chronischen Magenverstimmung.“
„Meinst du, man wartet ab?“
„Im Gegenteil: man beugt vor.“
„Wie?“
„Die Magenverstimmung wäre natürlich das kleinere Uebel. Unter Umständen sogar ein Glück. Ein kranker Magen gibt schlechte Laune und lähmt die Energie.“
„Du meinst, daß er mir dann jeden Wunsch erfüllt?“
„Vor allem einen!“
„Welchen?“
„Ich habe in meiner zwanzigjährigen Zofenlaufbahn drei Fälle erlebt, in denen Männer in hohen sozialen Stellungen nur infolge eines chronischen Magenleidens ihre Freundin geheiratet haben. Ich kenne die Stimmungen bei solchen Krankheiten genau. Wenn man vor allem die Krisen geschickt nutzt, erreicht man von diesen Kranken alles.“
„Himmlisch!“ rief Häslein. „Ich werde beten, daß es das ist!“
„Ich fürchte, es wird das andere sein.“
„Woraus schließt du das?“
„Aus seiner Zerstreutheit.“
„Und du meinst, daß ...“
„Allerdings! Der Ansicht bin ich!“
„Was tue ich da?“ fragte sie erregt.
„Vor allem nichts Unüberlegtes. Das ist schon viel.“
„Das ertrag’ ich nicht!“
„Zunächst einmal müssen wir wissen, wer es ist.“
„Diese Baronin natürlich!“
„Schon ist es eine! Wer weiß, in welchem Grünkramkeller die groß geworden ist! Heute kauft sich jede bessere Kokotte einen Baron.“
„Vielleicht! — vielleicht auch nicht! Man sieht sie nicht! Niemand von seinen Freunden kennt sie.“
„Er ist eifersüchtig! Er schließt sie ab! — Er liebt sie! — Entweder, er gibt sie auf oder ...“
„Oder?“ fragte die Zofe, und Häslein erwiderte:
„Oder ich höre auf, ihn zu lieben.“
„Das letzte dürfte einfacher sein.“
„Ich will aber nicht!“
„Zunächst einmal müßte man wissen, wie sie aussieht.“
„Wie