Gott singt. Ulrike Gadenne

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Gott singt - Ulrike Gadenne


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sweet, short and simple

      Meine Konfusion legte sich bald, mir war einige Aufregung erspart geblieben, und in der allgemeinen Aktivität der nächsten Tage vergaß ich die ganze Angelegenheit.

      Drei Tage später standen die Taxis im Hof, Baba fuhr zurück nach Hyderabad und mit Ihm der Tross aller Permanenten und Besucher. Während der Abendrunde lobte Baba die Friedensrede von W. aus der Schweiz, sagte, wie gut sie Ihm gefallen habe, und warf mir von der Seite einen kurzen, wie mir schien, ironischen Blick zu. Siedend heiß stieg mir ins Bewusstsein, was mein Gefühl und mein Gewissen längst wussten. Was war passiert? Da die andere österreichische Besucherin im Gegensatz zu mir auch in Österreich geboren war, war ich der Meinung gewesen, dass sie die Rede halten sollte. Das wollte sie aber nur unter der Bedingung tun, »wenn es kein anderer macht«. Damit forderte sie trotz des bestehenden Angebots die verbale Erklärung von mir, dass ich die Rede nicht halten wolle, was so aber nicht stimmte. Wir schoben den Ball hin und her, sie konnte sich weder für ja noch nein entschließen, bis ich trotzig sagte: »Gut, dann mache ich es!« Dabei blieb ich, spürte aber, dass sie damit nicht zufrieden war. Es hätte nur einen Satz von mir für eine runde und friedliche Lösung für uns beide gebraucht: »Ich möchte die Rede nicht halten«, doch dazu war ich zu stolz und zu störrisch. Obwohl ich fühlte, dass die Besucherin ihren Wunsch, die Rede zu halten, nur so ausdrücken konnte, war ich nicht in der Lage, ihr eine Brücke zu bauen. Ich hätte mir Zeit und Stress erspart, sie wäre glücklich gewesen – eine Friedensrede mit diesem unfriedlichen Hintergrund war verlogen und darum unbrauchbar. So direkt vor Babas Augen schämte ich mich gründlich, war aber gleichzeitig dankbar für das andere Geschenk: wieder einmal hatte Balasai Baba mir Seine Allwissenheit gezeigt.

      Neben Ihm saß eine neue Besucherin, die unscheinbar, schüchtern und unsicher wirkte. Baba überschüttete sie mit Aufmerksamkeit, lobte ihren Sari, schenkte ihr Seinen Tee, streichelte ihre Hand, während Er mit der anderen einen Carromboard-Stein schoss, und steckte ihr eine Blume ins Haar – jeder bemerkte die Veränderung, als Baba später den Segen gab: Sie strahlte vor Glück, Lebendigkeit und Schönheit. Baba hatte nur schlicht Seine bedingungslose Liebe und Menschlichkeit verströmt, das getan, was Er uns jeden Tag vierundzwanzig Stunden vormachte …

      Damals stellte sich mir schon eine der Rätselfragen, die ich auch heute nicht vollständig beantworten kann: Warum konnte diese göttliche Liebe nicht einfach von uns Menschen nachgeahmt werden? Im Gegenteil, mir schien, je länger jemand bei Baba war, umso mehr schien er für sich das Recht zu beanspruchen, unfreundlich, ungeduldig und arrogant zu sein. Dabei war gerade diese »Normalität« anfangs ein Kriterium, dass genau dieser Platz für mich richtig war, weil mir hier »alles« möglich schien und niemand sich einbilden konnte, schon als Heiliger oder »Erleuchteter« durch die Luft zu schweben. Ich hatte einige Male miterlebt, wie Baba jede Scheinheiligkeit zu vereiteln wusste. Und vielleicht war der Weg mit Balasai Baba nicht der »direkte« Weg zur Seligkeit – was immer das war –, sondern ein Weg, auf dem wir mit den Abgründen unseres Menschseins konfrontiert wurden, um »zuerst Menschlichkeit, dann Göttlichkeit zu entwickeln«, wie Baba es einmal ausdrückte. Solche Gedanken ließen mich die »Permanenten« in günstigerem Licht sehen. Außerdem – hatte ich nicht längst selbst schon Hinweise bekommen? Ich erinnerte die violette Jammun-Kirsche am ersten Tag meines »Permanentendaseins«, sie schmeckte zwar saftig-frisch, aber auch säuerlich-bitter – ein Hinweis auf Bevorstehendes? Dazu passten der Traum von Himmel und Hölle und nicht zuletzt die Friedensrede. Eines war klar, hier im Ashram von Balasai Baba hatte jedes Wort und jedes Ereignis seine Bedeutung, die erkannt werden wollte, nichts geschah »zufällig«.

      Gestern Abend wurde W. aus der Schweiz verabschiedet. Wir sangen: »Junge, komm bald wieder!«, und Baba spielte Mundharmonika dazu, indem Er sich der gesungenen Melodie, die Er kaum kannte, blitzschnell anpasste. Plötzlich wirbelte die Mundharmonika in die rechte Hand und mit unnachahmlichem Gangstergesicht »schoss« Baba aus seiner »Pistole« pfeifende imaginäre Kugeln um unsere Ohren, um genauso schnell wieder unschuldig lächelnd das Lied auf der Mundharmonika zu Ende zu blasen.

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       Indische Osterwoche

      Nach einer längeren Zeit in Hyderabad ist die Rückkehr nach Kurnool in diesen Tagen wegen Bauarbeiten für manche mit einem Schock, vereinzelt sogar mit hysterischen Anfällen verbunden. Besonders der Ashram in Kurnool hat für viele, die regelmäßig seit mehreren Jahren kommen, »Heimatqualität« und jede Veränderung stört den Traum. Diesmal ist der Nostalgie im wahrsten Sinne des Wortes »der Boden entzogen«. Die urwüchsige, für viele offenbar romantische Sand- und Grasdünenlandschaft liegt unter ödem Beton begraben! Von Shiva und seinem Brunnen zeugt nur noch ein plattes rundes Zementareal. Dreiviertel des Platzes sind schon eingeebnet, nur unter dem Tor der Tripura Sundari ist die Arbeiterkolonne noch unermüdlich am Werk. Tag und Nacht arbeitet sie stetig und lautlos. Die Arbeit zwischen Männern und Frauen ist dabei genau aufgeteilt: während die Männer den Beton mischen und verteilen, sind die Frauen die »Zulieferer«, die mit ihren Schüsseln auf dem Kopf den flüssigen Beton zum richtigen Ort bringen. Einziges mechanisches Hilfsmittel ist eine altertümliche Betonmischmaschine.

      Am Mittwoch vor Ostern verändert Baba die nachmittägliche Teezeremonie in eine schweißtreibende Gartenarbeitsrunde: alles schwärmt mit Eimern aus, um Steine zu sammeln, ganze Steinhaufen werden wegbewegt, sprich: über die Mauer geworfen, andere machen sich an den Blumenkästen zu schaffen, in deren trockener und harter Erde kleine Palmen kümmerlich vegetieren, mittendrin steht Baba und schneidet Büsche. Nach einer Stunde ist erst der Anfang gemacht, aber Baba gibt das Zeichen zum Ende der Aktion und lädt alle zu einer erfrischenden Papaya ein.

      Die Fortsetzung folgt am nächsten Tag zur selben Zeit: für jeden eingesammelten Stein scheint ein neuer nachzuwachsen, aber dann gibt Baba die Anweisung, alle großen und kleinen Blumentöpfe – mindestens fünfzig an der Zahl – an die Mauer zu bringen. Manche Besucher sind geschockt: »Die kostbaren Töpfe!« (in Europa wären die Terrakottatöpfe der Stolz jedes Terrassenbesitzers), »Die schönen Blumen!« (in der Tat hatten einige Pflanzen dank exzessiven Gießens die glühende Hitze überstanden), »Doch nicht die Palmen!« (die Palmen fristeten ein armseliges Leben in Erde, die durch Wasser und Hitze zu Stein verbacken waren). Die Blumentöpfe und -kästen waren das Hobby einer Ashrambewohnerin gewesen, die ihrem Traum nicht mehr frönen kann, und wirklich wachsen in einigen Töpfen noch ansehnliche blühende Überreste ihrer Kunst, aber Baba ist gnadenlos, als Er sagt: »Alle über die Mauer werfen!«

      Nach dem Überwinden der sparsamkeitstugendlichen Hemmschwellen scheint die Entsorgung in eine lustvolle Orgie auszuarten, unter anfeuernden Rufen fliegen die Töpfe in hohem Bogen über die Mauer. Die schweren Blumenkästen werden entschlossen zerschlagen und nehmen samt Palmen denselben Weg. Währenddessen spaziert Baba auf der Mauer, sieht begeistert der Aktion zu und ruft: »Y. fliegt über die Mauer!« Damit meint Er nicht die ehrenwerte Ashrambewohnerin, sondern den Teil ihrer Vergangenheit, den die Töpfe symbolisieren: Shiva, der Zerstörer – Raum schaffend für etwas Neues.

      Am nächsten Tag – Karfreitag – startet der dritte und letzte Teil der Gartenaktion – Baba wieder mitten unter den Arbeitenden. Die restlichen Blumenkästen und Pflanzen erleiden dasselbe Schicksal. Immer wieder packt Baba selbst mit an, wirft trockene Palmäste – lang und sperrig – in den Fluss, und als ich die letzten Steine in einen orange-farbigen Eimer werfe, nimmt Baba ihn, wirft selbst einige Steine dazu und gibt ihn mir zurück. Erst geraume Zeit später fällt mir ein, dass mir während der Arbeit ständig die Zeilen durch den Kopf gehen: Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen und sich die goldenen Eimer reichen … Nachdem die letzten Holzstämme zum Dhuni gebracht wurden, winkt Baba zur Runde. Verschwitzt, dreckig und erschöpft vom »Osterputz«, aber in zufriedener, fast euphorischer Stimmung genießen alle den heißen Tee und die Ghee-Sweets, die Uncle, der betagte Bruder von Babas Mutter, serviert. Diese drei Tage waren nur ein Beispiel, wie Baba uns immer wieder in Seine »Schöpfungsarbeit« hineinnimmt: Die Schöpfung kennt keine Tradition, keine Vergangenheit, kein Bewahren, sie ist stetiger Wandel und damit haben wir es schwer. Balasai


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