Der Hochwald. Adalbert Stifter

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Der Hochwald - Adalbert Stifter


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– – – der Mondschein ist dann hold und unsere Melodien weich. – – Kind, es gibt Freuden auf der Welt von einer Überschwenglichkeit, daẞ sie unser Herz zerbrechen könnten – – und Leiden von einer Innigkeit – – – oh, sie sind so innig! –“

      Johanna stand schnell auf, ging zu ihrer Schwester und küẞte sie unsäglich zärtlich auf den Mund, indem sie beide Arme um ihren Hals schlang, und sagte: – „So bist du, ich weiẞ es; dein Herz tut dir weh, liebe Schwester; aber denke, der Vater liebt dich, der Bruder, ich, und gewiẞ alle Menschen, weil du so gut bist wie sonst gar kein Mensch; aber sprich nicht so – singe lieber, singe alles, selbst das von dem König. Ich weiẞ, daẞ du heute schon seit dem Aufstehen daran dachtest.“

      Clarissa küẞte sie zweimal recht innig auf die Kinderlippen, an deren unbewuẞter, schwellender Schönheit sie wie ein Liebender Freude hatte, und sagte dann lächelnd: „Schaffe dir keine Sorgen, liebes Herz, ich werde fleiẞig mit dir arbeiten, daẞ unser Vater Vergnügen an den schönen Blumen habe, die unter deinen Händen erwachsen.“ Sie setzte sich an die entgegengesetzte Seite des Stickrahmens, und während Johanna an den Blumen arbeitete, begnügte sie sich, den Grund auszufüllen. Sie sprachen noch vielerlei, dann schwiegen sie – dann sprachen sie wieder, aber immer blieb als Grundton die Innigkeit zweier herzlieben Geschwister, wobei jedoch die ältere eine Art sanfter Vormundschaft ausübte. Die Kleine hatte etwas auf dem Herzen, so schien es; denn sie holte schon einige Male aus – aber jetzt nahm sie sich einen Anlauf und brachte einen kühnen Wildschützen daher, von dem sie gehört habe, daẞ er die westlichen Wälder zu seiner Wohnung erkoren, die damals ungleich gröẞer waren als jetzt. Es seien von ihm die sonderbarsten Gerüchte im Umlaufe. Sie erzählte, daẞ sie gestern gehört habe, daẞ er mit keiner anderen Kugel als einer geweihten erschossen werden könne und daẞ er in der Nacht mit Männern Unterredungen habe, die gar nicht von Fleisch und Blut sind.

      Clarissa widersprach diesem und meinte, derlei dichte der Aberglaube dazu, wahrscheinlich gebe es gar nicht einmal einen solchen Mann, da sich das Volk nur so gern in schaurigen Berichten gefalle.

      „Wohl, wohl gibt es einen solchen“, fiel Johanna eifrig ein.

      „Und wenn auch“, antwortete Clarissa, „so ist er gewiẞ nicht das, wofür man ihn hält.“

      „Oh, vielleicht ist er etwas noch viel Ärgeres. Weiẞt du von jenem unglücklichen Müller in Spitzenberg? Den hat er erschossen.“

      „Rede doch nicht so freventlich nach, was nicht erwiesen ist. Jener Müller lieẞ sich zu Kundschaft in dem schwedischen Heere gebrauchen, deshalb ist er erschossen worden.“

      „Ja, so hat man vermutet, aber niemand kann es erweisen – und daẞ ich es dir nur gestehe: ich habe gestern abend zugehört, als der Jägerbursche, der dem Vater den Brief vom Ritter brachte, in der Gesindestube von diesem Mann erzählte. Er ist groẞ und stark wie ein Baum, trägt einen wilden Bart und geht Tagereisen weit mit seiner langen Flinte durch die Wälder. Von den Menschen, die hier im flachen Lande wohnen, haben ihn noch wenige gesehen, aber der Jägerbursche sah ihn schon so nahe wie ich dich – und er und kein anderer hat den Mord verübt. Man fand den Müller im Parkfriedergehölze beim Müttergottesbild, wo sich die Wege teilen, und keine einzige Wunde an seinem Leibe als das Loch der kleinen Kugel durch die Schläfe, und kein Mensch, als nur dieser Wildschütze, gebraucht so kleine Kugeln. Dann sagte er noch etwas, das aber zu gottlos ist, als daẞ es wahr sein könnte.“

      „Nun?“

      „Daẞ dieser Mann sein Gewehr nur losschieẞen dürfe, und er treffe doch immer den, den er sich denke.“

      „Wie magst du nur solchen Reden zuhören“, sagte Clarissa sehr ernst, „das ist blinder, leerer Frevel. Wie könnte denn Gott, der allmächtige Herr des Weltalls, solche bösen Wunder zulassen, wenn er wollte, daẞ wir noch fürder seinen Einrichtungen trauen sollten, wie es ja doch unsere Pflicht und unsere Freude ist.“

      „Ich habe es ja auch nicht geglaubt“, sagte Johanna treuherzig; „aber da ich zuhörte und sah, wie unsere Mägde fast erbleichten, so schauderte es mich auch, und trotzdem daẞ ich gehen wollte, horchte ich doch wieder auf seine Worte hin. Er hat alles so lebendig beschrieben, auch die Wälder alle dort oben, unermeẞlich und undurchdringlich, so daẞ unsere nur Gärten dagegen sind. Ein schöner schwarzer Zaubersee soll in ihrer Mitte ruhen und wunderbare Felsen und wunderbare Bäume um ihn stehen und ein Hochwald ringsherum sein, in dem seit der Schöpfung noch keine Axt erklungen. Der Jäger sagte, daẞ er wohl bisher noch nicht so tief hineingedrungen sei, um zu dem Wasser zu gelangen, aber nächstens würde er es tun, und da trägt er auch einen geweihten silbernen Knopf bei sich, um den Wildschützen und Mörder niederzuschieẞen, sobald er seiner ansichtig wird, denn gegen Blei ist er fest.“

      „Warum tat er es denn nicht schon“, fragte Clarissa, „da er ihn, wie du sagtest, schon öfters sah? – Siehst du, du bist ein argloses Närrchen, und der Bursche ist ein prahlender Schalk, der euch gern schaudern machte, daẞ er als desto gröẞerer Held erscheine. An deiner Stelle hätte ich gar nicht zugehört. Jener Mann ist wohl nur ein harmloser Schütze – oder es existiert ganz und gar kein solcher; denn alle, die je in jene Waldländer gerieten, fanden eine schöne Wildnis voll gesunder Blumen, Kräuter und herrlicher Bäume, die Wohnung unzähliger Vögel und Tiere, aber nicht das mindeste Verdächtige.“

      „Aber in den Glöckelbergen schwemmte der Bach erst neulich die Knochen eines Eberkopfes aus, in denen die kleine Kugel steckte.“

      „Nun laẞ gehen“, sagte Clarissa lächelnd; – „über dem Gewimmel deiner Wälder, Seen und Knochen und Jäger hat dir diese Rose ein häẞlich Eck bekommen.“

      Johanna, eben in dem Alter des gröẞten Wucherns der Räuber- und Zauberphantasien, wollte nicht so leicht ablassen, jedoch Clarissa lieẞ sich nicht mehr hinlenken, und so kam das Gespräch auf die Stickerei, da Johanna die angegriffene Rose verteidigte, und wurde mit jener Folgerichtigkeit fortgeführt, die sie jetzt auf Tanz und Sterbefälle bringt, jetzt auf Kriegsrüstungen, Lavendel, Eingesottenes und Kometen. Wie des Blutes Welle aus dem Herzen hüpfet, springt das leichte Gedankengeschwader mit, die Kinderzunge plaudert sie heraus, das runde Auge schaut uns groẞ und freundlich an – und unser Herz muẞ sie mehr lieben als alle Weisheit der Weisen. So über alle Maẞen kostbar ist das reine Werk des Schöpfers, die Menschenseele, daẞ sie, noch unbefleckt und ahnungslos des Argen, das es umschwebt, uns unsäglich heiliger ist als jede mit gröẞter Kraft sich abgezwungene Besserung; denn nimmermehr tilgt ein solcher aus seinem Antlitz unsern Schmerz über die einstige Zerstörung – und die Kraft, die er anwendet, sein Böses zu besiegen, zeigt uns fast drohend, wie gern er es beginge; wir bewundern ihn, aber mit der natürlichen Liebe quillt das Herz nur dem entgegen, in dem kein Arges existiert. Daher sagte vor zweitausend Jahren jener Eine: „Wehe dem, der eines dieser Kleinen ärgert!“ Und wenn wir so die zwei schönen Angesichte gegenübersehen, ihre Worte hören, jedes ein durchsichtiger Demant, gefaẞt in das Silberklar der Blicke, so deucht uns das einfache Gemach, obgleich umlegt mit Geräten täglichen Gebrauchs, dennoch geweiht und rein wie eine Kirche.

      Die Sonne hatte sich allbereits über den Wald geschwungen, der Vormittag glänzte und funkelte über den schweigenden Wipfeln, Und ein lichter Sonnenstreifen begann sich gemach über die Stickerei zu legen – siehe, da pochte es drauẞen ehrbar leise an der Tür, Einlaẞ heischend. Johanna sprang auf und öffnete eilig den noch vorgeschobenen Riegel. Es trat sofort ein Mann herein, freundlich Willkommen bringend – der Vater der Mädchen, der in ihr Morgengemach so bescheiden und ehrfürchtig eintrat wie ein Fremder. Er war damals schon hoch in den Jahren, aber ein wunderschöner Greis, eine Gestalt, als träte sie aus einem Rahmen van Dycks – in schwarzen Sammet gekleidet, hoch und stattlich, weiẞen Haupthaares und eines Bartes, der glänzend auf die schöne, breite Greisenbrust herniederwallte – ein Auge, stark gewölbt und sprechend, unter einer felsigen, gefurchten Stirn –, so hob sich die Erscheinung fast in jene Zeit der Seher und Propheten hinüber, eine Ruine gewaltiger Männerkraft und Männergröẞe, eine Ruine, jetzt nur noch beschienen von der milden Abendsonne der Güte, wie ein stummer Nachsommer nach schweren, lärmenden Gewittern – wie der müde Vollmond auf den Garben des


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