Descartes. Eine Einführung. Hans Poser

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Descartes. Eine Einführung - Hans Poser


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analysiert die Sprache, fragt im Anschluss nach den zusammengesetzten Begriffen und sucht schließlich diejenigen Begriffe auf, die einfach sind. ›Einfach‹ heißt dabei für ihn ein Begriff, der unmittelbar einem [12]Wahrnehmungsgegebenen auf solche Weise zugeordnet ist, dass eine Auflösung begrifflich nicht möglich ist, weil sie in der Wahrnehmung nicht möglich ist. Beispiele hierfür wären ›rot‹, ›hart‹, ›Erdbeergeschmack‹. Sinnvoll, wird dort argumentiert, ist ein Begriff nur dann, wenn er entweder einfach in diesem Sinne oder aber nach bestimmten Assoziationsregeln aus diesen einfachen Begriffen zusammengesetzt ist.

      Ganz anders dagegen der Rationalist: Auch er sucht einfache, nämlich unzerlegbare Begriffe; aber sein Kriterium lautet, dass diese in ihrem Inhalt durch sich selbst erkannt werden müssen. Solche einfachsten Begriffe sind deshalb gerade nicht auf Wahrnehmungen bezogen; vielmehr bleibt das Denken gewissermaßen bei sich, es muss sein eigener Garant sein. Diese Begriffe beziehen sich also nur auf das Denken und sind insofern das Allgemeinste, das überhaupt gedacht werden kann; es handelt sich mithin um das, was seit Aristoteles als »Kategorien«, als Grundbegriffe unseres Denkens bezeichnet wird, wie beispielsweise »Substanz«, »Essenz«, »Existenz«, »Möglichkeit«, »Notwendigkeit«. Eine bloße Möglichkeit beispielsweise ist in der Wirklichkeit nirgends empirisch auffindbar, denn dort ist alles wirklich und nicht (bloß) möglich; wir müssen den Begriff der Möglichkeit also aus unserem Denken selbst schöpfen!

      An diesen Ansätzen wird deutlich, wo die Wurzeln beider Denkrichtungen liegen. Während der Empirist die Grundbegriffe des Rationalismus nur als Abstrakta zulassen möchte, die durch Verallgemeinerung gewonnen und deshalb nur nomina – Namen – sind, wird der Rationalist in seinen Grundbegriffen etwas sehen, dem eine [13]eigenständige Seinsweise als Begriff, als Idee zukommt: Sie sind in diesem Sinne real, eine res. So schließen sich die Empiristen einer nominalistischen Tradition an (und das bis heute), während die Rationalisten in der Nachfolge des platonischen Begriffsrealismus stehen.

      Aus diesen verschiedenen Ansatzpunkten ergeben sich zwangsläufig zwei unterschiedliche Methoden für den Aufbau der Erkenntnis:

      Wenn der Empirist vom Erfahrungsgegebenen ausgeht, also von der individuellen, singulären Wahrnehmung, dann muss er zu allgemeinen Aussagen induktiv fortschreiten. Seine Methode wird deshalb vor allem in der Induktion bestehen, wie Bacon sie beschrieben hat und wie Hume den methodischen Weg der Erkenntnis als Weg vom Besonderen zum Allgemeinen kennzeichnete.

      Ganz anders dagegen der Rationalist: Er geht gerade nicht vom Singulären und Individuellen aus, sondern von dem, was jedem Vernünftigen kraft seines Verstandes unmittelbar und zweifelsfrei einleuchtet. Dies kann nur etwas Allgemeines sein, aus dem alles andere vermöge der Ableitung, der Deduktion, sei es in Gestalt der Logik, sei es in mathematischen Ableitungen, gewonnen werden muss. So nehmen mathematische und logische Untersuchungen bei den Rationalisten einen ungleich größeren Raum ein als bei den Empiristen. Und wenn Immanuel Kant (1724–1804) später sagen wird, etwas sei nur so weit eine Wissenschaft, als Mathematik darin enthalten sei, so steht er damit in dieser Tradition des Rationalismus.

      Schließlich gilt es, einen weiteren Punkt festzuhalten, der sich nicht so unmittelbar methodisch umsetzt, der aber dennoch auf Schritt und Tritt spürbar wird: Die [14]Empiristen halten an ihrer skeptischen Grundhaltung auch nach dem Rückgang auf die Wahrnehmungsgegebenheiten fest und setzen in dieser Einstellung an zu einer Kritik am Seele-Begriff und der Unsterblichkeit der Seele, am Substanzbegriff und damit an Gott als oberster Substanz, an der Sprache und damit an der Vorurteilsbeladenheit allen Denkens. Demgegenüber bedeutet der methodische Zweifel der Rationalisten nur ein Bemühen um eine sichere Grundlegung, von der aus der Neuaufbau erfolgen soll, und dies nicht mit dem Ziel einer Kritik, sondern in der Absicht, die Welt bis hin zu Gott als begreifbar nachzuweisen: Menschliches Denken, menschliche Erkenntnis ist nicht in enge Grenzen eingeschlossen, denn die Welt in ihrer Gesetzmäßigkeit, die Ethik in ihrer Vernünftigkeit, die Existenz Gottes schließlich sind erfassbar, Kausalität und Finalität der Welt erscheinen durchschaubar.

      Der Erfolg der Naturwissenschaften ist auf dem Hintergrund dieses rationalistischen Paradigmas zu sehen. Sie stellen den vernünftigen Zugriff auf die Welt dar, den der Rationalismus als grundsätzlich möglich nachzuweisen trachtet. Der Vernunftoptimismus – der im Übrigen zusammen mit der skeptisch-ideologiekritischen Komponente des Empirismus im 18. Jahrhundert die Aufklärung hervorbringen sollte –, dieser Optimismus findet seine systematische Eingrenzung erst in Kants Kritik der reinen Vernunft als Kritik der Vernunft an sich selbst. Das ist der Grund, weshalb man wohl noch die Wolff’sche Schule, also die Philosophie des Aufklärers Christian Wolff und seiner Schüler, nicht aber Kant dem Rationalismus zurechnet. Dennoch – bewundernswert bleibt die denkerische Kraft, [15]die, auf sich selbst gestellt, jene philosophischen Systeme hervorbrachte, in denen die Philosophie nicht mehr die Magd der Theologie ist, sondern in denen der Mensch, durch die kopernikanische Theorie zu einem Zufallsprodukt am Rande des Universums erniedrigt, sich selbst zum erkennenden Zentrum dieser Welt erhebt und sie erkennend als einen Kosmos erweist. So kann Hegel (1770–1831) Descartes als den »wahrhaften Anfänger der modernen Philosophie«1 preisen, der – nach mehr als einem Jahrtausend der Abhängigkeit – die Philosophie zu ihrem ureigensten Gegenstand zurückführe, nämlich zum Prinzip des Denkens und zur Reflexion auf eine Welt, in der alles reguliert ist durch das Denken.

      Fassen wir kurz die Bestimmungsstücke zusammen, die soeben für den Rationalismus herausgearbeitet wurden: Sein Ziel ist die begründete Erkenntnis durch Ratio und der Erweis der Erkennbarkeit der Welt. Seine Methode besteht im Zweifel an Autoritäten, Überlieferungen und Wahrnehmungen, in einer Analyse der Denkinhalte, ausgerichtet auf eine Freilegung der einfachsten Begriffe und allgemeinsten Prinzipien, um hierauf gesichertes Wissen bauen zu können: Die Axiomatik in Gestalt der Regeln für die Art des Vorgehens wird so nach dem Vorbild der Geometrie Euklids (um 300 v. Chr.) zum einenden Methodenideal. Mit der großen Bedeutung, die im Rationalismus dieser Methode zukommt, wird nicht nur die theoretische Grundlage für Galileo Galileis (1564–1642) These nachgetragen, das Buch der Natur sei in mathematischen Zeichen [16]geschrieben, sondern auch das Fundament für jenen Optimismus gelegt, der in der Vernunft das menschliche Mittel der Naturbeherrschung und späterhin auch der Geschichtssteuerung sehen wird.

      Diese Kennzeichnung macht deutlich, dass der Rationalismus eine erkenntnistheoretische, nicht eine ontologische Position bezieht, fragt er doch primär nach der Erkenntnisbegründung unter dem Vorrang, dem Primat der Vernunft, während die Frage nach der Seinsweise der Erkenntnisgegenstände zurücktritt und höchst unterschiedlich beantwortet wird. So ist die vielfach zu findende Behauptung unzutreffend, der Rationalismus müsse dem Idealismus, der Empirismus dem Realismus zugerechnet werden. Für den Empiristen gilt zwar, dass Hobbes etwa Materialist, nämlich Atomist war (es gibt kleinste Teilchen, die als solche nicht mehr teilbar sind); doch nach einer Übergangsphase bei Locke sind Berkeley und Hume Sensualisten, also subjektive Idealisten. Dagegen ist Descartes Dualist – es gibt für ihn sowohl das Denken als auch die Materie –, ebenso Malebranche, während Spinoza Monist ist und Denken und Materie als zwei Aspekte ein und desselben ansieht. Erst Leibniz ist Idealist in einer spezifischen Vereinigung von Elementen des objektiven und des subjektiven Idealismus; Christian Wolff hingegen kehrt zum dualistischen Standpunkt Descartes’ zurück, wie später auch Kant – wenngleich auf andere Weise.

      Gerade dieser Wechsel der Positionen bezeichnet aber bereits Probleme, die sich dem Rationalismus stellen und die sich angesichts der genannten Ziele zum Leitfaden wählen lassen. Dazu zählen

       [17]das Verhältnis von Erfahrung und Vernunft,

       das damit zusammenhängende Verhältnis von Körper und Geist (Leib und Seele),

       das Problem des Verhältnisses von Vernunft und Leidenschaft (Affekt) sowie

       das Problem der Freiheit und der Begründung der Ethik.

      Ein weiteres Problem tritt hinzu: Wenn diese Welt erkennbar ist, wenn auch die Grundaussagen der Ethik aus der Vernunft gewonnen werden können, so stellt sich dem Rationalismus die brennende Frage, wie das erkennbar Schlechte in der Welt mit der Güte Gottes vereinbar ist – das sogenannte Theodizeeproblem. Man wird das Problem deshalb zu denjenigen Fragen zählen müssen,


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