Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel


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viele geweihte Männer sehr beschäftigt ein- und ausgingen, stellte sie mit kleiner, verschüchterter Stimme ihre Frage. Sie erfuhr auch, daß besagte Expedition in drei Wochen von Hamburg nach Südamerika in der Tat abgehen werde. Daß einige jüngere Herren dem Unternehmen angehören sollten, stimmte ebenfalls. Zuletzt aber fand Teta den Mut nicht mehr, jenen riesigen breitbärtigen Pater, welcher ihr Auskunft erteilte, auch noch mit dem Namen ihres Neffen zu belästigen. Sie fand, sie wisse nun genug und verließ die Mauern Sankt Gabriels sehr erleichtert. Darauf beschwor sie den Neffen in einem Brief, um Gottes willen seinen Entschluß aufzugeben, der ihr solche Sorge bereitete. Er antwortete zum erstenmal nicht blumig weitschweifig, sondern knapp und fast grob, wenn ihm verwehrt sei als Missionar zu wirken, so werde er den ganzen geistlichen Krempel hinhauen und zum Journalismus übergehen. Da griff Teta zu einem Mittel, das ein sonderbares Licht auf ihre innersten Zweifel und die heimliche Beurteilung des Neffen wirft. Sie bot ihm das Geld unter der Bedingung an, daß er auf seinen Missionsplan ausdrücklich verzichte. Die Entgegnung war diesmal nicht grob, sondern tief gekränkt: ob sie ihn für einen Erpresser, einen bestechlichen Haderlumpen oder pfäffischen Hanswurst halte? Er nehme sein Amt ernst. Wenn er als Priester nicht das Höchste und Heiligste leisten dürfe, um so besser, dann wolle er sich schon anderswie durchs Leben schlagen, und er freue sich sogar darauf. Die entscheidende Stunde seiner Existenz sei gekommen. Tantchen möge ihr Geld behalten.

      Es war in diesem Brief ein drohender Ton. Sollte der Lebensplan nicht in Brüche gehen, so mußte Teta sich ergeben. Sie spürte genau, daß die feurige und schwärmerische Seele Mojmirs nicht mit sich spaßen lasse. Diese war zweifellos zu allem imstande. Tetas Ersparnisse hatten sich im Laufe der Zeit wieder etwas erholt. Sie sandte also das Geld. Im Spätherbst erhielt sie eine Ansichtskarte aus Hamburg. Vor der Laufbrücke eines Überseedampfers standen mehrere pelzvermummte Männer, den Kragen hochgeschlagen. Einer dieser Männer war mit einem Kreuzchen bezeichnet. »Das bin ich«, hatte Mojmirs Hand hinzugeschrieben.

      Die nun folgende Epoche der missionarischen Tätigkeit Mojmir Lineks brachte nicht nur Teta Kummer und Mißhelligkeit aller Art, sondern auch dem Hause Argan. Jetzt geschah es im Gegensatz zu früheren Zeiten nur allzu häufig, daß eine Speise nicht geriet, und daß der Beginn der Mahlzeit sich um halbe Stunden verzögerte. Es gab täglich Krach mit dem übrigen Personal, und insbesondere Herr Bichler beschwerte sich über den schlechten Charakter aller ›Betschwestern und Kerzlweiber‹ – »Fräul’n Teta ist halt wieder nervös«, flüsterte die Hausgemeinschaft. Doris aber, die eine Vorliebe für ironische Formeln schon früh bewies, pflegte mit dem Finger am Munde zu warnen: »Achtung, Glas! Bitte nicht stürzen!« In Wahrheit aber war es weniger der Gedanke an Blasrohr und Giftpfeile, der Teta bekümmerte, als der dumpfe Verdacht, der von ihr großgezogene Fürbitter könne ihr auf Nimmerwiedersehen entgleiten und der ganze, so kostspielige Lebensplan sich in nichts auflösen.

      Da war es nicht nur für sie eine Erlösung, als der Missionar lang vor der gesetzten Frist sich plötzlich wieder meldete, und zwar von Zizkow, einem anderen Prager Bezirk her. Er sei heimgekehrt an Leib und Seele gebrochen, bekannte der Neffe. Von seinem elenden Körper wolle er umgehend mitteilen, daß sich sein altes Darmleiden durch die strengen Anforderungen eines gottgeweihten Lebens in der Wildnis und durch die beständige Konservenkost in eine unheilbare Krankheit verwandelt habe. Es bedürfe vieler Monate, ausgesuchter Diät, teurer Kuren und unerschwinglicher Arzneimittel, wenn er die Hoffnung fassen solle, noch einmal dem Leben wiedergegeben zu werden. Was aber seine seelische Gebrochenheit anbetraf, so schwelgte der Neffe in ausgesprochen Rousseauschen Wendungen. Nicht die im harmlosen Naturzustande vegetierenden Pygmäenstämme Feuerlands hätten in ihm die Flamme des Ideals und den Glauben an die Menschheit erstickt, sondern die weißhäutigen Vertreter der Kultur des Christentums, all diese hochangesehenen Professoren und Doktoren und Politiker und Kaufleute und Wohltäter und Abenteurer und die priesterlichen Amtsbrüder, jawohl auch diese, und zwar in erster Linie. Noch vor seinem vierzigsten Lebensjahre sei er, Mojmir Linek, ein bettelarmes Mitglied des katholischen Klerus, zum alten Manne geworden, glatzköpfig, gelbhäutig und durch die Schlechtigkeit der Welt bis auf den Tod enttäuscht. Tantchen würde ihn an Hand des einstigen, so lebensgetreuen Bildes gewiß nicht wiedererkennen. Wie bitter habe er den blauäugigen Jugendglauben seines Schwärmergeistes büßen müssen! Auch schleppe er jetzt sein linkes Bein infolge eines teuflischen Insektenstiches nach. Seine einzige Wohltäterin auf Erden habe immer und immer wieder recht gehabt, und sein sündiger Ungehorsam sei grausam bestraft worden. Nun werde er nie wieder ungehorsam sein und gegen Tantchen aufbegehren. Während er dieses schreibe, hebe er zwei Finger zum Schwur empor. Er hege keinen andern Wunsch mehr, als nach notdürftiger Wiederherstellung seines zerschlagenen Kadavers in irgendeiner Pfarrgemeinde als armseligster und niedrigster aller Christus-Diener unterzukriechen. Diesbezüglich habe er sich seinen Oberen schon zu Füßen geworfen . . .

      Teta las den Brief des also ruhmlos Heimgekehrten mit Tränen in den Augen. Diese Tränen aber entflossen weniger dem Mitleid als der unsagbaren Erleichterung, ihren geweihten Neffen am Leben zu wissen. (Daß sie aus Feuerland keine Post erhalten hatte, war ihr in Anbetracht der dortigen Einöde ganz selbstverständlich erschienen.) Sie dankte dem Himmel, daß ihr Lebensziel durch Mojmirs überschwenglichen Leichtsinn und sträflichen Mutwillen nicht in die Brüche gegangen war. Nun kannte sie den zweifelhaften und gefahrdrohenden Charakter des Neffen zur Genüge. Sie hatte das Unglück gehabt, keinen besseren Vollstrecker ihrer Absichten zu finden als diesen unruhigen, faulen, haltlosen Burschen, der das Geld verschlang wie ein hohles Faß. Der Sohn eines Trinkers, seufzte sie. Doch dann besah sie schnell die edle Photographie überm Bett, um sich von solchen ungehörig kritischen Anwandlungen zu befreien. Mochte Mojmir sein, wie er wollte, er war ein Geweihter, er war berufen, zu binden und zu lösen, er hielt den Schlüssel des Himmelreiches in der Hand, auch ihres Himmelreiches. Er war gewissermaßen ein schwacher Mensch nur im Nebenamte. Sie mußte ihn mit all seinen Fehlern, Begehrlichkeiten, Abgründen hinnehmen, denn so spät im Leben blieb ihr keine andere Wahl. In seinem Hauptamte war der Neffe noch immer der verklärte junge Priester auf dem kleinen Bilde, der nach ihrem Hinscheiden unzählige hl. Seelenmessen für ihr ewiges Wohlbefinden lesen würde. In Stunden des Zweifels gab ihr die alte Photographie neue Kraft. Stand nicht zu hoffen, daß Mojmir nach den grausamen Erfahrungen seiner Missionsreise endlich Ruh und Genügen finden werde und ein sicheres Auskommen, wie alle anderen Hochwürdigen sonst? Sein Bildnis sagte auf diese Frage hundertmal ja. Teta nahm ihren während der Abwesenheit des phantasievollen Forderers angeschwollenen Sparschatz aus dem Koffer, zählte eine größere Summe ab und schickte diese mit dem ausdrücklichen Vermerk nach Prag, sie allein der vorgeschriebenen Kur und den notwendigen Medikamenten zu widmen. Der geistliche Neffe mußte gesund sein und stark und langlebig, das war die Hauptsache. Nicht aber anfreunden konnte sich Teta mit der Vorstellung eines gelbgesichtigen Glatzkopfes und Hinkebeins in Stola und Dalmatika. Sie verbannte daher diese realistische Vorstellung willenskräftig aus ihrem Bewußtsein.

      Mit den Geldsendungen Tetas wars eine eigene Sache. Wie Sparwut und Habgier so hatte sich auch diese Gewohnheit tief in die Seele der alten Jungfrau eingebürgert. Wenn sie auch vor sich selbst über die ewigen Notrufe des Unersättlichen stöhnte und fluchte, die ständige Obsorge für einen jungen Mann, der Weg aufs Postamt, das Einschreiben der Geldbriefe, das Sammeln der Empfangsbestätigungen, all das war durch jahrzehntelange Wiederholung zu einem inneren Bedürfnis geworden, das die leeren Räume des Gefühls angenehm ausfüllte. Der Kooperator Mojmir Linek durfte sich also auf seinen weiteren Irrwegen einer ziemlich sicheren Sustentation erfreuen. Diese Irrwege aber waren zahlreich, denn der Neffe, anders als die Tante, sah sich veranlaßt, fast jedes halbe Jahr seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Teta aber schämte sich seiner in dieser Periode. Sie ging mit Mojmirs Briefen nicht mehr zu Livia Argan, wie sie es in früheren Jahren dann und wann der Deutung schwieriger Stellen wegen getan hatte.

      Es mußte erst der gegenwärtige Sommer des Jahres 1936 herannahen, in welchem Teta einen so wichtigen Brief in der bekannten Rund- und Schönschrift erhielt, daß sie mit diesem nicht ohne leisen Triumph vor ihre Herrin trat. Es war nicht nur ein unerwarteter, sondern ein ausnehmend herzensschöner Brief, der den gewiegten Kalligraphen von einer neuen Seite zeigte. Er lautete folgendermaßen:

      »Eine erfreuliche Nachricht diesmal, teures Tantchen und eine angenehme Überraschung für Sie, wie ich hoffe. Unsre Gebete sind erhört worden. Es ist mir gelungen, mich meiner bisherigen Diözese zu


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