Belladonna. Rudolf Stratz

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Belladonna - Rudolf Stratz


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zu Gesichte bekommen. Er blieb auf der Kommandobrücke, bis sein Schiff sich weit genug von der gefährlichen Küste entfernt hatte. Die Unterhaltung wurde stockend geführt, zumeist in schlechtem Französisch, — ad und zu ein paar russische Brocken dazwischen. Sie drehte sich, wie immer auf See, um das Wetter. Jeder wollte schon schrecklichere Stürme erlebt haben als sein Nachbar, und in die erregten Schilderungen klang das Glucksen und Gurgeln der Wogen an den Schiffswänden, und aus den in den Speisesaal mündenden, fest verschlossenen Kabinen das Stöhnen der Seekranken. Es herrschte eine recht muffige Luft in dem engen Raum, es roch nach Maschinenfett und Petroleum und mancherlei anderem; der Tisch schaukelte auf und nieder, es war kein Vergnügen, an ihm zu speisen. Mag man bei solcher Gelegenheit den gefüllten Suppenlöffel noch so fest auf den Mund richten, man stösst ihn sich doch an die Nase; man giesst sich den Rotwein im vollsten Sinne des Wortes hinter die Binde, so dass die Purpurflut die Hemdbrust tränkt, man rennt sich die Gabel in die Wange, während einen der Steward von oben mit Bratensauce salbt; — kurz, ich gab das Speisen auf, setzte mich in eine Ecke und hörte dem Gespräche der übrigen Passagiere zu.

      Das Seethema war erschöpft, man behandelte jetzt das Ereignis des Tages, die Ermordung des Gouverneurs von Odessa. Zwei junge Männer hatten ihn auf der Promenade hinterrücks erschossen, waren ergriffen und aufgehängt worden.

      Nihilisten natürlich! — Nur leise sprach man das geheimnisvolle Schreckenswort aus. Es war, als ob keiner dem andern traute, als ob ein verkappter Spion mitten unter der Gesellschaft sässe.

      „Und woher wissen Sie, dass kein Nihilist hier im Salon ist?“ erwiderte, auf die von mir gemachte Bemerkung mich forschend anblickend und in greulichem Französisch einer der griechischen Kaufleute. Das schien einem anderen denn doch eine zu gewagte Ansicht; begütigend setzte er hinzu: „Oder dass wenigstens kein Nihilist sich an Bord des Schiffes befindet.“

      „Wenn das der Kapitän hört ...“ sagte schüchtern irgend jemand.

      „Der Kapitän? — Was geht es den Kapitän an! Ist der Pass des Reisenden in Ordnung, so hat er weiter nichts zu, fragen! Und gefälschte Pässe ...“

      „... Kauft man in Moskau zu zehn Rubel das Stück,“ ergänzte eine tiefe Bassstimme.

      „Sie können gar nicht wissen, Väterchen,“ wandte sich ein dicker, bleicher Russe zu mir, „wer hier alles in den Kabinen steckt. Sie sind von innen verschlossen. Niemand bekommt den Passagier zu Gesicht —.“

      „Je nun,“ meinte ich, „einmal werden sie schon herauskommen.“

      „Und wenn? Was dann? — Glauben Sie, diese Menschen sehen anders aus als wir? Es sind sogar meist kleine, schwächliche Leute, — Frauen in Menge, — allerhand Volk.“

      „Sehr hübsche Frauen sogar!“ schmunzelte ein bräunlicher, Levantiner, „denken Sie an die Perowskaja, Väterchen.“

      „An Wera Sássulitsch!“ rief ein anderer.

      „An Jesse Helfmann!“ ergänzte eine dritte Stimme. „Nun also,“ meinte der bleiche Russe wieder, „hier auf dem Schiffe sind auch Frauen. Diese Dame zum Beispiel, mit der Sie vorhin sprachen. — Kennen Sie sie näher?“

      „Erst seit gestern.“

      „Ich will nichts gegen sie sagen ... aber belieben Sie sich selbst zu erwägen ... eine junge Frau, die allein durch die Welt reist ... Gott weiss, zu welchem Zweck —“

      „Sie begleitete ihren Mann, der nach Palästina weiter pilgert,“ erwiderte ich gereizt. „Er fuhr gestern ab.“

      „Gestern?“ mischte sich einer der andern Russen ein, ein kleiner Herr, der bis dahin schweigend zugehört hatte, „sagte sie selbst Ihnen das?“

      „Ja! Mit einem Dampfer der ‚Messageries Maritimes‘.“

      „Dann melden Sie doch der Dame,“ sagte der Kleine etwas spöttisch, „dass die Messageries Maritimes seit vierzehn Tagen, der drohenden Cholera wegen, Jaffa nicht mehr anlaufen.“

      Das war ein harter Schlag. Aber die anderen bestätigten die Tatsache. — Ich stand auf und ging hinaus. Auf Deck strömte der Regen. So musste ich meine Koje aufsuchen.

      Das Ungemütlichste an solch einer Schiffskabine ist der Umstand, dass man sie zumeist mit mindestens noch einem Reisenden teilen muss. Und jedesmal gewinnt man hierbei von neuem den Eindruck, dass das Schicksal gerade den widerwärtigsten Kerl unter der Sonne zu diesem Zweck ausgesucht hat: einen Menschen, der alle seine Sachen planlos in dem engen Raume zerstreut, der, wenn er sich in dem gemeinschaftlichen Becken die Hände wäscht, das Wasser nicht wegschüttet und mit dem Handtuche seine Stiefel säubert, der stets bei Tage in die Koje hereinpoltert, sobald man durch ein Schläfchen die Langeweile töten will, und der bei Nacht sich betrunken auf das Bett wirft, um sofort ein Schnarchkonzert zu beginnen.

      Diesmal war mein Kajüten-Kamerad seekrank ... sehr seekrank. Ich verliere kein Wort weiter darüber. Wer das nicht mitgemacht hat, begreift ja doch nicht, dass der sanftmütigste Mensch in solch einer Nacht Mordgedanken verspürt.

      Ich lag also wach und dachte an Olga Féodorowna. Bisher hatte ich mir noch immer selbst eingeredet, dass ich nicht ein wärmeres Interesse für sie hege und nur aus Wissbegier nach Odessa fahre. Jetzt, angesichts der Trauerkunde aus Jaffa, hielt diese Vorstellung nicht mehr stand. Um so grausamer war dafür der Zweifel. Wer ist Olga Féodorowna, und warum belügt sie mich? — Warum besteht sie darauf, dass ich sie begleite? — Sie gehört der guten Gesellschaft an, das zeigen ihre Umgangsformen, ihre Sprachkenntnisse, ihre einfach gewählte Toilette. — Und doch reist sie allein, Zigaretten rauchend und abenteuernd, über das Meer. Eine Nihilistin, — sieht so eine Nihilistin aus? — Unsinn! — Aber freilich, ich habe noch keine gesehen. Und so grübelte ich hin und her, und langsam dämmerte mir endlich die Erkenntnis. Irgendeine vornehme Russin, die aus irgendwelcher Laune sich in dies Abenteuer gestürzt hat und meine Begleitung auf der langweiligen Seefahrt wünscht, weil, — ja weil, — ja wer mir das Rätsel hätte lösen können!

      Am nächsten Morgen ging die See ziemlich ruhig. Ein plötzliches Nachlassen in dem regelmässigen Stampfen der Maschine hatte mich geweckt. Wir dampften nur noch mit halber Kraft, als ich auf Deck stieg. Ein fliegender Nebel, eine der bekannten Tücken des Schwarzen Meeres, hielt uns zurück. Es war ein merkwürdiger Anblick. Rings um uns wogten die grauen Schwaden, sie zogen in Ballen über das Verdeck, sie hingen in rieselnden Fetzen an Masten und Rahen und schwebten als ein feiner Dunst über der fahlgrauen, plätschernden See, in welche die ‚Rossija‘ mit ermüdender Unparteilichkeit bald ihre rechte, bald ihre linke Seite vergrub. Man konnte kaum über das halbe Verdeck hinsehen. Ein arger Lärm herrschte an Bord des fast völlig stilliegenden Dampfers. Denn bei solchem Wetter ist die Begegnung mit anderen Schiffen sehr gefährlich, und um sie zu warnen, dröhnte alle Augenblicke mark- und beinerschütternd das Heulen des Nebelhorns.

      Dem Lärme zu entgehen, trat ich ein paar Schritte weiter und sah zu meinem Erstaunen Olga Féodorowna, in einen grauen Mantel gehüllt, im Sterne des Schiffes stehen. Sie sah blass und leidend aus. Offenbar hatte sie nur die langsamere Bewegung des Dampfers dazu veranlasst, einen Augenblick heraufzukommen und frische Luft zu schöpfen. Ich wollte auf sie zugehen. Da sah ich ein merkwürdiges Bild. Der erste Steuermann, ein Balte, stand plötzlich, aus einer Luke auftauchend, an Deck, dicht vor Olga. Bei ihrem Anblicke trat er unwillkürlich einen Schritt zurück und sah sie mit finsterem Unwillen an.

      „Sie hier?“ sagte er endlich kurz.

      Olga antwortete etwas Russisches.

      „Sprechen wir deutsch, dass uns die Kerle nicht verstehen,“ unterbrach sie der Steuermann, unwirsch auf ein paar Matrosen in der Nähe zeigend, „wie kommm Sie auf das Schiff?“

      „Seltsame Frage! ... Wie jeder andere Passagier.“

      „Und der Kapitän nahm Sie mit?“

      „Sie können meinen Pass bei ihm sehen.“

      „Ich kann’s nicht ändern,“ brummte der Steuermann, „aber ich warne Sie ...“

      „Vor was denn?“ fragte


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