Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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die Bitte ist mir gewährt worden. Von da ab war ich der Stein des Anstoßes bei meinen Vorgesetzten, gemieden im Konvent, beargwöhnt von den Landesfürsten, verleumdet von meinen geistlichen Brüdern. Aber ich trags mit Freuden.«

      Der Junker hatte sich allmählich zu Spe hinübergebeugt, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können, seine beiden Hände ruhten auf einem Knie des Paters, die eine Schulter hatte er gegen dessen Brust geschmiegt, und so lauschte er, den Kopf emporgewendet, gedankenvollen Blicks. »Ich hab nichts gewußt von den Menschen«, sagte er, »Ihr lehrts mich erst.« – »Wenn du die Lehre aufnimmst, Junker, mußt du sie wieder vergessen. Manche leben von den Augen, manche vom Verstand, wenige mit dem Herzen.« – »Ich brauch die Augen, lieber Pater, macht sie mir nicht schlecht.« – »Freilich; mich dünkt, du hast vieles geschaut mit deinen Augen, ich hab nur vieles gesehen.« – »Ich kenn alle Schlupfwinkel im Wald«, sagte der Junker fast stolz. »Und was noch?« fragte Spe. »Ich weiß, wo die Eulen nisten, wo die Rehe zur Tränke gehn.« – »Und was noch?« – »Ich kenn die Sternbilder und weiß, wo das Siebengestirn aufgeht, Sommer und Winter, und der Bär und das Haar der Berenice.« – »Das ist allerlei, Junker, aber es hat, wie du sagst, mit den Menschen nichts zu tun.« Der Junker wurde immer zutraulicher. »Und wenn man bedenkt«, flüsterte er, »was für Schätze in der Erde drin verborgen sind, Gold und Silber und edles Gestein, wenn einer auserwählt ist, sieht ers leuchten in der Nacht. Man kann auch hören, wie der Saft in den Bäumen rinnt, was das Wasser im Brunnen spricht.« – »So bist du also doch ein Zauberer, Junker?« – Der Junker fragte mit zuckenden Lippen: »Ist das Zauberei, Pater?« – »Es könnte Zauberei sein«, erwiderte Spe versonnen, »eine Art jedoch, von der im malleus maleficorum schwerlich was zu lesen ist. Es gibt zauberische Spiele, Kind, und ein verzaubertes Hangen, die den Menschengeist, wenn er sich drin verspinnt, von seiner wahren Aufgabe weglocken. Und jetzt willst du von mir erfahren, was die wahre Aufgabe ist? Aber siehst du, das kann ich dir nicht sagen. Ich darfs mich nicht unterfangen, es zu sagen. Da ist Lehre nur Wind, das Wort eine klingende Schelle. Das muß aus deinem Gefühl entsprießen, verstehst du? Wollte Gott, du verstündest mich recht, sonst hab ich dir nichts gebracht als Irrtum und Beschwernis.«

      Im Gesicht des Junkers ging etwas Ungewöhnliches vor, ein paar Augenblicke lang war es ganz erstarrt, die Lider schlossen sich aufeinander, dann, als sich der Krampf gelockert hatte, flüsterte er: »Ich glaub, ich glaub, ich versteh Euch, Pater. Seit mir in dem Haus da meine Mutter erschienen ist, seitdem ist mir so anders zumut, ich kanns Euch nicht beschreiben, wie. Gelt, Pater, es war doch eine Erscheinung? Sagt es mir: es war doch eine Erscheinung?« Gespannt und angstvoll schaute er Spe ins Gesicht, als fürchte er das Nein nicht minder als das Ja, als wolle er täuschen und getäuscht werden und sich dem Wissen mit aller Kraft der Phantasie entringen. Ohnmächtiges Bemühen. Seine Züge verfurchten sich wie die eines alten Mannes, er legte die gefalteten Hände auf die Schultern Spes und bat: »Ihr müßt mir Botschaft von ihr bringen, Pater, versprecht mir das, eh ich nicht Botschaft hab, ist mir all mein Sinn abwendig gemacht, versprecht mirs, guter Pater.«

      Es war inzwischen dunkel geworden, Spe seufzte tief und wollte die verlangte Zusage geben, da drang unerklärlicher Lärm zu ihnen, ein fernes helles Schwirren und Brausen, das beständig näher kam und gewaltig anschwoll.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Nachricht von der Einkerkerung des Junkers von Ehrenberg war nach Verlauf von drei Tagen im ganzen Bistum und weit darüber hinaus bekannt geworden. Trotzdem der Pater Gropp den ihm unterstellten Geistlichen verboten hatte, etwas davon verlauten zu lassen, wußte man bereits am folgenden Morgen das Geschehene in den entferntesten Teilen der Stadt, und da die Kunde im Schloß nicht geblieben war, konnten ihr auch die Stadtmauern und -tore kein Hindernis entgegensetzen, sie eilte von Dorf zu Dorf, von Weiler zu Weiler, von Bezirk zu Bezirk, von Siedlung zu Siedlung, mainauf-und mainabwärts, nach Norden und nach Süden, und wie durch einen geschwinden und geregelten Botendienst wurde sie nach Frickenhausen und Rinderfeld so gut wie nach Scheinfeld und Ludwigsbad getragen, in die Spessarteinöden wie in die Weinberge bei Kitzingen. Man erzählte sichs in den Schenken, auf den Märkten, in den Schrannen, in den Kirchen, die Fuhrleute auf den Landstraßen teilten es einander im Vorbeifahren mit, die Bauern beim Mähen auf den Wiesen, die Weinheger beim Binden, die Landsknechte an den Lagerfeuern, die Bettler, Zigeuner, Mönche und wandernden Scholaren boten es als Gegengabe für Almosen. Die alten Leute schüttelten kummervoll den Kopf, was konnte an dem edlen Junker Teuflisches gewesen sein, da sie nur von der Freude wußten, die von ihm ausgegangen war. Der Würzburger Magistrat erhielt vom Hauptmann einer Räuberbande im Odenwald einen lateinisch geschriebenen Brief, worin die sofortige Freilassung des Junkers gefordert wurde, andernfalls sollte die Stadt angezündet werden. Das alles war aber nur wie oberes Gekräusel im Vergleich zu der Bewegung in den Gemütern der Jugend, der Kinder. Die Tausende und Tausende in den zahllosen Orten, die ihn gesehen und in wohlbereiteten Stunden seinen Geschichten gelauscht hatten, konnten ihn nicht vergessen, er war mit ihrem ganzen Denken eins, er erschien ihnen wie ein leibhaftiger Feiertag, etwas, wovon man lang vorher und lang nachher spricht und was einen glücklich macht. Der Junker, das Wort hatte in manchem Mund einen Ton von Zärtlichkeit, den vielleicht das übrige Leben nie wieder aufklingen ließ, den Ausdruck einer Erwartung, der sich eben nur dies eine Mal und bei dem einen Menschen erfüllte. Warum hätten sie dem schönen Traum nicht dankbar sein sollen, den er in ihr Herz gepflanzt hatte wie eine zauberische Blume in ein sandiges Stück Erdreich, warum hätten sie ihn nicht herbeiwünschen sollen, da er sie lehrte, das Wunderbare zu benennen und das Trübselige zu vergessen? Als es ruchbar wurde, der geliebt Ersehnte schmachte in Ketten in der Münze zu Würzburg, flutete zunächst ein schauriger Schrecken durch die jungen Seelen, wie wenn es plötzlich am hellen Mittag Nacht geworden, mitten im Sommer der Mainstrom gefroren wäre. Aber noch war kein Wille da, kein aufwallender Geist, trotzdem sich da und dort die Betroffenen zusammenrotteten und die Ältesten scheu einander fragten, was zu tun sei, denn nichts zu unternehmen und still sich fügen, dünkte ihnen unerträglich. Der Anstoß zum Handeln kam jedoch bald und riß sie unwiderstehlich mit.

      Der Bruder Felician hatte gegen die Präzeptoren der Alumnen geplaudert, Peter Mayer hatte das Gespräch belauscht. Während seine Kameraden in mutloser Bestürzung verharrten, war er gleich von Anfang an zu tätigem Eingreifen entschlossen, und da er sich ohnedies im Alumnat unglücklich fühlte, benutzte er einen unbewachten Augenblick, um zu fliehen. Bei der Heiligengeistkirche traf er den Silberhans und teilte ihm aufgeregt seine Wissenschaft mit. Der Silberhans, der nur auf eine Gelegenheit paßte, seinem müßigen Herumstrolchen ein Ende zu machen, wußte den Studiosus Barger und den Rotgerber Batsch in der Stadt, und während er mit denen seine Verabredungen traf und gemeinsam mit ihnen für die Ausbreitung der Kunde sorgte, entwischte Peter Mayer aus dem Heidingsfelder Tor und versammelte seine Freunde in den Dörfern der Kitzinger Gegend um sich. Sechzehn Stunden lang war er unterwegs. Die Flamme, einmal gelegt, lief hurtig weiter. Die Kinder des einen Dorfes verständigten sich mit denen des andern, von einer kleinen Stadt zur nächsten wurden Beschlüsse gemeldet, am Donnerstag vor Peter und Paul stand es bereits fest, der Junker müsse befreit werden. Wir wollen den Junker wieder haben, hieß es, wollen ihn aus dem Kerker holen, das Wie und Wann wurde einstweilen nicht erörtert, doch brachten Zuläufer aus Würzburg in Zwischenräumen von Stunden geheime Befehle, die auf unbegreiflich schnelle Weise durch die ganze Landschaft flogen. Am Freitag und am Samstag begaben sich zahlreiche Scharen vor das Ehrenberger Schloß, standen stundenlang im Hof, schauten an den Mauern hinauf, tuschelten und raunten miteinander, am Abend riefen sie den Namen des Junkers, wie um sich zu überzeugen, daß er nicht da war, wenn sie keine Antwort erhielten. In der Nacht zum Sonntag, wo das Schloß in Flammen stand, kamen sie zu vielen Hunderten, Kinder von Bauern, Holzknechten, Hirten, auch ein Dutzend Gesellen von der Karlstädter und Ochsenfurter Innung hielten Kriegsrat beim Schein der Feuersbrunst, einer, ein gewisser Göbeling, redete laut und feurig, dann zogen sie allesamt auf Würzburg zu, weithin beleuchtet von der brennenden Burg und den ganzen nächtlichen Weg entlang aufrührerische Lieder singend. Niemand wußte, von wo das Gerücht ausgegangen war, aber es war kund geworden, der Junker solle am Freitag Mariae Heimsuchung, zu Mitternacht, vom Leben zum Tod gebracht werden, so wurde der Freitag für den Hauptstreich bestimmt,


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