Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.sondern nur, wenn man ihn hart befragt.« Der Bischof begann zu zittern, gerade das war es, wogegen er sich, in diesem einen Falle, sträubte. Es auszudenken war Grauen, doch wo das Grauen am dichtesten schwelte, lockte eine Lust. Der Pater las in der geschlängelten Falte auf der Stirn des Greises und sah, daß ihn förderte, was er las. »Ihr könnt ihn zärtlicher ans Herz schließen, wenn er Euch in der Pein als seinen wahren Wohltäter erkennt«, sagte er düster und in einer Eingebung, die sein Inneres stärker erhellte als sonst ein Wort aus seinem vorsichtigen Munde; »habt Ihrs nicht oft erfahren: beim Schreien des gemarterten Teufels lobsingt das Blut in unsern Adern wie Engelschöre; Zeuge zu sein von der Qual des Bösen reinigt, und doppelt lieben wir den, der uns in seinem Jammer erkennen läßt, daß wir verblendet waren und daß wir uns seinem geläuterten Leibe zuneigen dürfen.« Der Bischof erblaßte, wenn das Grauwerden seiner schlottrigen Backen so zu nennen war. Ihm war als stehe er in einem Kreis von Trichtern, in jedem einzelnen konnte er, durch die Verengung schauend, die Bilder gewahren, die zu vielen Hundert Malen seinen Geist in schauerliches Entzücken versetzt hatten, nicht allein, weil sie ihm die Gewähr gaben, daß er sich um die Herrlichkeit des Glaubens verdient machte und den Erzfeind an der empfindlichsten Stelle schlug; nicht allein, weil ihn die bebenden Leiber, die Todesseufzer, das zerrissene Fleisch, in Strahlen aufschießende Blut, das erstickte Stammeln und markzerschneidende Schreien unmißverstehlich versicherten, daß ihm ebensoviel dämonische Versuchungen und Bedrohungen erspart blieben, als da arme Sünder und Sünderinnen unter der Faust der Folterknechte winselten; es war auch etwas anderes dabei, Unerforschliches, nachtdunkles Wohlgefühl, das die Brust ausdehnte und zusammenzog, als ob sie das Innere einer von Melodien durchbrausten Orgel wäre. Es konnten zahllose Kammern sein, in die er durch die Trichterlöcher schaute, es war vielleicht nur eine einzige von zahllosen Opfern bevölkerte, aber das unersättliche Auge fiel stets auf den Pater Gropp, der als grauer Schatten durch den Purpurdunst schritt, um zu prüfen, welches Maß von Schmerz ein Mensch ertragen kann, damit er in blutiger Nacktheit sein Geschlecht vergesse und in die ausgebreitete Hand Gottes stürze wie ein vom Sturm verwehtes Sandkorn in eine schützende Mulde.
Der Bischof zauderte und zauderte. Sein Schwanken war Fieber, er faßte den Plan, den Junker entführen zu lassen und sprach mit dem Bruder Felician darüber, eine Stunde später wußte es Gropp und traf Vorkehrungen. In der darauffolgenden Nacht forderte er nachdrücklicher als bisher die Entscheidung. »Hängt Euch nicht an ein Trugbild, Herr Bischof«, warnte er. »Joannes de Rubescissa sagt: der Dämon weiß, wem er die Lüsternheit des Gaumens beibringt und den Antrieb zur Lust, wen er durch Freude verwirrt, durch Trauer verdunkelt, durch Traum verführt. Habt Ihr nicht gelesen, daß zum heiligen Parthenius, der Bischof war wie Ihr, Bischof von Lampsacus, ein Mann von unreinem Geist gebracht wurde, daß der Mann den Heiligen grüßte und der den Gruß nicht erwiderte, weil er mit einem einzigen Blick seines Seelenauges den Dämon in ihm erkannte? Warum gibst du mir nicht die Ehre des Grußes? fragt der Mann; ich habe dich gesehen und erkannt, warum du mich nicht? Der Heilige antwortet: Wenn du mich wirklich gesehen und erkannt hast, so verlasse das Geschöpf Gottes. Der Dämon ruft bestürzt: Willst du mich denn aus meiner Wohnung treiben? Ich bitte dich, gib mir wenigstens eine Frist. Ists nicht schon zu lange, daß du hier deine Wohnung hast? fragt der Heilige. Von Jugend auf, entgegnet der Dämon, und nie hat mich jemand erkannt außer du in diesem Augenblick. So ist es überliefert, Herr Bischof. Auch ich, obwohl ich mich in keinem Stück mit jenem Heiligen vergleichen kann, auch ich habe gesehen und erkannt.« Der Bischof riß erschrocken die Augen auf. »Wie denn? Zu welchem Zeitpunkt denn? Laßt hören, Gropp«, murmelte er verstört. Der Pater näherte sich dem Bischof und sagte, indem er seine sägende Stimme dämpfte: »Seit dem Tag, da ich des Junkers zum ersten Male ansichtig geworden, fühlte mein Geist die Lähmung durch höllische Phantasmagorie. Ist Euch nicht schon selbst die Ahnung gekommen, Herr Bischof, daß er in Wirklichkeit gar nicht existiert?« – »Wie? Nicht existiert? Um Gottes und Christi willen, wie meint Ihr das, Gropp?« lispelte der Bischof und bekreuzigte sich. »Es ist nur Spiegelung, was wir von ihm gewahren«, antwortete der Pater, »phantasmagorisch wie sein Wesen ist auch seine Person. Zwingt ihn, zu erscheinen, und Ihr werdet von der Magie befreit sein, die von ihm ausströmt. Da habt Ihr das Rätsel, da ist seine Deutung.« Der Bischof erhob sich, die Beine trugen ihn kaum. »Demnach wäre es nur ein dämonisches Gespenst, das mir mit dem Schein der Leiblichkeit vor den Sinnen schwirrt?« hauchte er. Der Pater nickte stumm. »Und Ihr meint, daß wir erst sein wahrhaftes Ich aus dem grausigen Schlund heraufholen müssen?« Der Pater nickte. »Im Spiegel drin, da ist er«, fuhr der Bischof fort, schlüpfte mit den Händen in die Ärmel der Soutane und schritt verzweifelt auf und ab, »da spricht er, erzählt er, lacht er, zaubert er, und im Raum ist nichts von ihm da, nicht ein Haar seines Leibes von ihm da?« Der Pater nickte. »Ich habe es erlebt«, sagte er und erhob langsam die Lider, hinter denen die flüssige Schwärze der Augen schillerte, »indem er mich nötigte, seine unwirkliche Existenz für eine wirkliche zu nehmen, war ich selber in Gefahr, meine wirkliche einzubüßen. Ich ging zum ersten Male hin, ich ging zum zweiten Male hin. Ich ging nach Ehrenberg hinaus und sah ihm zu und folgte ihm unbemerkt. Es war als hätte sich alle Wahrheit, deren ich bis zu einem gewissen Grad teilhaftig geworden, in Lüge und Verzerrung gewandelt. Er ist der Lügenschein. Er ist der Widersacher und die Widersach in einem.«
Den Junker Ernst als den Widersacher zu benennen, war aus einer dem Pater Gropp vielleicht unbekannten Tiefe seines Innern gesprochen. Hätte er ihn gebilligt und angenommen, so hätte er sich vertilgt und von der Bahn hinabgestoßen, auf der er mit eiserner Überzeugung wandelte; hätte er ihn nur zu verstehen gesucht, so wäre er schon ein Anderer gewesen, nicht mehr der Hasser des aus sich selbst erblühten Lebens, Verfolger der frei spielenden, schwerlos schwebenden Kreatur. Eben der trat er entgegen, als Bändiger, um sie in Ketten zu legen, damit sie seinem Geist gefalle und dem Herrn untertan war, für den auch er in Ketten ging. Du sollst nicht schweifen, dieweil ich in Ketten gehe, sagen diese; du sollst nicht lachen, dieweil ich erstarre vor der Verderbnis der Welt; du sollst nicht spielen und deine Gefährten ergötzen, indes meine rächende Hand nach dem Herzen der Menschheit greift, um mir seinen Schlag gehorsam zu machen; ich darf dich weder wissen noch sehen noch fühlen, denn du bist das sündhaft Abgelöste und mußt vor mir vergehn, sofern ich Bestand haben soll auf der Erde. So hätte er auch zum Baum reden können, zu einem schönen Tier, zu einer singenden Stimme, wäre sie nur vor seinen Augen so in die Greifbarkeit gewachsen wie dieser Mensch oder hätte sein Denken dieselbe grausame Folgerichtigkeit gehabt wie sein Handeln; aber es gibt einen Punkt, wo der kühnste Vernichter an das Gesetz der Gestirne und Gezeiten geschmiedet ist, und da muß er innehalten, da bricht seine Macht, das weiß er, und darum ist er so finster und so schweigsam.
Der Bischof, in seiner Not, entschloß sich zu einem letzten Versuch, zu einem, der seine Einfältigkeit und seinen abergläubischen Wahn aufzeigte, wobei ihn aber Pater Gropp gewähren ließ und sich begnügte, den seine Stunde erharrenden Zuschauer zu machen. In aller Frühe wurde einer der oberen Säle des Palastes bis zu halber Höhe der Mauern mit schwarzem Tuch ausgeschlagen. Auf einem schwarzverhangenen Tisch stand ein fünfarmiger Leuchter, und als die fünf Kerzen angezündet waren, gab der Bischof den Befehl, daß man den Junker Ernst hole. Man mußte ihn aus dem Schlaf wecken, und bis er sich gewaschen und angekleidet hatte, dauerte es eine gute Viertelstunde. Der Bischof war während der Zeit hinausgegangen, der Pater Gropp stand regungslos an der schwarzen Wand, den Blick zur Erde gekehrt. Da er von der Tür her helles Knabengelächter vernahm, schaute er unwillig empor. Der Bischof und der Junker waren auf der Schwelle zusammengestoßen; aus einem verschwiegenen Ort im Flur kommend und nach seiner Gewohnheit fahrig und kurzsichtig vorwärtslaufend, hatte der Bischof den Knaben nicht bemerkt und rannte ihn beinahe um. Der Junker hatte gesehen, woher der Oheim des Wegs kam, und als er nun so närrisch zu lachen begann, fragte ihn der Bischof unwirsch, weshalb er lache. Er habe an eine komische Geschichte denken müssen, antwortete der Junker. Was für eine Geschichte? Schon wieder eine Geschichte, immerfort Geschichten, nun, was für eine denn? drängte er, als Ernst nicht recht mit der Sprache heraus wollte. »In einer Stadt«, erzählte der Junker mit heiter zuckenden Lippen, »lebte ein reicher Bürger, der Geschäfte mit der kaiserlichen Majestät betrieb, und da er nicht mit sich im reinen war, ob er darüber mit seiner Ehefrau sprechen könne, beschloß er zu erproben, wie es um ihre Verschwiegenheit bestellt sei. Zu dem Zweck vertraute er ihr eines Tages an, daß ihm, während er auf einem gewissen Ort war, ein Rabe aus dem Hintern geflogen sei. Die Frau erstaunte