Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud
Читать онлайн книгу.Vaters zu setzen.
ad. c) Dem Einfluss der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich es zu, dass ich die mythologischen Greuel der griechischen Götterwelt um eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im Gedächtnis geblieben: ›Vergiss nicht, in Bezug auf Lebensführung, eines‹, hatte er mir gesagt, ›dass Du nicht der zweiten, sondern eigentlich der dritten Generation vom Vater aus angehörst.‹ Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder verheiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der Pietät zwischen Eltern und Kindern handle.
Es ist auch einige Male vorgekommen, dass Freunde und Patienten, deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen anspielte, mich aufmerksam machten, die Umstände der gemeinsam erlebten Begebenheit seien von mir ungenau erzählt worden. Das wären nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, dass meine Erinnerung des Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung.
Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in die Wachau den Aufenthalt des Revolutionärs Fischhof berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das EmmersdorfFischhofs liegt in Kärnthen. Ich wusste es aber nicht anders.
Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern, für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahlreich oder besonders bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der ungleich wichtigeren Urteilsirrtümer der Menschen im Leben und in der Wissenschaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichensten Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahrgenommenen äusseren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim Durchgang durch die psychische Individualität des Wahrnehmenden erfährt.
X.
Determinismus. – Zufalls-und Aberglauben. – Gesichtspunkte.
Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Unzulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen – deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll – und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen sich, wenn man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewusstsein unbekannte Motive determiniert.
Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene eingereiht zu werden, muss eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen:
1 Sie darf nicht über ein gewisses Mass hinausgehen, welches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck »innerhalb der Breite des Normalen« bezeichnet wird.
2 Sie muss den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen Vorganges sofort erkennen.
3 Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern müssen versucht sein, sie durch »Unaufmerksamkeit« zu erklären oder als »Zufälligkeit« hinzustellen.
Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sog. Zufallshandlungen. Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.
1 Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literarhistorikers R. M. Meyer in der »Zeit« ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, dass es unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiss ich, dass man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein analoges Beispiel einer »gedankenlos hingeworfenen« Zahl ausführlicher analysieren.Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vornamen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr gross; gewiss schliessen sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich Anstoss nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, dass sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name Dora. Ich frage nach seiner Determinierung. Wer heisst denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, dass das Kindermädchen meiner Schwester so heisst. Aber ich besitze soviel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, dass ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tisch im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: ›An Fräulein Rosa W.‹ Erstaunt fragte ich, wer so heisst, und wurde belehrt, dass die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heisst, und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus ablegen musste, weil meine Schwester den Ruf »Rosa« auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewusst machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als »Dora« ein. Die Ausschliesslichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluss von der im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.In einem Briefe an meinen Freund in B. kündige ich ihm an, dass ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts mehr an dem Werk ändern will, »möge es auch 2467 Fehler enthalten«. Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt, wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:
›Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens. Du findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heissen: irgend eine grosse Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches, Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, dass das Unbewusste sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von dem Bewussten freigelassen wurde. Nun hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, dass ein General E. M. als Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten. Du musst wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzt: ›Sie müssen mich aber in 8 Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet.‹ Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen,