Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist. Jan Skudlarek

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Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist - Jan Skudlarek


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geopolitischen Interessen dient.

      Wenn ich diese Verschwörungstheorien als »Erzählungen« bezeichne, bedeutet das nicht, dass sie »bloß Geschichten« sind, bloße Erdichtungen oder Erfindungen. Nein, im Gegenteil. Als Erzählungen sind sie Geschichten mit einem Wahrheitsanspruch. Sie haben alle den Anspruch, die Wirklichkeit präzise zu beschreiben. Erzählungen in unserem Sinne sind also keineswegs Märchengeschichten. Keine Stories, aus denen man im übertragenen Sinne eine Moral ableitet. Verschwörungserzählungen versuchen, Wirklichkeit fassbar zu machen; sie sind Wirklichkeitsbeschreibungen, von denen ihre Anhänger meinen, dass sie die Realität wahrheitsgetreu und unverfälscht darstellen. Authentisch. Den Erzählern geht es nicht um Schein, sondern um Sein. Um das, was faktisch tatsächlich vor sich geht. In Wirklichkeit. Echt.

      Eine Verschwörungstheorie ist so gesehen der Versuch einer alternativen Wahrheitserzählung. Sie soll der »offiziellen Story« gegenüberstehen – entweder als nicht weniger plausible oder, in den meisten Fällen, sogar plausiblere Erklärung der Geschehnisse. Eine Verschwörungstheorie ist also ein weiterer menschlicher Versuch, die Welt möglichst wahr zu beschreiben. Lügenpresse, Breitscheidplatz, Bevölkerungsaustausch – für Anhänger dieser Theorien sind dies legitime, berechtigte Weltbeschreibungsversuche. Sinnangebote für Sinnsuchende. Für die, die diese Erzählungen als Erklärungsmuster verwenden, sind sie völlig angemessen, ja, angemessener als die üblichen Erzählungen.

      Das Porsche-Beispiel. Zwischen Handlung und Ereignis

      Wagen wir einen kleinen gedanklichen Exkurs: Sie sind mit Ihrem Porsche im Urlaub. Südfrankreich. Sie fahren auf einer idyllischen Küstenstraße, die sich am Mittelmeer entlangschlängelt. Auf der einen Seite Wasser, auf der anderen eine Steilwand. Die Sonne scheint, die Laune ist gut.

      Plötzlich ein Knall!

      Vollbremsung. Der Wagen hält. Niemand ist verletzt.

      Nach dem ersten Schock stellen Sie fest: Ein faustgroßer Stein hat sich vom Abhang gelöst und ist mitten auf der Motorhaube gelandet. Verdammt! Ihr armer Porsche hat eine Delle.

      Das ist Szenario eins.

      Jetzt kommt Szenario zwei.

      Alles bleibt unverändert. Wieder Sie, wieder der Porsche, wieder ein Knall, wieder ein Stein, wieder sonst nichts passiert (Glück gehabt).

      Doch diesmal gibt es einen Unterschied.

      Diesmal habe ich den Stein geworfen.

      Worin besteht der Unterschied zwischen einem faustgroßen Stein, der sich von einem Abhang löst und auf Ihr Auto fällt, und einem faustgroßen Stein, den ich auf Ihr Auto werfe? In beiden Fällen fliegt ein Stein auf Ihr Auto. In beiden Fällen hat Ihr Auto einen Lackschaden. Vielleicht ist die Delle sogar gleich tief, die Reparatur gleich teuer.

      Der Unterschied liegt steinschwer auf der Hand.

      Ein sich zufällig vom Abhang lösender Stein fällt. Es steht keine Absicht (von wem oder was auch immer) dahinter. Der Fall passiert.

      Ein von mir absichtlich geworfener Stein hingegen ist, nun ja, eben absichtlich geworfen worden.

      Die Absicht bzw. die Handlung markiert den Unterschied zwischen fallen und werfen. Zwischen passieren und tun.

      Ein fallender Stein ist ein Ereignis.

      Ein Steinwurf ist eine Handlung.

      Nicht nur auf philosophischer Ebene ein Riesenunterschied.

      Was hat ein Steinwurf mit unseren Verschwörungstheorien zu tun? Mit der Islamisierung und den Reichsbürgern und den mordlustigen Regierungen?

      Die Antwort findet sich im Handlungsbegriff. Verschwörungstheoretiker denken, dass wir falschliegen, wenn wir davon ausgehen, dass sich zufällig ein Stein vom Abhang gelöst hat, obwohl doch jemand heimlich aus den Büschen einen Stein hätte werfen können – oder vielleicht sogar geworfen hat. Sie denken, dass Dinge anders als von uns gedacht ablaufen oder abgelaufen sind. Weil sie die »offiziellen« Beschreibungen der Wirklichkeit anzweifeln oder ganz ablehnen, präsentieren sie Gegengeschichten. Steinwurfgeschichten. Sie wenden sich an die vermeintlich Gutgläubigen und sagen: »Viele Steine, die deiner Meinung nach gefallen sind, wurden in Wahrheit geworfen. Die meisten Steine fallen nicht zufällig. Sie werden absichtlich geworfen. Aus dem Hinterhalt.«

      Dieses Denken nennt man intentionalistisch: Es muss eine Absicht hinter etwas stehen, jemand muss für eine Handlung verantwortlich sein, denn nichts Relevantes geschieht von selbst. Absichten dort zu vermuten, wo (vermutlich) keine sind, oder sie dort, wo sie vorhanden sind, grotesk überzuinterpretieren; das nenne ich hyperintentionalistisch.25

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