Samum. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die beiden Maultiere, und für Pips, das junge Eselchen, das freiwillig schon seit vierzehn Tagen mit der Karawane lief. Die übrigen Tragtiere waren in eine Seitenschlucht verbannt, darunter auch der Stolz der Expedition, Hans Huckebein, ein richtiges, würdevolles Kamel, das auf dem Marsche das Zelt schleppte, im Lager aber durch den eigentümlichen, durchdringenden Dunstkreis, den es verbreitete, sich unmöglich machte.
Wie viel netter war doch das alles, als jetzt in in einem Grand-Hotel an der Table d’hote zu sitzen, von den Gästen neugierig beobachtet und bekrittelt, von den Kellnern diskret belächelt — mit der Aussicht, am nächsten Tage sich in der Eisenbahn schütteln zu lassen und in einem neuen langweiligen Grand-Hotel zu landen! Die kleine Frau lächelte — nein, lieber so! Weltabgeschieden zu zweit wie in einsamer Barke auf hohem Meer, durch die stille Stein- und Sandwüste streifen, dem Alltag entronnen, ohne Sorgen und Pflichten, ohne ein ödes Gestern und ein dräuendes Morgen — eines im anderen nur sich selber lebend!
Sich und der Liebe!
Das Gesicht der kleinen Frau war ernst geworden, feierlich, wie sie, neben den Jagdtrophäen kauernd, in die dämmergrauende Unendlichkeit der Sahara hinaussah, an deren äussersten Fernen nur noch ein über den Sanddünen verglimmender blutfarbener Dunst die Sonne wies. Zu denken, dass das kaum vier Wochen her war, seit sie wirklich lebte! Seit sie das grosse Geheimnis des Daseins kannte und aus dem Schlummer der Kindheit erwacht war. Sie seufzte leise auf und ein Lächeln heissen Dankes gegen den Mann, der sie erweckt, ging über ihr Gesicht.
Zugleich ward sie sich wieder ihrer Pflichten bewusst. Müssig sitzen und träumen und Luftschlösser bauen — das waren noch Angewohnheiten aus der Mädchenzeit. Jetzt hatte sie das — Gott sei Dank! — nicht mehr nötig, wo alles in Erfüllung gegangen war!
Mit energischem Handgriff holte sie aus dem Haufen der Jagdtrophäen das Prachtstück der Sammlung, ein Paar riesiger, wie die Scheide eines Türkensäbels gekrümmter Mufflonhörner, hervor und begann mit einem Fettläppchen den anhaftenden Staub und Sand zu entfernen. „Ovis Tragelaphus — das Mähnenschaf,“ murmelte sie dabei befriedigt vor sich hin und wiederholte wie ein Kind sich ein Schulpensum einprägt, „ovis Tragelaphus, das ...“
Aber da klang Maultiertrappen hart an der Ecke der Felswand. Die Mufflonhörner rollten zu Boden. In schnellen Sprüngen war sie vorn am Rande der Steinhalde und blieb enttäuscht stehen.
Es war nicht ihr Mann. Der französische Kürassierleutnant ritt da unten vorbei, der sich schon seit Wochen in den Gebirgen vergraben hatte, um den Traum seines Lebens, die Erlegung eines Panthers, zu verwirklichen. Gottesfürchtig, wie er als Jesuitenzögling war, ritt er jeden Sonnabend, einen Bewaffneten und einen Diener mit Wasserfässchen und Datteln hinter sich, den weiten Weg bis zum nächsten Bordsch, einem Unterkunftshaus an der Heerstrasse, und von da bis zu einem Städtchen mit einer Kapelle der Franziskanermission, um Sonntag früh dort die Messe zu hören und dann unverzüglich zu seinen unsichtbaren Panthern zurückzukehren.
Aber heute war gar nicht Sonnabend.
„Guten Abend, Madame!“ Der hagere, knochige Normanne mit dem dunklen Schnurrbart und den stechenden Augen, der, in verblichenes Jagdzeug gekleidet, die Flinte über die Schulter gehängt, mit langbaumelnden Beinen auf seinem Maultier sass, lüftete höflich die Kappe. In dieser kleinen Jägerkolonie inmitten der Wildnis verkehrten die Nationen zwanglos miteinander. Man fühlt sich hier mehr als Mensch im Gegensatz zur Wüste, als Europäer inmitten des Islam denn als Deutschen und Franzosen.
„Guten Abend, mein Herr!“ rief die kleine Frau auf Französisch. „Wo reiten Sie denn so spät hin?“
„Nach Hause, Madame! Es wird Zeit!“
„Ganz nach Hause?“
„Jawohl, Madame! Die Sahara regt sich. Es liegt Sturm in der Luft. Wüstensturm. Samum! Spüren Sie nicht diese eigentümliche elektrische Schwüle?“
„Ja — heute liegt es mir wie Blei in den Gliedern.“
„Das ist die Warnung des Samum! Man muss ihr folgen. Machen Sie es wie wir und benutzen Sie die Nachtkühle zum Heimweg! Die beiden baltischen Herren haben sich mir auch angeschlossen!“
Richtig — da erschienen unten auch die beiden kurischen Barone, zwei gewaltige Nimrode mit grossen grünen Rucksäcken voll Geweihen und Schädeln zu beiden Seiten ihrer Sättel. Sie spornten ihre Maultiere mit Fersenstössen zur Eile an.
„Erbarmen Sie sich!“ schrie der eine der blondbärtigen Hünen. „Sie wollen in den Bergen bleiben? Unmöglich! Jetzt heisst es, den nächsten artesischen Brunnen an der Strasse oder eine Oase gewinnen, sonst ... wo ist denn der Herr Professor?“
„Mein Mann ist noch auf der Jagd! Er wird schon anordnen, was nötig ist. Sorgen Sie sich nicht um uns! Gute Reise, meine Herren!“
„Guten Abend, Madame!“ Die kleine Karawane, Maultiere, Europäer und Araber, die schaukelnden Flinten und glucksenden Wasserfässchen, die grünen, mit Geweihen gefüllten Beutel, die in die Luft starrenden Stangen der zusammengeschnürten Zelte, die Bündel von Wolldecken und Strohmatten — alles verschwand wie ein Nebelgebilde in der Dämmerung, die immer rascher niedersank. Die Wüste hatte sich jetzt ganz in einförmiges Grau gehüllt. Stumm und tot wie ein stilles Meer lag sie da. Ihr heisser Hauch stieg zuweilen als ein kurzer stürmischer Windstoss zu den Höhen empor. An der fahlgewordenen Himmelswölbung blitzten die ersten Sterne in einem seltsamen rötlichen Schein, als lagerten unsichtbare Dunstmassen zwischen ihnen und der Erde, und rückwärts, in der Nacht der Atlasberge, huschte da und dort ein lautloses Wetterleuchten über die Zacken und Grate dahin, jäh aufflammend und ebenso rasch in sich verlöschend.
„Ach, Monsieur Abd-el-Kader!“ sagte die kleine Frau. „Ich wollte, mein Mann käme!“
„Er wird schon kommen, Madame. Sicher hat er ein Mufflon oder gar einen Panther zu Schuss gebracht. Er ist ein grosser Jäger. Um einen Jäger dürfen seine Frauen sich nicht ängstigen!“
„Seine Frauen? Ja — Abd-el-Kader — glauben Sie denn wirklich, dass er noch mehr Frauen hat als mich?“
Nein — der alte Wüstenführer war bereits in Algier und Marseille gewesen und hatte dort beobachtet, dass in der That auch die reichsten Franken aus ihm unbekannten Gründen sich mit einem Weibe begnügten.
„Und ausserdem, Abd-el-Kader, Sie sagen, mein Mann sei ein Jäger, gerade, als ob das sein Daseinsberuf sei, zeitlebens Mufflons zu schiessen. Das thut er doch nur ausnahmsweise, wenn er gerade Ferienzeit hat, wie jetzt auf unserer Hochzeitsreise.“
Der alte Beduine zog die Augenbrauen hoch. Eine „Hochzeitsreise“! Ihm war das unbegreiflich, dass man seine Frau, statt sie sofort nach der Trauung für immer im Harem vor aller Welt zu verschliessen, geflissentlich auf Reisen mitnahm, damit ja nur recht viele Männer aller denkbaren Volksstämme sie unverschleiert betrachten könnten. Aber er behielt diese Erwägungen für sich und fragte nur: „Und wenn der Herr kein Jäger ist, wie Madame sagt — was betreibt er dann? Er ist doch gewiss einer der Mächtigen in Ihrem Lande!“
„Gewiss!“ Die kleine Frau lachte. „Wo wir zu Hause sind, giebt es eine grosse Macht. Die heisst die Wissenschaft. In ihr ist er mächtig und ein hoch angesehener und berühmter Gelehrter!“
„Ein Gottesgelehrter, Madame?“
„Ach nein, Monsieur Abd-el-Kader, davon versteht er leider nicht viel! Er ist Professor der Zoologie an einer Universität. Oder, um Ihnen das zu erklären — er durchreist ferne Länder — früher allein, jetzt natürlich mit mir zusammen — und beschreibt, wie die Tiere dort aussehen ...“
„... so hat er selbst grosse Herden von Kamelen und Schafen ...?“
„Nein — Schafe hat er gar nicht und Kamele nur ein einziges, nämlich seinen alten Diener. Er beschreibt die wilden Tiere, vom Skorpion bis zum Elefanten, und wie sie eines aus dem anderen sich entwickelt haben, und woher sie stammen. Begreifen Sie nun?“
Nein, Abd-el-Kader begriff nicht. Alle Geschöpfe der Welt stammten von Allah, und wie Allah sie geschaffen, so waren sie gut und so blieben sie!