Die um Bismarck. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.im eigenen Lager arbeiten am Verschleiss seiner Nerven! Die Leute, denen er zu gross geworden ist! Diese Leute fragen sich: ,Ein Landjunker wie wir und jetzt Fürst? Ein Einjähriger bei den Gardejägern und jetzt General der Kavallerie? Ein Potsdamer Referendar a. D. und jetzt Kanzler des Deutschen Reichs?‘ Das sticht manchem ehemaligen Standesgenossen in die Nase!
Sehen Sie, mein Lieber: — Ich orientiere Sie pflichtgemäss für Ihre künftige und, so Gott will, erspriessliche diplomatische Berliner Tätigkeit! — solch einer, einer der Gefährlichsten unter den nach ihrer Meinung zu Unrecht Zurückgesetzten, ist Graf Anton Lassbach! Nicht dumm — wahrhaftig nicht — sehr tätig, sehr nervös, sehr kultiviert, sehr reich — grosse Güter — dabei zeitlebens — er ist doch nun schon an die Fünfzig — zusammengesetzt aus Eitelkeit und Ehrgeiz! Das macht diesen grossen Herrn gegen seine Umgebung blind. Er ahnt gar nicht, wer alles hinter ihm steht und ihn nach vorn in die Drecklinie schiebt!
Er hat eine Ölze zur Frau — aus ehemaligem hannoverschem Hofadel! Na also! Seine Schwiegermutter — sie lebt noch als Witwe drüben in der Nähe von London — ist eine vornehme Engländerin — aus derselben Nation wie die Frau Kronprinzessin — unsere künftige kaiserliche Landesmutter. Na bitte! Er selber, Tonio Lassbach, steckt fortwährend in England! Es weht englische Luft aus seinem Haus in der Vossstrasse — da gleich um die Ecke! Na danke . . . . Nun sind Sie im Bilde! Bringen Sie mir so schnell wie möglich die Reinschrift!“
Der Geheimrat sass allein. Der Sarkasmus war verflogen. Er gähnte — ein abgehetzter Mann. Er hatte heute nacht wieder bis vier Uhr gearbeitet und war doch kaum mit den Aufträgen des Kanzlers fertig geworden. Er schloss ermüdet die Augen. Rückte behutsam die Photographie seiner Frau auf dem Tisch mehr ins Licht und blies mit seinen dünnen, nach Bedarf launig-leutseligen und dienstlich-strenggepressten Lippen ein Stäubchen von dem Rahmen und wandte ungeduldig den Kopf nach der Tür, an der es leise klopfte.
„Na endlich! Fertig für die Unterschrift, Baron? Nee — ist er ja gar nicht . . . . .“
Er zwinkerte. Dann erhob er langsam die breitschulterige Gestalt vom Stuhl.
„Nanu — Etta — du?“
Das Bild seiner Frau war aus dem Rahmen getreten und stand da lebensgross und lachend in der Tür, frisch, windgerötet die schmalen Wangen, halb offen der Kluge Mund, lebhaft, unter dem schiefen, preussisch schwarzweiss mit Straussenfedern ausgeputzten Tellerhut die braunen, leicht ins Grünliche spielenden Augen.
Noch schlanker ihre mittelgrosse Gestalt durch die enge, mit weissen Spitzen besetzte Taille und den knapp um die Hüften schliessenden, mit dem Saum den Boden streifenden dunklen Tuchrock, nach der Mode gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Der elastisch wiegende Schritt einer Frau von noch nicht Dreissig, wie sie eifrig auf ihren Mann zuging. Sie hob dabei beschwörend in der elegant behandschuhten Rechten eine Depesche.
„Du — Klemens — ich muss dich stören!“
„Sogar sehr!“
„Eben ist das Telegramm gekommen. Aus Buggenhagen. Es betrifft den Taugenichts, deinen Neffen. Ich hab’s aufgemacht! Da!“
Herr von Möllinghoff setzte bedächtig seinen Zwicker auf und las.
„Mein Sohn Lutz heute früh nach Berlin ausgekniffen, um nicht mehr hier bei mir weiter Landwirt spielen zu müssen! Jetzt im Zug unterwegs. Erwartet ihn Bahnhof und schickt ihn postwendend zurück. Gruss. Dein Schwager Oberkamp.“
„So Streiche hat der Bengel immer gemacht!“ Der Geheimrat liess missbilligend das Blatt sinken. „So vor zehn Jahren — da war er etwa vierzehn — zigeunert er doch eines schönen Tages aus Mecklenburg zu Fuss nach Hamburg hinüber und als Schiffsjunge auf ’ner Brigg nach Westindien. Alle Konsulate hatten dort zu tun, bis wir ihn nach einem halben Jahr glücklich wieder heim hatten. Dann später, am Tage, nachdem er sein Jahr bei den. Dragonern abgedient hat, fordert er seinen Rittmeister, über den er sich geärgert hatte, und knallt ihm ins Bein!
Statt dass der dumme Junge froh ist, eines der schönsten Rittergüter von Mecklenburg zu erben“, der Geheimrat zerpflückte zornig das Telegramm über dem Papierkorb. „Viertausend Morgen muss man zum Donnerwetter doch auch bewirtschaften lernen . . .“
„Aber er hat doch einmal studieren dürfen . .?“
„Ja — was der gute Lutz studieren nannte! Ich glaube, es waren sieben Säbelduelle, wegen denen sie ihn nach ein paar Semestern relegiert haben! Na jedenfalls . . .“ Der Geheimrat von Möllinghoff warf einen nervösen Blick auf den Schreibtisch. „Jetzt blüht er uns also hier, und ich habe wirklich mehr im Kopf! Ich muss dir nachher erzählen, Etta: Es ist eine tolle Schweinerei im Gange . .“
„Hast du die Havas-Depesche schon gelesen?“ unterbrach die junge Frau ungestüm. „Also Gladstone wackelt!“
„Diese Drahtmeldung geht allerdings via Russland, aber . . .“
„. . . und Salisbury sein Nachfolger . . .“
„. . . und der Krieg zwischen England und Russland immer näher . . .“
„. . . also Bleichröder — das hörte ich eben unterwegs — glaubt nicht an einen europäischen Krieg! ,Behaltet eure Aktien‘ — sagt er den Leuten, denen er wohlwill!“
„Deswegen müssen wir doch den Herrschaften hier die brennende Pfeife wegnehmen, mit der sie auf der offenen Pulvertonne sitzen! Wer, Kind? Na natürlich wieder mal die Vossstrasse! Tonio Lassbach!“
„Ach — ich wollte, ich könnte die ganze Bande hängen, die gegen Bismarck ist!“ Die junge Frau ballte leidenschaftlich die Hände.
„Also jedenfalls gibt es heute einen kritischen Tag erster Ordnung, Etta! Ich sehe keine Möglichkeit, mich jetzt mit ungeratenen Neffen zu befassen!“
„Aber in einer halben Stunde kommt das Unglücksgeschöpf an! Ich hab’ im Fahrplan nachgesehen!“
„Fang’ du ihn am Bahnhof ab, Etta!“
„Ich kenn’ deinen Neffen Lutz ja gar nicht! Wir sind ja in den vier Jahren unserer Ehe noch nie draussen in Buggenhagen gewesen. Du kommst ja von deinen Akten nicht fort! Wie soll ich da diesen Jüngling . . . .“
„Herrgott — du hast doch oft genug seine Photographie gesehen! Wenn du auf dem Lehrter Bahnhof einen Menschen siehst — einen Kopf länger als gewöhnliche Sterbliche — einen flachsblonden Schlaks mit strahlenden blauen Augen und seelenvergnügtem Lächeln . . . . Der Lutz ist nie sonniger, als wenn er eine rechte Dummheit macht . . . Er wird schon gleich zutraulich auf dich lossteuern!“
„Und dem Ungetüm soll ich vor aller Welt die Leviten lesen? . . . Klemens . . . der Naturbursche lacht mich ja nur aus . . .“
„Packe ihn nur in eine Droschke und fahre ihn zu uns! Da werde ich dem teuren Neffen schon beim Essen den Kopf zurechtsetzen, und mit dem Abendzug dampft er wieder heim zu seinen Kartoffeln! Aber jetzt habe ich keine Minute Zeit . . .“
„Ja — ich muss mich auch eilen, dass ich noch rechtzeitig auf den Bahnhof komme! Ich bin so wahnsinnig gespannt, was du mir von Tonio Lassbachs Einmischung in die afghanische Frage erzählen wirst! Adieu, Dicker!“
3
Die Geheimrätin von Möllinghoff trat über die paar steilen Steinstufen der unscheinbaren Pforte des ebenso unscheinbaren, langen, niederen Auswärtigen Amts auf den Bürgersteig und winkte einem leer vorbeitrabenden „Schwarzlackierten“ — einer Droschke erster Klasse, auf dem Bock der Kutscher mit schwarzem, hohem Hut.
Ein schlanker, aufrechter Schattenriss, sass sie in dem offenen kleinen Einspänner und blinzelte zufrieden mit dem hübschen, ruhigen Antlitz unter Schleier und Spitzenschirm in die Märzsonne. An ihr vorbei glitten die altvertrauten Bilder Berlins. Die Zopfpaläste der Wilhelmstrasse aus der Zeit des Soldatenkönigs. Die Aktenmappen der wenigen Menschen in der feierlichen Leere des Wetterwinkels Europas. Die wichtigen, wissenden Gesichter unter würdevollen Zylindern: Wir sind Preussen. Wir sind das Reich. Das Kaiserreich der achtziger Jahre.