Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold

Читать онлайн книгу.

Ein Kerl wie Samt und Seide - Will Berthold


Скачать книгу

      

      Will Berthold

      Ein Kerl wie Samt und Seide

      Roman

      SAGA Egmont

      Ein Kerl wie Samt und Seide

      Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de).

      Originally published 1984 by Hestia Verlag, Germany.

      All rights reserved

      ISBN: 9788711726945

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      »Vielleicht gelingt es mir wieder einmal, nachts zu schlafen. Womöglich kann ich wieder einmal richtig lachen. Vielleicht schmeckt mir das Essen wieder, und ich brauche nicht mehr den dummen Snob zu spielen. Es kann auch sein, daß mir das Trinken wieder Spaß macht, weil ich dabei nicht mehr die Vergangenheit ertränken muß. Vielleicht kommt auch einmal wieder die Situation, da ich eine Frau begehre. Aber zuvor heißt es Tabula rasa. Es ist die Voraussetzung, daß ich wieder atmen, daß ich weiterleben kann.«

      Peter Maletta, S. 69/70

      1. Teil

      Take Off

      Sie nannten den ungeschlachten Master-Sergeant aus Chicago ›Pigskin‹. Schweineschwarte; der übergewichtige Aufseher der Areale 9–12 in Münchens Alabama-Depot – bullig, schlagflüssig, lautstark – glich einem Schlächtergesellen, der sein Handwerk nur ausüben konnte, wenn er betrunken war.

      Die Männer, die unter seiner Fuchtel schufteten, zweifelten nicht daran, daß sich Schweineschwarte bald zu Tode gesoffen haben würde, doch bis dahin mußten sie ihn weiterhin über sich ergehen lassen – viele von ihnen durchaus zu Recht, aber manche auch nur als Opfer pauschaler Vergangenheitsbewältigung. Zwei Monate nach der Stunde Null – Anfang Juli 45 – huschte für die Deutschen in ihrem besetzten Land die Zeit dahin wie eine hinkende Ratte.

      Seitdem Hitlers Nachfolger Großadmiral Dönitz und die anderen Mitglieder der Reichsregierung am 23. Mai auf dem Passagierschiff Patria bei der Festnahme durch die Engländer die Hosen heruntergelassen hatten wie gemeine Soldaten bei der Schwanzparade, war die deutsche Geschichte in eine Epoche eingetreten, in der gehungert und gelogen, gehängt und gebetet, geträumt und gehurt, geschwiegen und verraten wurde.

      Anfang Juli 1945 herrschte in Europa eine Hitzewelle. Schon am frühen Morgen wurden Rekordtemperaturen gemessen. Der Asphalt warf Blasen. Der durstige Master-Sergeant hatte schon am Vormittag seinen üblichen Alkoholpegel weit überschritten; in diesem Stadium war er unberechenbar.

      Auch die anderen US-Soldaten wirkten heute verärgert, weil Französinnen in einer Titelgeschichte ihrer Armee-Zeitung Stars and stripes sie übereinstimmend als lausige Liebhaber denunziert hatten. Über vier Millionen US-Soldaten standen noch in Europa, die meisten in Deutschland. Nach der Abkürzung auf ihren Tornistern G(ovemment) I(ssue) ›Regierungs-Ausgabe‹ nannte man sie GIs, und tatsächlich gab der US-Steuerzahler eine Menge für die bestversorgte Armee der Welt aus. Täglich liefen Frachter aus Übersee Bremerhaven an, eine Enklave, die den Waffenbrüdern von den Engländern überlassen worden war. Auf notdürftig geflickten Schienensträngen, vorbei an geborstenen Stellhäusern, rollte pausenlos ein Strom von Zügen durch eine Trümmerlandschaft von Norden nach Süden. Stotternd, ächzend, schwerbewacht, und doch gelegentlich ausgeplündert, erreichten die Wagen schließlich das Alabama- und das benachbarte Indiana-Depot, wo die Güter gestapelt, verwaltet und an die US-Einheiten in Süddeutschland, Oberitalien und Österreich weitergereicht wurden.

      Die Belegschaft der gigantischen Nachschubzentrale, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Amerikanern und Polen, Deutschen und Staatenlosen, arbeitete täglich in zwei Schichten, am längsten die Männer, die unter automatischen Arrest‹ fielen; sie wurden jeden Morgen aus dem Internierungslager Moosburg angekarrt. Kreisleiter, Ortsgruppenführer, Denunzianten, Regierungsräte, Schullehrer, Ärzte und Bankangestellte nahmen in Areal 9, einem verrotteten Schuppen des Heereszeugamts, in dem vermutlich schon für den 70er-Krieg die Trompeten von Lunéville verwahrt worden waren, unter Anleitung von Master-Sergeant Pigskin Dosen mit Tomato-Juice aus den Kartons und schichteten sie aufeinander. Tausende, Zehntausende, Hunderttausende von Büchsen Tomatensaft, kleine, große und mittlere, nur Tomatensaft, von früh bis abends, jeden Tag, kujoniert von Schweineschwarte und seiner Gilde.

      Kein Wunder, daß sie mit der Zeit nur noch rot sahen.

      Die ordinärsten Arbeiten waren den Männern aus den Internierten-Lagern Vorbehalten; daneben gab es auch Facharbeiter, die für einen Schlag Maisbrei, eine Scheibe Spam, ordinärer amerikanischer Büchsenwurst, und zwei Kartoffeln arbeiteten, die sie gratis und ohne Lebensmittelmarken erhielten. Im Gegensatz zu den Internierten schliefen sie zu Hause und die Amis waren zu ihnen etwas freundlicher, solange sie die Magazinarbeiter nicht beim Klauen erwischten.

      Unter den Bewachern gab es üble Typen und ganz besonders üble. Es gab natürlich auch menschliche – sogar in der Überzahl –, aber die traten wenig in Erscheinung, wenn Pigskin, der Bulle mit dem schlagflüssigen Gesicht, in der Nähe war.

      Ein internierter Oberlehrer, kräftig und mittelgroß, wurde von Hitze und Durst geplagt, er fühlte sich einen Moment lang unbewacht, schnitt einen Karton auf, griff sich eine Dose, bohrte ein Loch hinein und setzte die Büchse an den Mund. Er trank in gierigen Schlucken und merkte nicht, daß er nicht mehr allein war. Die weichen Gummisohlen der Armeestiefel dämpften selbst noch Zwei-Zentner-zwanzig-Lebendgewicht. Der Mundräuber verschluckte sich, hustete, setzte wieder an, bis er merkte, daß sich ihm eine Hand auf die Schulter legte.

      Ertappt fuhr er herum und starrte in Pigskins Purple-Face.

      »Dirty bastard!« fluchte der Master-Sergeant. Es sah aus, als wollte er den Dieb gleich an Ort und Stelle zusammendreschen, aber dann überlegte er es sich anders und pfiff die ihm unterstellten Magazinarbeiter zusammen, um eine subtilere Methode vorzuführen.

      Er reihte auf einem Tisch 15 Dosen mit Tomatensaft nebeneinander, sauber ausgerichtet, penibel abgezählt.

      »Go on you crook and drink them all!« forderte Pigskin den Verstörten auf, die Büchsen auszutrinken.

      Ob des Befehls, so viel zu trinken wie er wollte, verspürte der Schulmeister im ersten Moment törichte Erleichterung. Der Master-Sergeant öffnete eine Büchse und drückte sie dem Ex-Oberlehrer und Ortsgruppenleiter in die Hand.

      »Cheers«, sagte er. Sein aufgedunsenes Gesicht wirkte hämisch; es war durchlaufen von einem Spinnengewebe roter Äderchen. Seine Augen wirkten stumpf und glanzlos, gelbgeränderte Säuferaugen. Seine Zunge leckte die Unterlippe, als der Mann aus dem Internierungslager mit dem Trinken begann, längst nicht mehr so gierig wie zuvor.

      Er wollte absetzen, aber sein Peiniger schüttelte den Kopf.

      »Be a good sport«, forderte er den Drangsalierten mit perfider Jovialität auf.

      »The next one!« befahl er, als der Mann die erste Saftkonserve geschafft hatte.

      Seine Arbeitskollegen standen herum. Ihre Gesichter ließen erkennen, daß sie ihm nur zu gerne beim Austrinken der aufgereihten Dosen geholfen hätten, aber Pigskin würde es nie erlauben, deshalb schluckten sie nur trocken mit.

      Bei der dritten Büchse ließ der gefeuerte Oberlehrer die


Скачать книгу