Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold

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Ein Kerl wie Samt und Seide - Will Berthold


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      Der Intimus des Generals, ein Spitzenmann des Geheimdienstes, war hochgewachsen. Er hatte ein junges Gesicht und graue, kurzgeschnittene Haare. Er war soeben nach einem Blitzbesuch mit dem Helikopter aus dem neuen Zonengrenzgebiet nach München zurückgeflogen und erst vor einer halben Stunde angekommen.

      »It was terrible, George«, berichtete er. »Wirklich zum Knochenkotzen. Ich habe es bei Hof erlebt und dann in der Nähe von Coburg: Weinende Frauen, schreiende Kinder, alte Männer, kurz vor dem Zusammenbrechen. Sie trugen Koffer, Rucksäcke oder zogen ihre gesamte Habe in Handwagen hinter sich her oder schleppten sie auf dem Fahrrad mit. Sie versuchten, mit den US-Einheiten nach Bayern weiterzukommen, und die Angst vor den Russen saß ihnen im Nacken. Unsere Boys mußten brutal gegen sie vorgehen, gegen Leute, mit denen sie sich zum Teil längst angefreundet hatten, oder gegen die eigenen Girlfriends. Du weißt ja, George, daß dieses Fraternisierungs-Verbot hinten und vorne nicht klappt. What a shitty time in which we ’re living.«

      »Was für eine beschissene Politik, die wir machen«, erwiderte Patton gereizt. »Die Sowjets rüsten auf, wir rüsten ab. Sie verstärken fortgesetzt ihre Kräfte in Mitteleuropa, wir wollen unsere Leute nach Hause schicken. Unser Land hat 280 Milliarden Dollar für den Sieg ausgegeben – und das fliegt uns jetzt um die Ohren. Stalin spuckt uns bei jeder Gelegenheit ins Gesicht. Wir sind mit dem braunen Halunken fertiggeworden und haben dafür jetzt den roten Schurken am Hals. Roosevelts lieben ›Uncle Joe‹, den neuen Adolf Hitler.«

      »Don’t be such a pessimist«, versuchte Colonel Rigby seinen Freund zu bremsen, obgleich er Pattons Meinung weitgehend teilte.

      »A pessimist?« konterte der General mit den schmalen Augen, die schlau blinzeln und in der nächsten Sekunde zornig blitzen konnten. »Wir haben den Sowjets den Balkan überlassen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien. Wir haben ihnen die Tschechoslowakei und Polen ausgeliefert. Sie haben sich Estland, Lettland und Litauen unter den blutigen Nagel gerissen. Sie stehen in Berlin und in Wien.« Patton hatte einen mächtigen Schädel, eine kräftige Nase und volle Lippen. Wiewohl der ›Lucky Forward‹ des Zweiten Weltkrieges, Amerikas berühmtester General, über einsachtzig groß war, wirkte er stämmig, fast ein wenig korpulent. Offensichtlich war er nicht nur ein Eisenfresser, sondern auch ein Feinschmecker. »Wir sind mit den Japsen noch nicht ganz fertig, da braut sich hier schon eine neue Konfrontation –«

      Er sah den GI, der aus dem Haus kam, und brach ab.

      Der Soldat grüßte militärisch exakt.

      Der CIC-Colonel nahm die Meldung entgegen.

      »Just a moment, George«, entschuldigte er sich, ging ins Haus und ließ den Haudegen mit seinem Zorn allein.

      Der General war nicht nur verbal mit den von ihm als ›Red Bastards‹ Titulierten aneinandergeraten. Schon während des Frankreich-Feldzugs war er zwischen die Schlagzeilen der Weltpresse geraten, als er festgestellt hatte, daß der Lohn des Sieges über Hitler den Amerikanern und Engländern zufallen müsse. Nach dem großdeutschen Zusammenbruch erfuhr der alte Kavallerie-Offizier, daß die Russen in Österreich die Lipizzaner-Pferde erbeutet hätten. Unverzüglich entführte er in einer Kommando-Aktion seiner Panzer die wertvollen Tiere aus dem sowjetischen Machtbereich nach Piper in der Steiermark. Die berühmten Schimmel der spanischen hofreitschule fielen dem Westen zu.

      Patton hatte eine Bilderbuch-Karriere durchlaufen, er war erstmals bei der Landung in Nordafrika aufgetaucht, dann in Sizilien, wo er in zehn Tagen von der Südspitze bis Palermo durchgestoßen war. Dort, im Lazarett Holi, ohrfeigte er GIs, deren Nerven versagten, was einen Milhonen-Aufschrei amerikanischer Mütter auslöste. Patton wurde nach England verbannt, wo er tatenlos und verärgert herumsitzen mußte.

      Für die Invasion 1944 erhielt George S. Patton zunächst kein Kommando, er war nur als eine Art Pappkamerad eingesetzt, als Lockvogel für die deutsche Spionage. Er mußte sich bei Paraden und Aufmärschen auf der Insel zeigen, um die Deutschen zu bluffen. Tatsächlich hatte man in der Wolfsschanze angenommen, daß keine Landung in Frankreich bevorstünde, solange der erfolgreichste und bissigste US-General vor Teegesellschaften und Kaffeekränzchen patriotische Reden hielt.

      Patton blieb der ›Underdog of Overlord‹, bis es an den alliierten Brückenköpfen kritisch wurde. Dann erst schickte Eisenhower den strafversetzten Rehabilitierten auf den Kontinent, aber unter der Bedingung, bei jedem Tobsuchtsanfall erst bis zehn zu zählen, bevor er explodierte. Doch noch ehe die Strategen auf der Insel bis drei gezählt hatten, war ›Lucky Forward‹, wie ihn seine Soldaten nannten, der Panzerdurchbruch bei Avranches geglückt, der praktisch die Entscheidung in Frankreich vorwegnahm. Patton raste im Siegeszug durch Frankreich, schlug als erster Hitlers verzweifelte Weihnachtsoffensive zurück, war auch als erster US-General auf dem rechten Rheinufer und rollte gleich durch bis Eger und dann weiter im stürmischen Vormarsch nach Prag und am liebsten gleich bis Moskau. Der Haudegen hatte vor allen anderen begriffen, daß ›Uncle Joe‹ Amerikas neuer Feind werden würde.

      Vorgesetzte, die noch lange nicht soweit waren – aber bald soweit wären –, pfiffen den Hitzkopf nach Bayern zurück, wo er, vergöttert von seinen Soldaten, gefürchtet bei seinem Oberkommando, wie eine Art Sonnenkönig regierte, freilich mit einem kommunistischen deutschen Entnazifizierungs-Minister, den er befehlsgemäß einsetzen mußte; ein General, der es selbst Pazifisten schwermachte, ihn kritisch zu beurteilen. Die Frage stellte sich freilich, wie ein Panzer-Held, immer an der Spitze, immer da, wo es am mulmigsten ist, ein Amerikaner, dem man eine heimliche Bewunderung deutscher Soldatenleistungen nachsagte, die Besetzten vom Militarismus kurieren sollte.

      »Da ist diese newsweek-Reporterin schon wieder, George«, sagte Colonel Rigby, der Gastgeber, nach seiner Rückkehr in den Garten. »Sie behauptet, dein Presse-Offizier hätte ihr versprochen, du würdest dich heute von ihr fotografieren lassen.«

      »Dear me«, erwiderte Patton. »Ist sie wenigstens häßlich?«

      »Hübsch«, entgegnete der Intelligence-Offizier und sein besonderer Vertrauter. »Bildhübsch, sogar. Eine kühle Neu-Engländerin, an die fünfundzwanzig, genau das, was mir der Arzt verschreiben sollte.«

      »Bist du krank, Craig?« fragte der General grinsend.

      »Well«, erwiderte der Colonel, »ich denke, daß wir Männer bei den Frauen immer eine Art Patienten sind.«

      »Go to hell«, erwiderte der kalifornische Farmersohn – er entstammte einer der reichsten Familien Amerikas – lachend, wippte nach vorne, goß sich einen Bourbon ein. »Cheers«, sagte er, »auf deine angegriffene Gesundheit!«

      Vor dem Krieg war Colonel Rigby, Kalifornier wie sein Freund Patton, ein bekannter Anwalt in Los Angeles gewesen; dann war er zu den Männern um General William J. Donovan gestoßen, die das ›Office of Strategie Services‹ (OSS), den ersten Geheimdienst der USA, aufgezogen haben. Den Amerikanern lag zunächst der Untergrund nicht. Sie huldigten damals eher noch einer stilisierten Western-Mentalität, und das hieß: Aus der Hüfte schießen, siegen, oder vom Pferd fallen. Sie verachteten Lüge und Verstellung, die Waffen der unsichtbaren Front, als Weiberkram.

      Anfänger wie sie waren, mußten sie zunächst blutiges Lehrgeld bezahlen: In Italien zum Beispiel waren 15 OSS-Agenten ihren Gegnern in die Hände gefallen und ohne Gerichtsurteil erschossen worden, wofür demnächst der dafür verantwortliche deutsche General Anton Dostler von den Siegern füsiliert würde, mit Gerichtsurteil.

      »Kann die Lady nun kommen?« fragte der CIC-Mann.

      Der General sah auf die Uhr. Er hatte noch zehn Minuten Zeit bis zum Eintreffen seiner Offiziere.

      »Wenn sie flink ist«, knurrte Patton, »von mir aus.«

      Zwischen ihm und der Presse bestand eine beiderseitige Haßliebe. Patton war nicht nur der gefährlichste, sondern auch der ehrlichste US-General. Er wich keiner Frage aus, er hatte keinerlei Hemmungen, seine Vorgesetzten zu attackieren und sie in der Hitze des Wortgefechts auch einmal ›Armleuchter‹ zu nennen. Seine Formulierungen gingen oft bis an die Grenze und waren mitunter mißverständlich, diplomatische Verbrämung war für diesen Militär sprachlicher Firlefanz. Patton, ein gebildeter Mann, der sich auch in


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