Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold

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Ein Kerl wie Samt und Seide - Will Berthold


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Camp zurückfahren.

      »Laßt den Herrn mal mit Schöller allein«, dirigierte der Vorarbeiter zwei Internierte in den Nachbarschuppen.

      Maletta betrachtete den kleinen, farblosen Mann mit den unangenehmen Augen, die unstet wieselten. Horst Schöller hatte seine Arbeit unterbrochen und sich umgedreht; er sah, daß er einem Deutschen gegenüberstand und das unterwürfige Lächeln in seinem Gesicht blendete sich langsam aus.

      »Sie sind Horst Schöller«, fragte der Besucher.

      »Der bin ich«, erwiderte der frühere Vize-Stabschef der Gauleitung München-Oberbayern.

      Er war genau so, wie ihn Lisa, die einst seinetwegen zu Maletta geflüchtet war, beschrieben hatte: Der typische Schrumpfgermane, der nach unten tritt und nach oben buckelt, ein Radfahrer, der, rechtzeitig in den Parteiwagen aufspringend, zwölf Zylinder gefahren war, mit Vollgas. Ein Hoheitsträger mit einem Minderwertigkeitskomplex, der zuletzt in der Partei-Hierarchie so hoch gestanden hatte, daß er in Funktionärskreisen ›der kleine Bormann‹ genannt worden war.

      »Ich brauche eine Auskunft von Ihnen«, sagte Maletta, den Mann fixierend.

      Schöller hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der feinen, kühl distanzierten Lisa; entweder lag ein Erbsprung vor oder sie war ausschließlich ihrer Mutter nachgeraten. Maletta hatte sie in ordinären Situationen erlebt, doch nie war Dreck oder Ungeziefer an Lisa herangekommen. In ihrer Gegenwart hatten selbst verwilderte Frontsoldaten, denen jede Frau recht gewesen wäre, ihre Zoten vergessen, in ihrer Phantasie oder auch im Wehrmachtspuff im verkommensten Winkel der Sowjetunion – aber zu Lisa hatten sie aufgesehen.

      »Wer sind Sie?« fragte der Internierte; er war auf der Hut. Wenn einer bis zu ihm durchkam, war er vermutlich ein Schweinehund, der für die Militär-Regierung arbeitete. »Warum wollen Sie mit mir sprechen, Herr – Herr –«

      »Wegen Ihrer Tochter«, entgegnete Maletta, der noch immer seinen Namen nicht genannt hatte. »Wegen Lisa.«

      »Wer sind Sie?« fragte das vorübergehend auf Abstinenz gesetzte Biergesicht zum zweiten Mal.

      »Maletta«, nannte der Besucher seinen Namen: »Peter Maletta.«

      Der kleine Bormann versuchte vergeblich, sein Erschrecken zu verbergen: Das hätte nicht einmal ein Schauspieler vermocht, wenn er plötzlich einem Toten gegenüberstände, der ins Leben zurückgekehrt war.

      »Schon mal gehört, meinen Namen?« fragte Maletta spöttisch.

      »Kann schon sein«, entgegnete Schöller.

      Seine Wieselaugen gingen wieder auf die Flucht: »Aber ich erinnere mich nicht daran.«

      »Sie sind ein Lügner, Schöller.«

      Der Internierte schwieg. Er zeigte Verachtung. Er war verstockt, borniert, ein Mann, der sich nie ändern würde: Seine Zukunft war offensichtlich seine Vergangenheit.

      »Ich hab’ vielleicht mal eine Tochter gehabt«, sagte Schöller dann. »Aber ich kenne sie nicht mehr. Sie ist für mich nicht mehr vorhanden – eine –«

      »Eine was?« fragte der Besucher.

      »Eine Amizone.«

      »Was ist das, eine Amizone?«

      »Ein Amiflittchen, wenn Sie es genau wissen wollen.«

      Der Besucher beherrschte sich nur mühsam. Er spürte, wie ihm der Magensaft über die Speiseröhre hochschoß; mühsam drängte Maletta den Impuls zurück, Schöller anzukotzen.

      Im Vorfrühling war Maletta körperlich am Ende gewesen, unfähig zu begreifen, daß er im letzten Moment dem Tod von der Schippe gesprungen war. Er hatte Untergewicht, einen nervösen Schrumpfmagen, Hungerödeme, er litt an Kreislaufstörungen, an einem gefährlichen Erschöpfungszustand. Er war im Lazarett, sorgfältig betreut und fachmännisch behandelt, genesen, und hatte dabei wieder zehn Kilo zugenommen. Alle Medikamente, die man Maletta gab, sprachen an, aber als stärkste Droge erwies sich der Haß; der Haß hatte ihn an der Hand genommen und ins Leben zurückgeleitet.

      »Ich möchte wissen, wo sich Ihre Tochter Lisa zur Zeit aufhält oder aufhalten könnte, Schöller«, sagte Maletta mit harter Stimme.

      Der Internierte schwieg verbissen.

      »Sie sind ein Denunziant, Schöller. Ein Nutznießer. Vermutlich noch etwas viel Schlimmeres. Sie haben einen Freund Ihrer Tochter wegen eines harmlosen Witzes ins Strafbataillon 999 gebracht, wo er gefallen ist. Sie haben den eigenen Schwager nach Dachau schaffen lassen.« Maletta machte eine kurze Pause. »Lebt Ihr Schwager eigentlich noch?« fragte er dann.

      Horst Schöller preßte die Lippen aufeinander, bis sie weiß wurden.

      »Ich bin nicht zuständig für Sie und Ihre Vergangenheit. Das sind andere, aber«, fuhr der Besucher fort, »ich warne Sie. Machen Sie mich nicht zum Polizisten.«

      »Von mir erfahren Sie kein Wort über diese Amihure«, entgegnete sein Gegenüber. »Sie ist tot, für mich gestorben.«

      Maletta wußte, daß er von Schöller nur dann mehr erführe, wenn er die Methoden anwendete, mit denen er drangsaliert worden war. Soweit war er nicht. Noch nicht.

      Aber der Zorn überflutete ihn.

      Blindlings schlug er in den feuerroten Glutball vor seinen Augen.

      Er traf Schöller am Kinn. Der Schlag klemmte dessen Zunge zwischen die Schneidezähne.

      Der Mann knallte jaulend nach hinten, gegen die Wand aus Trockenei.

      Der linke Stapel geriet ins Wanken, fiel zusammen, begrub Schöller unter einem Berg von Pappe, Eipulver und Wachspapier. Ein weiterer Stapel krachte auf ihn. Der kleine Bormann war von Kartons zugedeckt, die sich groteskerweise bewegten. Erst kam seine linke Hand zum Vorschein, dann das gepuderte Gesicht mit den verdrehten Augen.

      Der Lärm rief die anderen Internierten und ihre Bewacher herbei.

      Auch der Militär-Polizist hatte sein Sonnenbad unterbrochen und stand in der Tür.

      Er betrachtete genüßlich das Eipulver-Desaster.

      »Let’s go, fellow«, sagte der GI aus Manhattan-South grinsend und klopfte Maletta anerkennend auf die Schulter. »You have got your fun.«

      Während Maletta in den Jeep einstieg, pirschte sich einer der Internierten an ihn heran: »Schöller ist ein ganz mieses Stück Scheiße«, sagte er hastig, der Mann mußte das Gespräch im Schuppen belauscht haben. »Seine Tochter wohnt bei der Schwester ihrer Mutter in München-Haidhausen«, raunte er. »Sie heißt Herbst, Anna Herbst. Straße weiß ich nicht, aber –«

      »Besten Dank«, rief Maletta, als der Jeep schon angefahren war.

      Die Polen nahmen ihm das angebrochene Päckchen mit sieben chesterfields ab, die er in der Tasche hatte. Es war ein geringer Preis für die erste Fährte, die er aufgenommen hatte und verfolgen würde.

      Seit der Ankunft des Generals war die von der CIC requirierte Villa in München-Solln hermetisch abgeriegelt. Vor dem Haus stand ein Doppelposten, je zwei Soldaten gingen permanent in entgegengesetzten Richtungen um die hohe Gartenmauer herum. In der weiteren Umgebung des Grundstücks patrouillierten Jeeps der Militär-Polizei.

      »Gentlemen, zur Stunde stauen sich 4000 Fahrzeuge unserer 2. Panzerdivision auf der Autobahn von Helmstedt nach Berlin«, hatte General Patton seine Befehlsausgabe eingeleitet. »Die Russen haben unseren von General Clay vorgelegten Durchfahrtsplan über zwei Straßen und drei Bahnlinien abgelehnt. Sie haben bei Helmstedt eine Sperre gegen unseren Konvoi errichtet und die Kolonne in brütender Hitze über zwei Stunden warten lassen.« Er redete sich in Rage: »Das ganze Affentheater erscheint mir typisch für unsere schwachsinnige Politik. Wir räumen freiwillig Sachsen und Thüringen und lassen uns nicht einmal den freien Zugang nach Berlin garantieren. Und gleich hinterher machen wir den nächsten Fehler und übergeben den Sowjets, um überhaupt nach Berlin zu kommen, eine Aufstellung unserer Soldaten und Waffen. Wir setzen unsere Boys einem heillosen Durcheinander


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