Und wenn die Welt voll Teufel wär. Rudolf Stratz

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Und wenn die Welt voll Teufel wär - Rudolf Stratz


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      Bruno Lotheisen sprang auf.

      „Und dann . . . kam er?“

      „Dann kam es über mich, Bruno . . .“

      „Und an mich . . . hast du nicht gedacht . . .?“

      Und immer wieder dasselbe: „Ich dachte, du seiest tot . . . Da habe ich dem, was über mich kam, nicht widerstanden. Nicht widerstehen wollen. Ich habe mich gläubig dem neuen Glück hingegeben. Du selbst hast das ja bei unserem letzten Abschied gewollt.“

      Ein Schweigen, ein Stöhnen: „Wann hast du ihn kennengelernt, Lonny?“

      „Vor drei Wochen.“

      „Wann habt ihr euch gesagt, dass . . . ihr euch liebt?“

      „Vor acht Tagen.“

      „Es ging schnell.“

      „Ich hielt dich für tot. Ich bin jung. Einsam. Ich wartete auf ein zweites Leben.“

      „Du liebst ihn?“

      Lonny Lotheisen stand unbewegt, mit herabhängenden Armen, den Blick am Boden. Sie sagte ganz leise: „Ja.“

      „Du liebst ihn sehr?“

      Ihr „Ja“ war nur ein Hauch.

      „Du kannst nicht zurück“

      Es kam keine Antwort.

      „Lonny, sprich!“

      Es war ein Flüstern, wie aus weiter, geheimnisvoller Ferne, von ihren Lippen: „Ich hielt dich für tot. Es ist überstark in mir geworden. Ich kann nicht zurück.“

      Der Architekt Bruno Lotheisen ging drei-, viermal mit schweren Schritten, ohne seine Frau anzusehen, durch das dumpfe Schweigen des Gemachs. Er machte halt. Sein Antlitz war verfallen. Seine Stimme war heiser.

      „Und mich . . . mich liebst du gar nicht mehr?“

      „Doch.“

      Er lachte wild.

      „Lonny! Du hast vorhin gesagt, du seist eine ehrbare Frau . . . Das glaube ich dir. Das weiss ich.“

      „Bei Gott im Himmel, Bruno: Ja. Das bin ich geblieben.“

      „Wie kannst du also sagen, dass du zwei Männer liebst?“

      ,,Ich liebe dich, Bruno, wie man einen Toten liebt . . .“ und ihn, wie man einen Lebenden liebt . . .“

      Lange fiel in dem Zimmer kein Wort mehr.

      Bruno Lotheisen sah vor sich den tiefgesenkten blonden Scheitel seiner Frau. Sie stand vor ihm in einer seltsamen, ruhigen, schicksalsschweren Ergebung. Sie rührte sich nicht in ihrer schweigenden Haltung. Sie atmete kaum. Sie bot ihm förmlich den weissen Nacken zum Streich. Es ging ihm durch den Kopf: In meinem Schreibtisch nebenan muss noch mein einer Parabellum liegen. Wenn ich die Waffe herausreisse und auf sie abdrücke — ich glaube, sie lässt es ohne Widerstand geschehen . . .

      Aber darf ich denn das? Habe ich denn irgendein Recht dazu? Sie ist ein ehrlicher, anständiger Mensch. Sie hat mir alles gesagt. Sie ist ohne Schuld. Sie hat nur das getan, was ich selbst, aus Liebe zu ihr, wollte . . .

      Er durchmass noch einmal den Salon, blieb stehen, gähnte plötzlich und sagte ruhig mit müder, trockener Stimme: „Die Reise hat mich mitgenommen. Ich will mich jetzt nebenan im Arbeitszimmer auf den Diwan schlafen legen.“

      Noch rührte sie sich nicht.

      „Gute Nacht.“

      Es klang hart. Da wandte sie sich leise schluchzend ab und ging nach hinten und zu gleicher Zeit er nach der anderen Seite in sein Gemach. Dort hörte er noch von fern, leise, zwei Türen sich schliessen. Er war allein . . .

      Bruno Lotheisen schob die Rolltüre zwischen dem Salon und dem Arbeitszimmer zu. Zog den Fenstervorhang vor dem Schreibtisch zurück. Schwaches Licht fiel von draussen, von den spärlichen Laternen des Kurfürstendamms her, in das Dämmern seiner vier Wände. Atemlos, wie ein Schäferhund die Häuser der Reichen bewachend, mit grellweiss den Asphalt erhellenden Riesenaugen, raste unten wieder das Lastauto mit Fackeln und Bewaffneten vorbei.

      Er sah es leer und geistesabwesend. Er drehte sich vom Fenster um und öffnete die eine Schublade seines Schreibtisches. Er wollte nachschauen, ob darin wirklich noch der Parabellum lag, an den er vorhin gedacht. Ja. Da rundete sich im Zwielicht der lange, mattgebräunte Lauf. Er nahm die Waffe heraus. Fühlte mit der Hand. Sie war gesichert. Also richtig noch geladen. Er hatte bei seiner letzten Abreise vergessen gehabt, die Pistole wegzuschliessen und sich Vorwürfe gemacht und Lonny noch eigens geschrieben, sie möge irgendeinen ihr bekannten Offizier in Berlin bitten, den Schiessprügel zu entladen. Natürlich hatte sie’s verschwitzt.

      Zweieinhalb Jahre. Ob das Ding nach so langer Zeit noch losging? Wahrscheinlich. Ziemlich sicher sogar. Es hatte ja da ganz trocken und staubfrei gelegen. Man brauchte nur die Mündung etwas hinter die Schläfe zu richten. Dann würde man ja sehen. Ein Knall, und alles war vorbei. Ein Griff nach der Waffe. Die Augen zu . . .

      Nein . . . nein . . .

      Er dachte an seine Frau. Mit einem plötzlichen, bangen, verlangenden, stürmischen Herzklopfen, das jäh über ihn kam, das er nicht vor sich wahr haben wollte, das er, beide Hände an die Brust gepresst, in sich zu dämpfen suchte, in dem er doch seinen innersten Menschen erkannte: Schwachheit . . . dein Name ist Mann . . . Ich liebe dich doch immer noch, Lonny . . . so heiss wie je zuvor . . . ich liebe dich . . . Ich . . . liebe deinen Leib und deine Seele . . . Was machst du jetzt da hinten? Weinst du? Betest du? Fluchst du mir? . . . Bist du froh? Oder liegst du stöhnend auf den Knien, um deine mattglänzenden blossen Schultern in goldenen Wellen dein gelöstes schönes Haar, und bebst und keuchst in Todesangst vor demselben Nachtgedanken, der sich hier um mein Herz krallt, zitterst mit schreckensweiten Augen und offenem Mund vor dem fernen, dumpfen, unheilverkündenden Pistolenkrach hier aus meinem Zimmer, der dir meldet, dass du zum zweiten Male Witwe bist, und diesmal für immer?

      Er lachte bitter: Nun — und was ändert sich für dich? Ich war für dich tot. Ich werde es wieder. Nur ein paar Stunden trat ich als ein Gast aus einer anderen Welt, ein verwilderter Wiedergänger aus Granattrichtern und zerfetztem Stacheldraht, in dein warmblütiges Leben und schwinde wieder in Nacht und Nichts. Du atmest auf und liebst mich weiter wie einen Toten. Deine roten Lippen haben selbst mein Urteil gesprochen: Wie einen Toten . . .

      Horch! . . . Er warf den Kopf zurück und stand lauernd stille . .

      Horch! . . . Ein süsser Schrecken, der den Atem nahm . . . Ein ungläubiges Glück . . . jäh aufgedeckt bebten und sangen die letzten, ihm unbewussten Saiten seiner Seele . . .

      Horch . . . Ein zitterndes Entzücken: Sind da nicht leise, ganz leise Schritte nebenan? . . . Kommt es nicht auf leichten Sohlen näher . . . zaghaft . . . bittend? Er krampfte die Hände über dem Herzen zusammen. Schlich in trunkener Erwartung zur Türe. Legte das Ohr an das Holz . .

      Gleich wird es pochen . . . leise . . . ganz leise . . . Gleich wird ein weicher, weher Hauch von aussen flüstern: Bruno, mach mir auf! . . .

      Alles still. Er wartete. Alles still. Er blickte verstört auf. Alles still. Er öffnete die Tür . . .

      Schaute in den Salon. Der lag leer im Dämmerlicht. Die Tür nach hinten war geschlossen. Niemand hatte sie geöffnet. Niemand war dagewesen. Niemand. Es war eine Sinnestäuschung seines hämmernden Bluts . . .

      Also gut. Tür zu. Er lachte wild auf. Zornig griff er nach der Pistole. Umspannte eine Zentnerlast. So bleischwer wuchtete die Waffe in seiner Hand, zog seinen Arm zu Boden, als hätte ein unsichtbarer Freund ihn ergriffen, um den Schuss abzulenken

      Und er sagte sich: Der Freund bist du, mein Gott, an den ich glaube. Deine Vaterhand hält mich zurück.

      Herr, dein Wille geschehe. Bruno Lotheisen legte den Parabellum wieder hin. Er sprach laut vor sich hin ins Leere: „Nein!“

      „Nein. Ich lebe. Ich will leben.“ Plötzlich standen im


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