Lu, die Kokotte. Artur Hermann Landsberger

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Lu, die Kokotte - Artur Hermann Landsberger


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      Artur Hermann Landsberger

      Lu, die Kokotte

      Berliner Roman

      Saga

      „Wie Stechfliegen einen die ganze Nacht wach halten, so plagt mich euer Gerede von Menschenliebe und Gerechtigkeit.“

      (Lao-Tse zu Kong-Fu-Tse.)

      I.

      Es roch noch immer nach Lorbeerblättern, Rosen und Veilchen. Die breiten Wände des ausgeräumten Eßsaales waren mit schwarzem Tuche überspannt. Vor den großen Spiegeltüren, die an beiden Seiten in die Nebenräume führten, standen noch gedrängt die Efeukästen und Palmen. Zwischen den Riesenkandelabern, die in gerader Linie nebeneinander unten im Saale standen, lagen die letzten Kränze; die wohl zu spät gekommen oder, da der Wagen sie nicht mehr faßte, aus Not zurückgeblieben waren.

      Die eine Spiegeltür wurde aufgerissen.

      „Fabelhaft, fabelhaft“, sagte der Professor.

      „Es riecht überall gleich stark nach Menschen“, stöhnte Ida. „Man hätte, während wir auf dem Kirchhofe waren, wahrhaftig lüften können. Aber Rücksichten kennt sie nun einmal nicht, deine Nichte Fanny.“

      „Hier ist’s erträglicher“, erwiderte der Professor, schnüffelte in den Eßsaal und schob sich durch die Tür. Ida folgte:

      „Meinetwegen!“

      Auch die andern kamen: Regierungsrat Störmer mit Gattin, Oberlehrer Sasse mit Frau, Hofbankier Walther nebst Gemahlin. Alle in tiefer Trauer. Die Männer in zugeknöpftem Gehrock mit Zylinder; gekränkt, ernst, würdevoll, kerzengerade. Die Frauen mit blassen Gesichtern, rotgeweinten Augen und traurig mitleidsvollen Mienen.

      „Setzt euch“, sagte der Professor.

      Sie schoben die Stühle, die durcheinander standen, in einen Halbkreis und setzten sich. Die Männer legten ihre hohen Hüte unter die Stühle, die Frauen zogen die Leinentücher aus den Taschen und weinten.

      Nur der Professor stand noch.

      „Ihr seid damit einverstanden, daß wir mit Fanny das Notwendigste gleich jetzt besprechen?“

      Die Männer sagten „Ja“; die Frauen nickten mit den Köpfen.

      „Kann man denn nicht wenigstens bis morgen damit warten?“ schluchzte die Gemahlin des Hofbankiers Walther.

      „Nein!“ sagte kurz der Professor und unterdrückte damit den Widerspruch Sasses, der auch gerade den Mund auftat, um zu sprechen. Der Professor schritt würdevoll zur Tür, rief dem Diener und befahl mit tiefer Stimme:

      „Sagen Sie meiner Nichte, daß die Familie sie hier erwartet.“

      Der Diener zögerte: „Gnädige Frau haben mir streng befohlen, heute jeden Besuch ...“

      Weiter kam er nicht; der Professor schob ihn zur Seite. Man hörte, wie er mit starken Tritten über den Korridor schritt, jetzt stehen blieb, kräftig an einer Tür pochte, öffnete, eintrat ....

      Nun, da man nichts mehr hörte, atmeten die Frauen tief auf; die Männer räusperten sich; der Oberlehrer spuckte ins Taschentuch; der Regierungsrat sah’s und wandte sich ab; der erstaunte Diener schüttelte den Kopf und flüsterte: „Shoking!“ Nur die Gemahlin des Hofbankiers schluchzte noch immer ...

      Da wurden von neuem die Tritte des Professors hörbar; die Frauen begannen wieder zu weinen; die Männer räusperten sich nicht mehr; der Oberlehrer steckte sein Schnupftuch in die Hosentasche; der Diener stand kerzengerade, und in die Tür trat: der Professor! An seinem Arme hing Fanny, die kaum die Füße rührte. Ernst und entschieden schob er sie neben sich her, führte sie zu einem Sessel und sagte kurz:

      „Setz’ dich.“

      Fanny glitt willenlos in den Sessel. Sie hatte längst keine Tränen mehr und stierte mit glanzlosen Augen teilnahmslos vor sich hin. Sie sah nichts und wußte nichts; weder was diese Menschen hier von ihr wollten, noch was nun weiter wurde. „Nur nicht denken, nicht denken!“ rief sie sich zu, so oft sie aus ihrer Anästhesie erwachte.

      Der Professor war anderer Ansicht.

      „Wir haben bis jetzt geschwiegen“, begann er mit kräftiger Stimme; „nun aber ist es endlich an der Zeit zu reden.“

      Das war ganz dumm, denn draußen schaufelten die Leichengräber noch an dem Grabe. Aber es wirkte. Einmal, weil es echt war und dann, weil bei allen die Neugier, mehr von den Motiven zu hören, die „diesen lebensfrohen Menschen mitten aus der Fülle seines künstlerischen Schaffens“ — das waren die Worte des Geistlichen gewesen — in den Tod getrieben hatten, größer war als die konventionelle Trauer, für deren Äußerung ja später noch Zeit und Gelegenheit genug blieb.

      „Liebe Fanny,“ fuhr er in feierlichem Tone fort, „das reine Wappenschild unserer Familie ist durch diesen gewaltsamen Tod und seine Zusammenhänge beschmutzt. Es ist unsere Pflicht, aus Pietät für die Toten“ — hier schluchzte die Frau des Oberlehrers — „wie aus Rücksicht auf die lebenden Mitglieder unserer Familie, diesen Schandfleck zu tilgen.“

      „Sehr richtig!“ rief der Regierungsrat, und der Oberlehrer nickte so lebhaft mit dem Kopfe, daß ihm der Kneifer von der Nase flog.

      „Und zwar so schnell wie möglich!“ fuhr der Professor fort. „Ich habe daher den Rechtsanwalt Heinrich gebeten, gemeinsam mit uns zu beraten, was im Interesse des Rufes der Familie zu geschehen hat. Wir rechnen dabei mit Bestimmtheit auf dich, Fanny. Für dich kann es ja in dieser Stunde nur eine Pflicht geben: die Schuld deines seligen Mannes zu sühnen. Bist du dazu bereit?“ fragte er sie.

      Fanny saß teilnahmslos und hörte nichts. Als er ihr jetzt: „Bist du bereit?“ in die Ohren brüllte, sah sie auf und sagte leise: „Ja“, ohne zu wissen, was man von ihr wollte. Es ist ja auch ganz gleich, dachte sie.

      Der Professor gab ein Zeichen. Der Diener öffnete die Tür, und der runde, kleine Anwalt polterte herein. Wie drei aufeinander gestülpte Kugeln sah er aus, legte Hut und Mantel ab, schlug die Hacken zusammen, beugte den runden Oberkörper nach vorn und küßte der Gemahlin des Hofbankiers ehrfurchtsvoll die Hand, drückte die der Frau Regierungsrat mit verbindlichem Lächeln, grüßte mit kurzer Kopfbewegung zur Frau Oberlehrer hinüber und sagte, ohne sich zu bewegen, kurz und steif: „Tag!“, als er bei Fanny vorüberschritt. Dann setzte er sich neben den Professor.

      „Was zunächst die finanzielle Seite dieses Trauerfalles angeht, so hat dein Mann trotz seines großen Einkommens, es waren wohl an die 60 000 Mark im letzten Jahre“ — hier lächelte die Frau des Hofbankiers Walther, aber der Frau des Oberlehrers stieg das Blut in den Schädel, und sie stieß ihren Mann an — „wie du ja weißt, keinen Pfennig Vermögen hinterlassen.“

      Vorwurfsvoll fuhr er fort: „Du, Fanny, kanntest seine leichtlebige Art, aber leider: du machtest nicht einmal den Versuch, ihn zur Sparsamkeit anzuhalten; du bist also mit schuld daran, wenn du mit deinen Kindern heute mittellos dastehst; hättet ihr nur die Hälfte eures Einkommens jährlich zurückgelegt, so würdet ihr heute nicht der Familie zur Last fallen.“

      Er trat einen Schritt vor.

      „Blickt auf mich! Ich gehöre seit fünfzehn Jahren als Extraordinarius dem Lehrkörper der königlichen Universität an, bin Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums und seit nunmehr sechzehn Jahren Kandidat der nationalliberalen Partei im Kreise Dortmund-Hoerde. Es ist, wenn die heutige Konstellation bis zu den nächsten Wahlen anhält, durchaus nicht ausgeschlossen, daß ich eines Tages als Volksvertreter in den Deutschen Reichstag einziehe“ — er machte eine Pause, denn er wollte die Wonnen dieser, wenn auch noch so fernen, Aussicht ganz genießen. — „Aber“ — und er unterstrich jedes Wort — „ich brauche trotz der Verpflichtungen, die mir meine hohe soziale Stellung auferlegt, noch nicht die Hälfte von dem, was ihr jahrein, jahraus vergeudet habt. Ich lege Wert darauf, heute daran zu erinnern, daß ich vor zweiundzwanzig Jahren schon gegen diese Ehe Fannys mit einem Künstler war. Allen diesen mir so wesensfremden Menschen fehlt gerade das, was wir als die bedeutsamste Tugend von einem jeden deutschen Manne, gleichviel welcher Konfession und welcher politischen Richtung er angehört, entschieden fordern müssen: die innere Gebundenheit! Das Pflichtgefühl!


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