Die Unterwerfung der Frauen. John Stuart Mill

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Die Unterwerfung der Frauen - John Stuart Mill


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denn das würde nahelegen, dass man sich des Beschämenden dieser Verfassung bewusst gewesen wäre, was nicht der Fall war, außer bei Philosophen oder Heiligen. Die Geschichte vermittelt uns ein durchweg grausames Bild von der menschlichen Natur, indem sie uns zeigt, wie genau die Rücksicht, die man dem Leben, dem Eigentum und dem ganzen irdischen Glück einer Klasse von Menschen schuldig zu sein glaubte, nach nichts anderem als ihrer jeweiligen Sanktionsmacht bemessen wurde. Alle, [266] die sich der über Waffen verfügenden Autorität widersetzten – mochte die Veranlassung dazu eine noch so entsetzliche gewesen sein –, hatten nicht nur das Recht des Stärkeren, sondern alle Gesetze und sozialen Normen gegen sich, und in den Augen der Mächtigen waren sie nicht nur Verbrecher, sondern Verbrecher der allerschlimmsten Art, die die grausamsten Strafen verdienten, die Menschen anderen antun können. Der erste schwache Schimmer [20]eines Gefühls der Verpflichtung eines Höhergestellten zur Anerkennung der Rechte Untergebener zeigte sich erst, als er durch irgendwelche Umstände genötigt war, ihnen gegenüber ein Versprechen abzugeben. Auch wenn diese Versprechen, selbst wenn sie durch die feierlichsten Eide bekräftigt worden waren, jahrhundertelang bei den nichtigsten Anlässen gebrochen wurden, ist es doch wahrscheinlich, dass dies – ausgenommen bei Mächtigen von einer noch unter dem Durchschnitt liegenden Moral – selten ganz ohne Gewissensskrupel geschah. Die alten Republiken, die zumeist anfangs auf einer Art gegenseitigen Vertrag gegründet oder durch den Zusammenschluss von Personen von etwa gleicher Stärke gebildet wurden, lieferten das erste Beispiel einer gesellschaftlichen Verbindung, die sich von der allgemein üblichen absonderte und sich unter ein anderes Recht als das des Stärkeren stellte. Und obwohl das ursprüngliche Recht des Stärkeren zwischen den Freien und ihren Sklaven und ebenso (wo es nicht durch ausdrücklichen Vertrag beschränkt war) zwischen dem Staat und seinen Untertanen und andern unabhängigen Staaten in voller Kraft weitergalt, ging doch von der Aufhebung dieses Rechts für diesen engen Bereich eine Regeneration der menschlichen Natur aus und ließ Anschauungen entstehen, von denen die Erfahrung bald zeigte, dass sie auch für die materiellen Interessen der Menschen außerordentlich wertvoll waren und von da an nicht eigens geschaffen, sondern lediglich erweitert werden mussten. Auch wenn die Sklaven kein Teil der Republik waren, waren es doch die freien Staaten, die als erste anerkannten, dass Sklaven als Menschen Rechte haben. Die Stoiker waren, glaube ich, die ersten (mit Ausnahme des [21]jüdischen Gesetzes) die als einen Teil ihrer Moral lehrten, dass der Freie gegen seine Sklaven moralische Verpflichtungen hat. Seit dem Auftreten des Christentums konnte keinem mehr diese Lehre – zumindest in der Theorie – ganz fremd sein. Mit dem Aufstieg des Katholizismus gab es immer Menschen, die für sie eintraten. Aber ihre Durchsetzung war eine der schwersten Aufgaben, die das Christentum zu bewältigen hatte. Über mehr als tausend Jahre kämpfte die Kirche ohne nennenswerten Erfolg. Nicht, weil es ihr an Macht über die Gemüter der Menschen mangelte – ihre Macht war gewaltig. Sie konnte Könige und Fürsten dazu bringen, auf ihre kostbarsten Schätze zugunsten des Reichtums der Kirche zu verzichten. Sie konnte Tausende dazu bringen, sich in der Blüte ihres Lebens und im Vollbesitz irdischer Privilegien in Klöstern einzuschließen, um durch Armut, Fasten und Beten das Seelenheil zu erlangen. Sie konnte Hunderttausende über Land und Meer, durch Europa und Asien schicken, um für die Befreiung des Heiligen Grabes ihr Leben zu lassen. Sie konnte Könige dazu bringen, sich von Ehefrauen loszusagen, die sie leidenschaftlich liebten, nur weil die Kirche erklärte, dass sie mit ihnen im siebten (nach unserer Berechnung im 14.) Grad verwandt waren. So viel hat die Kirche vermocht. Was sie nicht vermochte, war, die Menschen dazu zu bringen, sich weniger zu bekämpfen oder ihre Leibeigenen und, soweit sie dazu in der Lage waren, ihre Untergebenen weniger grausam zu behandeln. Sie konnte sie nicht dazu bringen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, sei es kämpfende oder sei es triumphierende Gewalt. [267] Dazu war nur eine andere, überlegene Gewalt fähig. Nur die wachsende Macht der Könige setzte den bis dahin [22]geführten Kämpfen ein Ende, außer denen zwischen den Königen selbst und den Bewerbern auf die Königswürde. Nur durch das Erstarken eines reichen und waffentüchtigen Bürgerstandes in den befestigten Städten und durch städtisches Fußvolk, das sich im Feld als mächtiger erwies als die undisziplinierte Reiterei, gelang es, die unverschämte Tyrannei der Adeligen über den Bürger- und Bauernstand zu begrenzen. Dieser Zustand bestand fort nicht nur bis, sondern noch lange nachdem die Unterdrückten so viel Macht erlangt hatten, dass sie gründlich Rache nehmen konnten. Auf dem Kontinent herrschte dieser Zustand noch vielfach zur Zeit der Französischen Revolution, während in England die frühere und bessere Organisation der wahlberechtigten Klassen ihm durch Einführung allgemeingültiger Gesetze und freie nationale Institutionen ein schnelleres Ende gemacht hatte.

      Solange man sich so wenig darüber im Klaren ist, wie vollständig das Recht des Stärkeren die bei weitem längste Zeit der Existenz des Menschengeschlechts das anerkannte Gesetz des allgemeinen Verhaltens und jedes andere nur die besondere und ausnahmsweise Folge spezieller Bindungen war, und seit wie wenigen Jahren es so ist, dass die gesellschaftlichen Angelegenheiten nach moralischen Prinzipien geregelt werden (oder dies zumindest beanspruchen), desto mehr gerät in Vergessenheit oder wird nicht bedacht, wie Institutionen und Sitten, die niemals in etwas anderem als dem Recht des Stärkeren gründeten, in Zeitalter und Denkweisen hinein fortbestehen, die ihre Ersteinrichtung niemals zulassen würden. Es ist noch nicht 40 Jahre her, dass es Engländern gesetzlich erlaubt war, Menschen als käufliches Eigentum in Knechtschaft zu [23]halten. Noch in unserem Jahrhundert war es zulässig, sie zu rauben, fortzuschleppen und buchstäblich zu Tode zu verschleißen. Dieses äußerste Extrem des Rechts des Stärkeren, das selbst von denen verurteilt werden dürfte, die ansonsten jede andere Form von Willkürherrschaft tolerieren, und das die Gefühle aller, die die Sache von einem unparteiischen Standpunkt aus sehen, auf das Höchste empört, war noch im zivilisierten, christlichen England zu einer Zeit Gesetz, an die sich einige der heute Lebenden noch erinnern können. In der einen Hälfte des angelsächsischen Amerika gab es vor drei oder vier Jahren nicht nur die Sklaverei; auch der Sklavenhandel und die Aufzucht von Sklaven zum Zweck des Verkaufs war zwischen den Sklavenstaaten gängige Praxis. Allerdings wurde diese Praxis nicht nur überwiegend abgelehnt, es gab, zumindest in England, auch weniger Fürsprache und Interesse zu seinen Gunsten als bei den anderen üblichen Formen von Machtmissbrauch. Denn sein Motiv war Gewinnsucht, nackt und unverhüllt, und die, die davon profitierten, waren zahlenmäßig nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung, während das natürliche Gefühl aller, die daran kein persönliches Interesse hatten, purer Abscheu war. Ein so extremes Beispiel macht es eigentlich überflüssig, weitere zu nennen. Doch nehmen wir uns einmal die lange Dauer der absoluten Monarchie. In England herrscht gegenwärtig fast durchweg die Überzeugung, dass militärischer Despotismus nichts anderes als eine Form des Rechts des Stärkeren ist und keinen anderen Ursprung und keine andere Rechtfertigung hat. Dennoch existiert er in allen großen europäischen Staaten außer England noch heute oder hat erst vor kurzem zu existieren aufgehört und hat gerade [24]gegenwärtig starke Fürsprecher in allen Schichten des Volkes und insbesondere unter Personen von Rang und Einfluss. So groß ist die Macht eines etablierten Systems, auch wenn es längst nicht mehr universell ist und es in jeder Periode der Geschichte in Gemeinwesen, die ausnahmslos zu den berühmten und wohlhabenden gehörte, große und wohlbekannte Beispiele des [268] gegenteiligen Systems gegeben hat. Auch in diesem Fall ist der illegitime Inhaber der Macht und derjenige, der ein direktes Interesse an dieser Macht hat, nur eine einzige Person, während die, die ihr unterworfen sind und unter ihr zu leiden haben, wortwörtlich alle übrigen sind. Das Joch, das ihnen auferlegt wird, ist natürlicher- und notwendigerweise für alle demütigend, mit Ausnahme des einen, der auf dem Thron sitzt, allenfalls zusammen mit dem, der Aussichten hat, sein Nachfolger zu werden. Wie sehr unterscheiden sich diese Beispiele von der Herrschaft der Männer über die Frauen! Ich will die Frage der Rechtfertigbarkeit nicht vorab beantworten. Ich will nur zeigen, wie diese Herrschaft, selbst wenn sie sich nicht rechtfertigen ließe, doch zwangsläufig sehr viel langlebiger sein musste als diese anderen Formen von Herrschaft, die dennoch bis in unsere Zeit fortgedauert haben. Die Genugtuung, die die Ausübung von Macht dem Stolz gewährt, und das persönliche Interesse an ihrer Ausübung ist in diesem Fall nicht auf eine bestimmte begrenzte Klasse beschränkt, sondern ist etwas, was das gesamte männliche Geschlecht gemeinsam hat. Anders als Ideale, die für ihre Anhänger im Wesentlichen abstrakt bleiben, oder politische Ziele, für die Parteien kämpfen, aber allenfalls für deren Führer von privater Bedeutung sind, geht es hierbei um Haus und Herd jedes Familienoberhaupts und [25]eines jeden, der diese Rolle


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