Der verwehte Brief. Utta Keppler

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Der verwehte Brief - Utta Keppler


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Tagen nur diese Freundin, aber es kamen andere, die Voßler, die Conzin, und alle fragten nach ihrem Mann, dem blassen, freundlichen Franz, dem guten Simanowiz.

      Ludovike gab gequält Antwort. Sie empfand das Fremde dieser kaum Versehrten Welt – sie hatten im Krieg liebe Menschen verloren, in den Kämpfen oder kleinen Gefechten gegen die vorrückende Revolutionsarmee, sie hatten Einquartierungen überstanden und Hunger gelitten; aber sie hatten nicht das tägliche unentrinnbare Gemetzel um sich her erlebt, das sie selbst wie einen Alptraum durchwatete, dieses Entsetzliche, das sich dem Mitlebenden darbot als ein zerfleischtes, fleischlüsternes Fratzengesicht.

      Ludovike ging bedrückt herum, putzte, räumte auf, wusch und flickte ohne Lust und nur dem Vater zuliebe. Endlich nahm sie sich – zum wievielten Mal! – vor, zu malen: exakt, gegenständlich und phantasielos, eine Fleißarbeit, eine Übung – wenigstens das müßte ihr gelingen, damit es die Träume verstellte.

      Der Vater Reichenbach hatte ihr Atelier zu seinem Rauchzimmer gemacht, die Mappen waren an die Wand gelehnt, die Stifte und Tuben in ein Kistchen verpackt, nur ein alter Ohrenstuhl stand noch da. Ludovike war froh über die Unordnung, die sie mit ihren raschen Händen zurechtbringen konnte. Reichenbach ließ sie gewähren, er fügte sich sogar gern, jetzt, wo sie den Takt seines ereignisarmen Lebens bestimmte.

      II

      Der Februar dämmerte, die Tage wurden nie ganz hell, ein kraftloser Wind schlich um die Ecken, manchmal flirrte dünner Schnee aus den verblasenen Wolken. Christophine Schiller kam oft und erzählte Ludovike von ihrem großen Bruder. Er sei viel krank, sagte sie bekümmert, er huste und brauche Medizinen, aber er schreibe, lese seine Kollegs, zu denen freilich nicht mehr so viele Hörer kämen wie anfangs – ach, er lebe nur seinen Schriften.

      Ludovike tastete über das blaue Tuch ihres Kleides, als male sie.

      »Du solltest ihm schreiben, daß ich da bin.«

      »Das hab’ ich längst getan.«

      Die beiden saßen noch eine Weile stumm vor dem Ofen, Christophine zeichnete, und Ludovike verbesserte mit sicheren Strichen, lobte und erklärte. Reichenbach machte einen »Schneegang«, wie er seine Wege vor die Stadt nannte.

      Es schellte draußen am Haustor. Christophine empfahl sich hastig und lief durch den Küchengang in den Garten; sie wolle noch etwas besorgen. Ludovike machte die schwere Tür auf. Draußen stand in der ersten Dämmerung eine zottige Gestalt. Sie schrie – er mußte es ja sein –, griff heftig nach ihm, nach seinem Arm, und zog ihn heran. Licht fiel aus der Stube auf das Gesicht. Sie fuhr zurück: »Du? Der Mettenleiter?« Der Mund grinste breit. »Du kommst zu mir?«

      Der Gast wankte herein, schob sie zur Seite, griff sich einen Sessel und fiel hinein; er lachte laut. »Von mir aus hättest du noch länger glauben dürfen, er wär’s!« Er hob das Stoppelgesicht. »Er ist also noch nicht da?« Ludovike drängte sich unsicher in die Sofaecke. »Johann Jakob Mettenleiter – den hätt’ ich am wenigsten erwartet«, murmelte sie verwirrt.

      »Warum so feierlich? Du wirst’s hinnehmen müssen, daß ich zuerst den Weg gefunden hab’!« Er streckte die Beine in den schmutzigen Stiefeln aus. »Es ist weit genug von Italien herauf und lang genug her, seit ich damals entlaufen bin, als mich unser erhabener Herzog gern hätt’ greifen lassen«, er sah sie eindringlich an, »und um ein Haar wär’ ich umgekommen auf den verdammten Seglern, im Sturm oder am Skorbut oder unter den Meuterern oder, wenn das alles noch nicht gelangt hätt’ – im Seuchenlazarett, wie die meisten.« »Hör auf! ›Die meisten‹– ihm muß es ja nicht so gehen!«

      Mettenleiter knurrte: »Ihm! Daß du den Leutnant Simanowiz hast nehmen mögen, das ist schier komisch – du! Malst denn nimmer?« Er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Mir hat’s die Kunst ausgetrieben bis auf einen schäbigen Rest; ich bin halt ins Schwimmen geraten – siehst’s ja«, er klopfte verlegen auf die verschmierte Weste und strich die Haarsträhne aus der Stirn, »seit ich weg bin, seit du es nicht einmal mehr für nötig gehalten, mir zu antworten…«

      Sie sah erstaunt auf.

      »Oder wär’ ich sonst so plötzlich fort? Wär’ ich nicht

      – trotz Herzog und Verbot – geblieben, solang es irgend ging? Wer hat mich denn so weit gebracht, wer?«

      »Du trinkst, ich seh’s doch«, sagte sie traurig.

      »Ja, was sonst?« fuhr er auf. »Da steckt man im Elend bis an den Hals, unter den Menschenschindern, und hätte doch zurückkommen können; sie hätten’s toleriert, wenn ich’s versucht hätt’, wenn ich ein braver Hofmaler hätt’ werden wollen. Alles hätt’ ich getan, auch das, mich gezwungen und gezwängt, wenn du…« Sie lenkte sofort ab. »Das wäre dir auch gelungen, Jakob, und ich traue dir zu, daß dein Genie sich durchsetzen könnte, auch wenn sie dir ihre abgelebten Motive vorschreiben – die Apotheosen und Gloriolen ums Haupt des hohen Herrn…«

      »Das meinst du?« Er sprang auf und stützte sich auf den Tisch. »Das hab’ ich auch einmal geglaubt, damals. Ich hatte es dir gesagt; du wußtest, daß ich auf deine Antwort wartete. Ich hab’ so gewartet…«

      Mettenleiter legte die Hände vors Gesicht und warf sich wieder in den Stuhl. »Wir zwei hätten den Himmel gestürmt, die große Kunst wäre uns zugefallen wie ein reifer Apfel, dir und mir, du hättest mich gehalten; aber du hast nicht einmal Antwort geben mögen.« Er wühlte den Kopf in den Händen hin und her, mit verdeckten Augen. Die Stimme war schwankend geworden, als säße ihm das Weinen in der Kehle.

      Ludovike ging schnell auf ihn zu. »Ich hab’ nicht gewußt, daß du wartest!«

      »Nicht?« Er nahm die verkrampften Finger auseinander und ließ die Arme sinken. »Du hättest es vielleicht doch gewagt? Mit mir?« Er fragte feierlich: »Es hat also nicht an dir gelegen?«

      Ludovike stellte sich ans Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer. »Jakob, es fällt mir jetzt schwer, dir das zu sagen, aber ich hätt’ es nicht gewagt mit dir.« Mettenleiter wurde blaß. Er packte die Armlehnen und warf sich im Sitzen herum, als schlüge ein Pendel wild aus. »So? So! Du hättest es nicht mit mir gewagt? Hast mich mit Willen vor die Hunde gejagt, mein ›Genie‹ – du hast das Wort gebraucht – verludern lassen und mit Wissen zerrissen, was zueinander gehört von Anfang an? Du weißt wohl nicht, was du sagst!« Er lachte gereizt.

      Sie versuchte, zu ihm durchzudringen, und spürte gleich, daß alles nichts nützte. »Jakob, hör doch, Jakob!«

      Irgendein Mensch jetzt, eine Hilfe! dachte sie verzweifelt.

      In Mettenleiters Gesicht zuckte es wie eine böse Flamme.

      »Also, wie die Madame Leutnant befehlen! Deswegen stirbt der Jakob noch lange nicht; aber heute war’s das letzte Mal, daß ich gekommen bin; das Tor ist zu. Es hat was umgeschlagen, Ludovike, sollst sehen wohin, du!« Er stieß den Stuhl an den Tisch, daß die Gläser zusammenklirrten.

      Da schepperte die Glocke draußen. Sie hastete hinaus und riß den Riegel zurück; erleichtert erkannte sie den Postboten und führte ihn herein. Gestern sei wieder ein Reitender mit etlichen Säcken aus Straßburg gekommen. Es sei Pariser Postzeug dabei, und hier – er kramte in der großen Umhängetasche – ein versiegelter Umschlag an die Madame Simanowiz; sie möge quittieren.

      Als sie den Mann hinausbegleitet hatte und wieder hereinkam, fand sie den Maler noch am Tisch stehend, mit gesenktem Kopf. Er sah nicht auf. »Ein Brief aus Paris!« rief sie, um ihn aus seinem dumpfen Brüten zu reißen.

      »Lies nur«, knurrte er und schielte sie von der Seite an. Sie las gebeugt, ganz selbstvergessen. »Verehrte Madame! Ihre Anfrage in Eile beantwortend, da ihre Gnaden, die Gräfin Lacoste, mit dem Herrn Grafen verreist sind, unbekannt wohin…« Ludovike wandte sich um und wurde sich erst jetzt wieder bewußt, daß Mettenleiter sie beobachtete. »Ach Gott, es ist auch nichts Sicheres, die deutsche Köchin bloß. Und dabei schon der zwölfte Brief – und keine Spur! Nur lauter höfliches Bedauern… Daß er nicht schreibt, daß er keinen darum bittet, wenn er’s nicht kann! Einer muß ihn doch kennen, mit ihm im Gefecht


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