Nichts bleibt, mein Herz, und alles ist von Dauer. Lise Gast

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      Lise Gast

      Nichts bleibt, mein Herz, und alles ist von Dauer

      Roman

      Saga

      Nichts bleibt, mein Herz, und alles ist von Dauer

      German

      © 1988 Lise Gast

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711509821

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      1

      Das Doktorhaus in Camenz

      1900

      »Kinder, seid ihr denn bei Trost! Meine schönste Glasschüssel! Die könnt ihr doch nicht zum Bleigießen nehmen! Wenn die platzt!«

      »Die platzt nicht! Die wird doch mit kaltem Wasser gefüllt! Ich hab’s ausprobiert!« prahlte Schorschel.

      »Mit der Schüssel? Untersteh dich!«

      Regine lachte schadenfroh. Wenn Schorschel mal was auf den Deckel kriegte, freute sie sich. Immer wurde er vorgezogen.

      Nun ja, er war erst dreizehn, das war noch kein Alter. Aber er tat, als wäre er der Sohn des Hauses, dabei war er nur der Neffe und der Patensohn.

      »Regine, sei so gut und hol eine andere Schüssel!« Immer begannen Mutters Aufträge oder Bitten mit ›Kind, sei so gut!‹. Mutter war so höflich, jedem gegenüber. Manchmal konnte Regine diese Höflichkeit nicht ertragen; meist jedoch fand sie sie liebenswert. Mutter war überhaupt liebenswert, gütig, heiter.

      Die Spieluhr zirpte die ›Letzte Rose‹, danach kam die ›Fledermaus‹, Regines Lieblingsstück. Sie rannte aus der Eßstube in die Küche, um wieder zurück zu sein, wenn dieses Stück begann. ›Mein Herr Marquis – ein Mann wie Sie –‹

      Heute wurde Blei gegossen, weil Silvester war. Ein besonderes Silvester; nicht nur ein neues Jahr fing an, nicht nur ein neues Jahrzehnt, sondern ein neues Jahrhundert. Morgen war Neunzehnhundert! Vater und Schorschel hatten schon den ganzen Nachmittag gestritten, ob das neue Jahrhundert mit neunzehnhundert oder mit neunzehnhunderteins beginne. Regine wußte genau, daß Vater nur stritt, um Schorschel in Zorn zu bringen.

      Schorschel war oft bei ihnen. Seine Mutter, Tante Mieke, wohnte neun Kilometer entfernt in Patschkau. Sie war Witwe, Vater war der Vormund Schorschels und seiner großen Schwester Hanna. Regine mochte sie nicht, sie war so tugendreich. Dann schon lieber der ungezogene Bengel Schorschel.

      Regine setzte die große Porzellanschüssel auf den Tisch, und Schorschel goß sofort das Wasser aus der Glasschüssel hinein. Regine wollte helfen, aber sie stieß ihn an, und die Hälfte floß aufs Tischtuch und über Mutters schwarzes Kleid.

      »Na, aber Kinder –«, mehr sagte sie nicht. Sie schüttelte den Rock ein wenig. Immer trug sie Schwarz, immer die gleichen schwarzen Kleider; anders angezogen konnte man sie sich nicht vorstellen. Majestätisch, aber stets freundlich saß sie in ihrem Stuhl auf dem Podest am Fenster und strickte oder häkelte, – oder sie saß am Tisch und schrieb Briefe oder teilte das Essen aus. Sie bewegte sich nicht gern, und doch war sie sehr fleißig. So hatte sie einmal unter einen neunzehn Seiten langen Brief geschrieben: ›Gott befohlen, morgen schreibe ich wieder.‹ Die Leute im Dorf schätzten und liebten sie, die ›Frau Rat‹. In Lodz geboren, sprach sie Polnisch wie Deutsch, ihre Muttersprache. Wenn ihr Mann, Dr. Haberland, einen polnischen Patienten betreute und ihn nicht verstand, riß er die Tür zur Eßstube auf und rief: »Mutter, da ist –«, dann erhob sich Frau Rat von ihrem Thron und kam herüber, dolmetschte, half – und schenkte. Schenken war ihr Liebstes. Schenken, Gedichte aufsagen – Regine kannte keinen Menschen, der so viele Gedichte auswendig wußte wie ihre Mutter – und Vorlesen. Die Mutter las sehr gern vor, in einem Winter las sie den gesamten Fritz Reuter vor. Und wie herrlich erzählte sie!

      Sie war in einem neunköpfigen Geschwisterkreis aufgewachsen; ihr Vater war früh gestorben, an Typhus. Ihre Mutter mußte sich von Brüdern und Schwägern erhalten lassen. Das war nicht leicht. Aber aus allen Kindern wurde etwas – einer der Brüder war Adjutant des österreichischen Kaisers, Onkel Eugen, ein wahrer Märchenonkel. Er kam selten, doch wenn er kam, brachte er fürstliche Geschenke mit.

      Regine hatte als Kind das Ehrenamt inne, darauf zu achten, daß das Tischtuch keinen Flecken bekam. Wenn es geschah, mußte derjenige, der ihn gemacht hatte – im Doktorhaus gab es viele Gäste –, ein Geldstück darauf legen, um den Fleck zu verdecken. Als Onkel Eugen einmal einen winzigen Spritzer machte, rief Regine gleich, er müsse Strafe zahlen. Da legte er ein Goldstück darauf – zwanzig Mark – damals ein Vermögen.

      Auch die anderen Onkel waren bemerkenswert: Eines Tages gingen zwei dieser Onkel durch Warschau und trafen einen Freund des einen der beiden. Der stellte den anderen vor: »Das ist mein Bruder Tonda, einst der schönste Mann von Warschau, heute eine Ruine.« Worauf Tonda liebenswürdig hinzusetzte: »Denken Sie an die Akropolis!«

      Und was für Streiche spielten die Brüder als Jungen! Regine wollte diese Geschichten immer wieder hören. Wie sich alle Geschwister bei Tisch stets um einen bestimmten Teller zankten, der ein schönes Bild trug. Wilek, der Kleinste, hatte einmal darauf gespuckt, damit die anderen ihm den Teller ließen. Später hieß es dann: »Ach, der Teller ist nun aufgewaschen, jetzt können wir ihn auch einmal haben.« Worauf Wilek eine Laus von seinem Kopf nahm und sie über den Teller laufen ließ. Von da an wurde ihm der Teller nie mehr streitig gemacht.

      Regine gefielen diese Geschichten, und sie beneidete ihre Mutter, weil sie so viele Geschwister gehabt hatte. Sie wünschte sich auch welche. Zwar war sie schon siebzehn, aber trotzdem ...

      Schorschel brachte ein paar zerbrochene Bleisoldaten an, um sie zu schmelzen. Auch Mutter hatte etwas Blei gesammelt. Regine entzündete die Kerze, über die man den Blechlöffel mit dem Blei halten mußte, als der Vater dazukam. Er knurrte: »Schon jetzt? Es ist erst acht Uhr, noch lange nicht Mitternacht.«

      »Bleigießen kann man schon vorher –« Schorschel zappelte vor Ungeduld. Er konnte kaum den Löffel stillhalten.

      Das Blei sank in sich zusammen, wurde silbern, bekam eine graue Haut, die wohl von der Farbe der Soldaten herrührte. Regine schob sie vorsichtig mit einem Streichholzende beiseite. Und dann war es soweit.

      Zischend ergoß sich das geschmolzene Blei ins Wasser. Es sah aus wie Silber. Regine und Schorschel griffen danach, Schorschel obsiegte. Nun begann das Rätseln, was dieser Klumpen wohl bedeuten könnte.

      »Scheffel läßt in seinem ›Ekkehard‹ Praxedis, die reizende junge Griechin, sagen: ›Die Zukunft sieht diesmal aus wie ein Tannenzapfen!‹ – ›Wie eine Träne‹, sagte die Herzogin«, erzählte Mutter.

      Regine kannte den Ekkehard und liebte ihn sehr. Einmal dort hinkommen, an den Bodensee, an den Hohentwiel – wie unendlich weit das war! Schorschel drehte das gegossene Bleistück in den Händen.

      »Wie ’ne Wiege!« sagte er ablehnend. Mutter blinzelte ein wenig. Vater brummte:

      »Quatsch, Wiege. So sieht doch keine Wiege aus!«

      »Wie ein Pferd!« sagte Mutter. Jetzt zuckte Vater mit den Augenbrauen.

      »Kein Pferd! Rechteckig ist das, ziemlich flach. Und Pferde brauchen wir uns ja nicht zu wünschen, haben ja welche.«

      Damals fuhr er noch zweispännig, mit Unkas, dem Fuchs, und dem »Kleinen«. Der hatte keinen richtigen Namen, immer hieß er nur »der Kleine«.

      Regine interessierte sich nicht für Pferde. Sie fuhr zwar mit dem Vater auf Praxis


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